Um das Gebäude Böblinger Straße 361 gibt es Streit. Foto: Alexandra Kratz

Eigentümer des Gebäudes Böblinger Straße 361 in Kaltental klagen gegen Stadt. Ihr Rechtsanwalt hat die Richter mit einer ungewöhnlichen Argumentation überrascht.

Kaltental - Ein Rechtsanwalt, der sich bei den Richtern entschuldigt, zwei Sitzungsunterbrechungen und eine überraschende Wende im Streit um die Gültigkeit eines Bebauungsplans aus dem Jahr 1936. Das waren die Bestandteile einer Verhandlung vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht.

Geklagt hatte eine Erbengemeinschaft gegen die Stadt Stuttgart. Ihnen gehört das Gebäude Böblinger Straße 361 mit angrenzenden Flächen in Kaltental. Die Eigentümer hatten sich für eine Neubebauung des Areals mit einem Wohn- und Geschäftshaus samt Tiefgarage entschieden und auch eine Bauvoranfrage im Juni 2009 eingereicht. Die Stadt lehnte das Ansinnen aber ab, was die Erbengemeinschaft nicht hinnahm und Widerspruch beim Regierungspräsidium einlegte. Doch die Behörde wies diesen am 24. Oktober 2011 als unbegründet zurück.

Die Erbengemeinschaft gab sich damit nicht zufrieden und so trafen sich jüngst die beiden Parteien vor Gericht. Richter Wolfgang Kern stellte die Situation dar, und die ist doch sehr verzwickt. Ein Baustaffelplan aus dem Jahr 1935 und zwei Stadtbaupläne aus den Jahren 1929 und 1936 regeln, wie am Ortsrand Kaltentals gebaut werden darf. Dabei lässt der ältere Plan an der Stelle, an der sich heute das Haus befindet, eine Baufläche zu. „Der Plan aus dem Jahr 1936 hat da aber ein Bauverbot drübergelegt“, erklärte Kern. Eben diesen Bebauungsplan halten aber die Kläger für „funktionslos“. Doch nicht dies, sondern die Argumentation von Rechtsanwalt Thomas Schönfeld überraschte die Richter. Er verwies darauf, dass der besagte Stadtbauplan aus dem Jahr 1936 nur anhand der Beratung eines Technischen Beirats und auf „Entschließung des Oberbürgermeisters“ zustande gekommen sei. „Das beruht darauf, dass Anfang 1935 die Deutsche Gemeindeordnung eingeführt wurde, die der Verwirklichung des Führerprinzips diente“, erläutert der Münchener Rechtsanwalt auf Nachfrage.

Rechtsanwalt: Plan aus dem Jahr 1936 ist rechtswidrig

Das ist die eine Seite, nach wie vor habe aber die Württembergische Bauordnung aus dem Jahr 1910 im Jahr 1936 Gültigkeit gehabt und die sehe vor, dass der Gemeinderat Bebauungspläne zu beschließen hat. „Das ist aber in besagtem Fall nicht geschehen“, sagte Schönfeld bei der Verhandlung. Anders stellte sich das bei dem Vorgänger aus dem Jahr 1929 dar. Diesen hat eine Art Ausschuss des Gemeinderats entschieden. „Dieser Plan gilt daher nach wie vor“, sagte Schönfeld. Der 1936er Plan sei schon damals rechtswidrig gewesen. „Schließlich bestand das Grundstück zu dieser Zeit schon. Das war ein unverhältnismäßiger Eigentumseingriff“, erklärte der Anwalt.

Die Richter rechneten nicht mit einer solchen Argumentation. Die Vorsitzende Richterin Annegret Pelka unterbrach die Sitzung. „Sie haben uns eine Neuigkeit präsentiert, die wir nicht erwartet haben“, nahm sie nach zehn Minuten den Faden wieder auf. Man könne aber nicht ausschließen, dass Schönfeld Recht habe und müsse den Sachverhalt erst prüfen. Stadtoberrechtsrat Martin Leidig, der die Landeshauptstadt vor Gericht vertrat, zeigte sich freilich skeptisch: „Ich kenne eine solche Rechtsprechung nicht.“ Er wies darauf hin, dass es auch ein Urteil gebe, nachdem Bebauungspläne aus der Zeit des Dritten Reichs keineswegs pauschal nichtig seien.

Entscheidung vertagt

Die Vorsitzende Richterin erbat aber vom Vertreter der Stadt noch mehr Hinweise, die Aufschluss darüber geben, wie der Baustaffelplan zustande gekommen ist: „Vielleicht hat den auch nur ein Bürgermeister beschlossen.“

Die Pläne des Architekten für die Neubebauung haben sich am Stadtbauplan aus dem Jahr 1929 orientiert. Doch Leidig merkte an, dass die Entwürfe mit drei Voll- und einem Dachgeschoss dem Baustaffelplan widersprechen, der nur eine zweigeschossige Bebauung vorsieht.

Nach einigem Hin und Her war schließlich der Antrag formuliert, über den die Richter nun befinden müssen. Dabei geht es aber nur um die planungsrechtliche Zulässigkeit und nicht etwa die Frage, ob der nötige Abstand zum Wald eingehalten ist. Schönfeld gab den Antrag in einer weiteren Pause den letzen Schliff und bat die Richter um Verzeihung: „Ich entschuldige mich für die Überraschung. Eine solche ist eigentlich nicht in meinem Interesse.“

Die Entscheidung wird nun schriftlich mitgeteilt. Aufmerksam hatten auch verschiedene Vertreter der Eigentümergemeinschaft die Verhandlung verfolgt. Sie hatten sich zuvor optimistisch gezeigt. „Man wird sehen, wie es nun weitergeht“, sagte Brigitte Kaltenleitner, die gemeinsam mit ihren Geschwistern den Klageweg eingeschlagen hatte. Eine Prognose wollte sie freilich nicht wagen. Eine Neubebauung an der Böblinger Straße sieht sie noch aus einem anderen Blickwinkel: „Man könnte einen Grundstein setzen, dass Stuttgart wieder ein Stück schöner wird.“