Schokolade von Ritter Sport war im Sommer nur noch bei Edeka gelistet. Foto: imago images/Chromorange/Markus Mainka

Krankenhäuser, Heime und Schulen freuen sich über Adventskalender, weil Ritter Sport viel zu viele produzieren ließ. Hinter der vermeintlichen Fehlkalkulation stecken Auseinandersetzungen mit großen Handelsketten. Bleiben künftig Supermarktregale leer?

In der Adventszeit gibt es in der Region Stuttgart süße Bescherungen. Der Schokoladenhersteller Ritter Sport verschenkt Adventskalender an Krankenhäuser, Heime und Schulen – sofern diese Interesse zeigen. 208 Gramm wiegt die Tanne, 347 Gramm die Winterlandschaft im Quadrat. Gefüllt mit Täfelchen diverser Sorten, bis zu zehn Euro kosteten die Kalender in den Läden – wenn sie denn dort zu kaufen waren.

 

Aldi und Kaufland haben Ritter Sport noch immer ausgelistet

Denn Aldi und Kaufland haben die Kalender wie überhaupt Ritter-Sport-Schokoladen nicht gelistet. Andere Handelsketten führen derzeit keine der typischen Weihnachtstafeln aus Waldenbuch. Die Folge: Das Unternehmen blieb zur Adventszeit unter anderem auf mehreren Tausend Adventskalendern sitzen. „In der Rückschau haben wir uns verschätzt“, sagt Thomas Seeger, Justiziar und Sprecher des Unternehmens.

Verschätzt heißt, dass die Verhandlungen mit den großen Handelsketten über Umfang und Preise der Schokoladen schlechter liefen als gedacht. Im Frühjahr setzen sich Produzenten wie Ritter Sport in Einzelgesprächen mit Aldi, Lidl, Kaufland, Edeka oder Rewe zusammen, um über Centbeträge zu feilschen, die sich in der Masse zu Millionen summieren können. Seit dem Ukrainekrieg und der hohen Inflation werden die Verhandlungen oft schärfer als in den Vorjahren geführt. Weil die Verbraucher sparen, sind die Margen der Händler und Produzenten gesunken. Immer häufiger bleiben zumindest zeitweise Supermarktregale leer, weil es keine Einigung gibt.

Reden darüber mag kaum einer. Es ist ungewöhnlich, dass Ritter Sport Einblicke in die eigenen Verhandlungen gibt. „Wir hatten über den gesamten Sommer bis in den Herbst die ungute Situation, dass wir gleich bei mehreren Handelsketten in Deutschland nicht mehr gelistet waren bzw. einen Lieferstopp verhängen mussten“, sagt Seeger.

Die Wochen und Monate zuvor hatte es offenbar nur mit Edeka eine Einigung geben. Bei Kaufland ist Ritter Sport schon seit längerem ausgelistet. Bei Aldi, Rewe und Lidl aber machte sich der Schokoladenhersteller Hoffnung, die Gespräche doch noch zu einem guten Ende zu führen. Ritter Sport produzierte wie branchenüblich vorsorglich im Spätsommer die Weihnachtsprodukte – Adventskalender inklusive. „Leider haben sich dann die Verhandlungen länger hingezogen, als wir angenommen haben“, sagt Seeger.

Die Einigung mit Lidl und Rewe kam zu spät für das Weihnachtsgeschäft

Seit Oktober ist Ritter Sport auch wieder bei Lidl und Rewe vertreten – zu spät für die Bestellungen zur Weihnachtszeit. Die Handelsketten hatten sich bereits mit den Konkurrenzprodukten versorgt. Dass auch die Kunden von Lidl und Rewe im Sommer nur wenig von der zwischenzeitlichen Auslistung bemerkten, hängt laut Handelsexperten auch damit zusammen, dass die Ketten vor den Verhandlungen oft nochmals auf Einkaufstour gehen. Das sichert derzeit in der Regel günstigere Preise und verbessert die Position in den Verhandlungen. Oft dauert es viele Wochen, bis sich die Regale der Produkte ausgelisteter Hersteller leeren, wie auch bei Ritter Sport.

In der Regel dringt von den Verhandlungen kaum etwas an die Öffentlichkeit. Dieses Frühjahr wurde der Streit des größten Deutschen Einzelhändlers Edeka publik: Zeitweise belieferten 17 Konzerne den Verbund nicht mehr, darunter Konsumgütergiganten wie Mars, Procter & Gamble sowie Teile von Henkel, Schwartau und Unilever. Hier standen einzelnen Bestellstopps Edekas vor allem Lieferstopps entgegen. Edeka-Chef Markus Mosa beklagte öffentlichkeitswirksam die „Gier“ der internationalen Markenartikler und suggerierte damit, diese würden die Preise hochtreiben.

Sind die Produzenten tatsächlich „gierig“?

Seeger widerspricht Aussagen wie diesen: „Der pauschale Vorwurf, dass die Hersteller gierig sind, lässt sich sofort entkräften. Die Händler sehen ja selbst an ihren eigenen Handelsmarken, wo die Kosten gestiegen sind.“

Das findet auch Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbands in Berlin, der rund 400 Markenhersteller vertritt. „Die Mehrzahl der Unternehmen können nur einen Teil ihrer Kostensteigerungen weiterreichen.“

Köhler beobachtet gerade bei den Vollsortimentern eine verschärfte Gangart in den Verhandlungen. Diese litten zurzeit ohnehin unter den günstigeren Discountern. Zudem stiegen die Kosten für die Händler selbst, während die Markenhersteller wiederum ihre höheren Kosten durchzusetzen versuchten. „Diese Gemengelage lädt die Verhandlungen emotional auf“, sagt Köhler und prophezeit: „Die laufenden Gespräche werden noch härter als die vorangegangen. Die Forderungen der Händler passen überhaupt nicht mit jenen der Hersteller zusammen. Die Verhandlungen werden deutlich länger dauern.“

Künftig könnten häufiger Supermarktregale leer bleiben

Wie weit bei den Verhandlungen von Ritter Sport die Preisvorstellungen differierten – dazu könne er „aus kartellrechtlichen Gründen“ nichts sagen, betont Seeger. Er verweist aber darauf, dass die Erzeugerpreise massiv gestiegen seien. „Der Kakaopreis ist auf einem 30-Jahres-Hoch, Zucker ist so teuer wie seit 15 Jahren nicht mehr. Von den Kosten für Verpackungen und Energie ganz zu schweigen“, sagt Seeger und schließt: „Am Ende muss für beide Seiten etwas hängen bleiben – für die Händler, aber auch für uns.“

Bei Ritter Sport führten die Verhandlungen nicht mit allen Handelsketten zum Ziel – ein Resümee, das künftig am Ende vieler Branchengespräche stehen könnte. Über die gescheiterten Gespräche freuen sich jetzt die Bewohner und Beschäftigten von Krankenhäusern und Heimen, die die Adventskalender erhielten. Ein „Werbeeffekt“ für das Unternehmen sei das nicht, betont Seeger. „Darauf hatten wir es nicht abgesehen, wir haben das nirgendwo aktiv publiziert. Es ging darum, die Schokolade nicht zu vernichten.“