Die Mehrheit des Publikums steht den S-21-Plänen kritisch gegenüber Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Sechs Stunden lang debattieren Bahn-Vertreter und Gegner des Projekts Stuttgart 21 am Montag in Leinfelden über großräumige Varianten. Auch die vom Bundesverkehrsministerium erteilte Ausnahmegenehmigung, mit der die heutigen S-Bahn-Gleise zum Flughafen von Fernzügen genutzt werden dürfen, wurde kritisiert.

Stuttgart - Sechs Stunden lang debattieren Bahn-Vertreter und Gegner des Projekts Stuttgart 21 am Montag in Leinfelden über großräumige Varianten. Auch die vom Bundesverkehrsministerium erteilte Ausnahmegenehmigung, mit der die heutigen S-Bahn-Gleise zum Flughafen von Fernzügen genutzt werden dürfen, wurde kritisiert.

Stimmung kam in der Filderhalle aber erst nach 16 Uhr auf, als der promovierte Naturwissenschaftler Christoph Engelhardt ans Pult trat. Er hat für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die von der Bahn versprochene Leistungsfähigkeit der neuen Infrastruktur mit Tief- und Flughafenbahnhof und 60 Kilometer neuer Gleise untersucht.

Engelhardts auf 106 Seiten niedergeschriebenes Fazit ist vernichtend. Er unterstellt der Bahn einen „regelwidrigen und fehlerhaften Stresstest, der nicht als Nachweis einer Leistungsfähigkeit des Projekts Stuttgart 21 gelten kann“. Auch die Untersuchungen von Experten wie zum Beispiel des Wissenschaftlers und Stuttgart-21-Erfinders Gerhard Heimerl lieferten „keine Nachweise einer zukunftsfähigen Leistungsfähigkeit des Bahnhofs“.

Engelhardt forderte das Regierungspräsidium (RP) auf, die S-21-Protagonisten, zum Beispiel auch den DB-Infrastrukturvorstand Volker Kefer, vorzuladen. Sie sollten zu seinen Fragen Stellung nehmen. Im gut gefüllten Saal wurde dies mit Beifall kommentiert. Der Bahn ging der Auftritt deutlich zu weit. Deren Anwalt Peter Schütz drohte kurzzeitig, die Bahn-Mannschaft abzuziehen: „Wir stehen kurz davor, dass die Bahn die Teilnahme an der Veranstaltung beendet.“ Man werde sich nicht zu Engelhardts 213 Anträgen äußern, denn man sei „nicht in einem wissenschaftlichen Kolloquium, sondern in einem Rechtsverfahren“.

Er wolle sich auch nicht filmen lassen, wehrte Schütz die wiederholte Forderung ab, die Debatte im Internet zu übertragen. Laut Aktionsbündnis Kopfbahnhof 21 spricht sich der S-21-Schlichter Heiner Geißler für Ton- und Bildaufzeichnungen aus. Dazu fehle die Rechtsgrundlage, sagte RP-Verhandlungsleiterin Gertrud Bühler. Ihr Kollege Michael Trippen sah sich mehrmals genötigt, Zwischenrufer zurechtzuweisen.

Engelhardt wirft der Bahn zu kurze Haltezeiten im Tiefbahnhof und gekappte Verspätungszeiten vor. Die Leistungsfähigkeit sei deutlich zu hoch berechnet worden, weil die Bahn Richtlinien unterschritten und zum Beispiel bei der S-Bahn eine unrealistische Pünktlichkeit angenommen habe. Das Eisenbahn-Bundesamt als Genehmigungsbehörde dürfe für den Flughafenabschnitt kein Baurecht geben und solle ein Gutachten in Auftrag geben, das die Kapazitätsfrage von S 21 klärt. Weil sie mit doppelter Leistungsfähigkeit gegenüber dem Kopfbahnhof werbe, „begeht die Bahn Prospektbetrug“, so Engelhardt. Der Verkehrskonzern hält die Vorwürfe für nicht haltbar.

Bei der Debatte über Varianten zu Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm räumte Schütz ein, dass die Wirtschaftlichkeit der ICE-Strecke sich auf den „Abschnitt Stuttgart–Augsburg und nicht Stuttgart–Ulm bezieht“. Die Gegner sagen, die Strecke über die Alb sei unwirtschaftlich, weil sie zu steil für Güterzüge sei.

Unterlagen, die die Bahn dem Bundesverkehrsministerium gegeben hat, damit dieses für den Abschnitt Leinfelden–Flughafen eine Ausnahmegenehmigung für Fernzüge ausspricht, will die Bahn nicht veröffentlichen. Sie seien „irrelevant“, sagte Schütz. Die Gegner planten ebenfalls mit dem Flughafenanschluss, konterte er, allerdings mit einer „ziemlich krüppeligen Lösung mit einem Gleisdreieck bei Scharnhausen“.