Wie überall, wo er auftritt, ist GDL-Chef Claus Weselsky auch bei der Kundgebung in Stuttgart im Blickpunkt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Außer Appellen hat die Politik zur Lösung des eskalierten Bahnkonflikts nichts zu bieten. Dennoch könnten die Lokführerstreiks der Tarifautonomie noch schweren Schaden zufügen, meint unser Wirtschaftsredakteur Matthias Schiermeyer.

Große Hilflosigkeit macht sich breit: Da zettelt ein Mann mit seiner kleinen verschworenen Truppe den längsten Streik der Bahngeschichte an. Doch niemand kann etwas dagegen tun oder hat auch nur eine zielführende Antwort parat. Vielstimmig appellieren Bahn und Politik an den obersten Lokführer Claus Weselsky, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. „Deutliche Worte“ spricht Verkehrsminister Volker Wissing und mahnt grimmig eine Schlichtung an. Wen kann er damit beeindrucken? Nicht die Öffentlichkeit und die GDL erst recht nicht.

 

Die Handlungsunfähigkeit hat einen guten Grund: Das Grundgesetz räumt der Tarifautonomie einen zentralen Platz ein. Arbeitgeber und Gewerkschaften sind gehalten, ihre tariflichen Angelegenheiten selbst zu regeln. Offene staatliche Eingriffe sind unerwünscht – selbst bei einem Unternehmen im Bundesbesitz wie der Deutschen Bahn.

Folge dieses demokratischen Goldstandards ist ein weitreichendes Streikrecht ohne konkrete Spielregeln. Was zu weit geht, entscheiden allein die Arbeitsgerichte. Diese sehen aber auch dann noch die Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn ein volkswirtschaftlicher Schaden von Hunderten Millionen Euro entsteht oder Millionen Pendler und Reisende eingeschränkt werden. So ist es kein Zufall, dass die Bahn-Führung im Lichte des Megastreiks nicht erneut juristisch gegen die GDL vorgegangen ist. Eine Niederlage wie schon vor zweieinhalb Wochen in Frankfurt wollte sie sich ersparen.

Rufe nach dem Gesetzgeber bisher stets verhallt

GDL-Chef Weselsky muss nicht schlichten, wenn er nicht will. Nun tun sich vor allem Arbeitgeberverbände und wirtschaftsnahe Politiker hervor, um ihm nicht nur Maßlosigkeit vorzuhalten, sondern auch nach dem Gesetzgeber zu rufen. Das kennt man seit langer Zeit: Wenn im Bahn- oder Luftverkehr massiv gestreikt wird, mehren sich Forderungen nach einer Verschärfung des Streikrechts. Allerdings ist die Resonanz stets ziemlich mager – auf dieses dünne Eis wollte sich in der Vergangenheit keine der großen Parteien begeben. Denn alle Gewerkschaften würden nachhaltig auf die Barrikaden gehen. Folglich sind derlei Mahnungen rasch wieder verhallt.

Schlichtungsverfahren könnten zur Pflicht gemacht werden

Dass sich die Ampelkoalition des heißen Eisens nun annimmt, ist unwahrscheinlich – für die SPD wäre eine solche Operation quasi das Ende. Doch sollte sich in einer aufgeladenen politischen Atmosphäre niemand darauf verlassen, dass die Bastion der Tarifautonomie uneinnehmbar ist. Überlegungen, wie man sie schleifen könnte, gibt es längst, selbst wenn sie den aktuellen Bahnkonflikt nicht mehr direkt beeinflussen werden. So ließe sich in der kritischen Infrastruktur – also in Bereichen der Energie, des Luft-, Bahn- oder Nahverkehrs – vorschreiben, dass jedem Streik ein Schlichtungsverfahren vorgeschaltet werden muss. Auch könnten Notdienste und längere Ankündigungsfristen zur Pflicht gemacht werden.

Generell werden Streiks in Tarifkonflikten nicht mehr als Ultima Ratio, als allerletztes Mittel, eingesetzt, sondern eher als frühzeitiger Konsensbeschleuniger. Das funktioniert einigermaßen, weil die Kompromissfähigkeit der Sozialpartner meistens gegeben ist. Zwischen Bahn und GDL jedoch wird mit allen Tricks, aber ohne Verantwortungsbewusstsein operiert. Dies lässt den weiteren Verlauf völlig unklar erscheinen.

Da nicht nur die GDL, sondern auch andere Gewerkschaften immer krawalliger werden, wächst der Druck auf die Politik, Handlungsfähigkeit zu beweisen und die Lücken im Arbeitskampfrecht zu füllen. Wer kann angesichts des aufziehenden Populismus garantieren, dass es künftige Regierungen bei behutsamen Korrekturen belassen? So riskiert Weselsky nicht weniger als einen Totalschaden für die Sache der Arbeitnehmer.