Auch ab dem Hauptbahnhof waren die Pendler in Stuttgart am Freitag auf sich alleine gestellt. Doch die meisten zeigten sich gut organisiert. Foto: Torsten /chöll

Viele Betroffene reagieren am Freitag mit Fahrgemeinschaften auf den Streik der Stuttgarter Bus- und Stadtbahnfahrer. Während die einen notgedrungen Kompromisse suchen, freut sich eine Berufsgruppe besonders.

Glücklich sind an diesem Streik-Morgen nur die Taxifahrer. Am Stand vor dem Hauptbahnhof reihen sich die schwarzen Limousinen und kommen kaum zur Ruhe. Auf Kundschaft warten die Chauffeure am Freitag nicht lange. Viele, die an diesem Vormittag aus dem Bahnhof strömen, steuern direkt den Taxistand an.

„Ich bin heute Morgen erst eine Stunde hier und habe schon vier Fahrten gemacht“, freut sich einer der Taxifahrer, der das Fenster herunterkurbelt, um Auskunft zu geben. „Das ist wirklich sehr gut.“ Er bestätigt: Dank des Streiks der Bus- und Stadtbahnfahrer der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) laufen die Geschäfte für die Taxis blendend.

Mit der Fahrgemeinschaft oder zu Fuß

Die meisten Pendler, die am Vormittag vor dem Hauptbahnhof auftauchen, scheinen sich gut auf den Streik vorbereitet zu haben. Wer es mit dem Regionalzug oder der S-Bahn bis hierher geschafft hat, wird meist mit dem Auto abgeholt oder geht den Rest der Strecke, wenn möglich, zu Fuß.

So wie Julia, die aktuell eine Ausbildung als Erzieherin absolviert und dafür eine Schule in Stuttgart-Ost besucht. Sie wartet an der fast leeren Bushaltestelle auf dem Arnulf-Klett-Platz, wo sie normalerweise den 40er oder 42er nimmt. „Wir haben eine tolle Gemeinschaft in unserer Klasse“, sagt die 40-Jährige, die aus Bietigheim kommt. „Schon am Tag vorher wurde vereinbart, wer wen abholen oder mitnehmen kann.“

Julia (40) aus Bietigheim, kann beim Streik auf die Hilfe ihrer Mit-Auszubildenden setzen. Mit der Fahrgemeinschaft geht es vom Hauptbahnhof zur Schule in den Stuttgarter Osten. Foto: Torsten /Schöll

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Gerlinde wird sie jeden Moment am Busbahnhof von einer weiteren Kollegin mit dem Auto eingesammelt. „Wir hätten auch zu Fuß gehen können“, sagt die 45-Jährige aus Freiberg. „Aber dafür hätten wir eine Dreiviertelstunde mehr einplanen müssen.“ Für die Streikenden zeigen beide, wie die meisten an diesem Vormittag, großes Verständnis. Viel mehr können sie aber nicht mehr erzählen. Die Kollegin mit dem Auto fährt pünktlich vor.

Auch Gerlinde (45) aus Freiberg nutzt das Kollegen-Taxi. Foto: Torsten/ Schöll

In den Osten muss an diesem Morgen auch Andreas Frane, Schauspieldirektor am Theater Pforzheim. Er unterrichtet heute an der Theaterakademie in Stuttgart. „Zu Fuß ist das zu weit“, sagt Frane, der kurz am Busbahnhof vorbeischaut. Er hat zwar vorher nicht genau darüber nachgedacht, wie es nun weitergeht. Nach kurzem Überlegen steuert aber auch er nun den Taxistand an.

Schauspieldirektor Andreas Frane schnappt sich kurzerhand ein Taxi, um die Theaterakademie rechtzeitig zu Unterrichtsbeginn zu erreichen. Foto: Torsten/ Schöll

Gar nichts vom Streik weiß ein 23-jähriger Student aus Uhingen. Er ist am Freitagmorgen vor dem Hauptbahnhof sozusagen gestrandet und liest jetzt die elektronischen Anzeigen an der Bushaltestelle: „Die SSB wird bestreikt! Es fahren bis Betriebsschluss keine Busse und Bahnen der SSB“, ist dort zu lesen. Na prima, scheint er sich zu denken. Der junge Mann muss Richtung Azenberg und kommt mit Sicherheit zu spät. Entsprechend kurz angebunden ruft er „ich muss jetzt los“. Dann macht er sich per pedes auf den Weg.

Für manche wird der Weg zur Arbeit zur kleinen Weltreise

Für Mareike Keller war das E-Bike am Freitag das Verkehrsmittel ihrer Wahl, um vom Ostendplatz zum Bahnhof zu gelangen. Die 26-Jährige muss heute noch weiter nach Singen, was auch nicht ganz einfach ist: Nach dem E-Bike steigt sie zuerst um in die S-Bahn, fährt wegen Bauarbeiten auf der Gäubahnstrecke ab Böblingen mit dem Schienenersatzverkehr bis Oberndorf, um dort schließlich noch in den Zug nach Singen umzusteigen. Der Verdi-Streik im ÖPNV ist da das kleinste Problem. „Es wird eine kleine Weltreise.“

Wer vom Streik nichts mitbekommen hat, wird an den Haltestellen informiert. Foto: Torsten/ Schöll

Ganz gelassen zeigt sich dagegen Ulrich Pfeifer. Sein Arbeitsplatz ist ein Radiosender direkt in der unteren Königstraße. „Ich bin mit der S-Bahn aus Stuttgart-West gekommen“, erzählt der 49-Jährige. Für ihn sei der Streik überhaupt kein Problem. So viel Glück haben nicht viele: Mehr als 100 Meter sind es nicht mehr, bis er sein Ziel erreicht hat.

Ulrich Pfeifer (49) aus dem Stuttgarter Westen erreicht am Freitag trotz Streik sein Ziel mit den Öffentlichen. Foto: Torsten/ Schöll

Ein italienischer Bauarbeiter, der in der Kälte an seiner Zigarette zieht, meint zuerst, er könne nicht so gut Deutsch, spricht aber dann doch munter drauflos: Auf seinen Chef wartet er hier an der Bushaltstelle, sagt er. Auch er wird mit dem Auto abgeholt. „Streik ist, ja?“, fragt der Mann und lacht: „Das ist alles hier schon wie in Italien.“