Foto: Max Kovalenko/PPF

Immer häufiger kommt es an markanten Plätzen in der Innenstadt zu Gewaltdelikten. Streetworker waren dort in den vergangenen Monaten präsent – nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern als Ansprechpartner und Schlichter.

Stuttgart - Freitagabend, 21.30 Uhr, am Berliner Platz. Eine 16-Jährige sitzt zusammengesunken auf einer Bank, zwei Freundinnen stehen bei ihr. Sie wirken aufgeregt und hilflos. Das Mädchen hat offenbar zu viel getrunken, und seine Freundinnen wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Einen Krankenwagen rufen? Die Eltern verständigen? Oder einfach abwarten?

Auch eine Gruppe Sozialarbeiter ist auf dem Platz unterwegs. Sie kümmern sich um die Mädchen und besprechen gemeinsam, wie sie der 16-Jährigen helfen könnten. Einen Arzt braucht die Betrunkene nach Einschätzung der Streetworker nicht. Sie entschließen sich dazu, die Eltern zu verständigen. Die Sozialarbeiter bleiben zur Unterstützung bei den Mädchen, bis die Eltern eintreffen.

Situationen wie diese haben die Mitarbeiter der Jugendhilfeträger in den vergangenen Monaten häufig erlebt. Oft schlichten sie, bevor auf den Rausch Schlägereien folgen. Denn die Zahl der Gewaltdelikte, die unter Alkoholeinfluss begangen werden, nehmen bei unter 21-Jährigen zu. Im Jahr 2007 registrierte die Polizei in Stuttgart noch 262 Delikte. 2011 waren es bereits 361. Im Rahmen des Projekts „Prävention Alkoholbedingter Jugendgewalt in Stuttgart“ sollen nun Strategien entwickelt werden, wie übermäßiger Alkoholkonsum und Gewalt eingedämmt werden können.

Die Uni Tübingen wertet die Fragebögen aus

Zur ersten Projektphase gehörte der Einsatz der Streetworker von Mai bis Oktober. Dabei ging es auch darum, mittels Fragebogen mehr über die Jugendlichen zu erfahren. Von November dieses Jahres bis April 2013 werden die Fragebögen von der Universität Tübingen ausgewertet. Mit den Daten wird das Netzwerk dann Präventionsangebote entwickeln, die Jugendliche in einem Workshop wiederum testen und bewerten.

Die Streetworker arbeiten eigentlich in den Stadtbezirken. Für das Projekt waren sie zusätzlich an den markanten Treffpunkten in der Innenstadt unterwegs: am Berliner Platz, in der Klett-Passage, der Theaterpassage, im Schlossgarten und auf der Theodor-Heuss-Straße. „Ziel ist zu schlichten und zu helfen, bevor die Polizei einschreiten muss“, sagt Willi Pietsch. Der Kriminalhauptkommissar ist auch einer der Sprecher der AG Jugendkriminalität. „Es gibt viele Situationen, in denen man das entspannter regeln kann – bevor Menschen zu Tätern und Opfern werden“, sagt Pietsch. Bereits im Jahr 2007 gab es die sogenannte szeneorientierte Jugendarbeit der AG Jugendkriminalität. Doch aus finanziellen Gründen wurde sie eingestellt.

In der Regel sind die Streetworker zu viert unterwegs, deutlich erkennbar mit blauen Westen und einem Rucksack mit Verbandszeug und Getränken. „Wir gehen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger vor“, sagt Klausjürgen Mauch, Leiter der Jugendsozialarbeit bei der Evangelischen Gesellschaft (Eva). Und sein Projekt-Kollege Bernd Klenk, Leiter von Release U 21, ergänzt: „Der Streetworker ist immer Gast. Bevor er sich dazugesellt, muss er fragen, ob er willkommen ist.“ Die Akzeptanz der Sozialarbeiter unter den Jugendlichen sei jedoch groß gewesen. Über 100 Fragebögen brachten sie von ihren Einsätzen mit. „Viele schütten ihr Herz aus, erzählen von Problemen zu Hause, in der Clique“, sagt Klenk. In einigen Fällen verweisen die Streetworker auf Hilfsangebote. Da rund 50 Prozent der Jugendlichen aus der Region kommen, ist meist nicht klar, an wen sie sich in ihrem Landkreis wenden können. „Daran müssen wir arbeiten“, sagt Mauch.

„Auf Dauer müssen neue Streetworker eingestellt werden.“

Die Zuständigkeit der Streetworker ist laut Pietsch klar definiert: „Sie arbeiten nicht als Hilfspolizisten, die Polizei wird ihre Präsenz in der Stadt nicht zurückfahren.“ Ein Ergebnis des Projekts könnte jedoch sein, dass Streetworker ab sofort immer in den Monaten Mai bis Oktober in der Innenstadt unterwegs sind. Dann müsse klar sein, wer dafür aufkommt. In den zwei Jahren der Projektphase stellt die Baden-Württemberg-Stiftung 40 000 Euro zur Verfügung. Was danach passiert, ist noch unklar. „Auf Dauer müssen neue Streetworker eingestellt werden. Denn die Mitarbeiter aus den Stadtteilen können die Innenstadt nicht zusätzlich stemmen“, sagt Pietsch. Außerdem überlegen die Beteiligten, ob sie die Gaststättenbehörde und die Diskothekenbetreiber mit ins Boot nehmen.

Klar sei, dass es nicht darum gehen könne, Jugendliche von den Plätzen zu vertreiben oder ihnen den Alkohol wegzunehmen. Ein temporäres Alkoholverbot auf einzelnen Plätzen, wie jüngst von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer gefordert, sei kein Allheilmittel – da sind sich die Beteiligten einig. „Außerdem ist das schwer zu kontrollieren. Wir können die Plätze ja nicht abriegeln wie eine römische Kampfarena“, sagt Pietsch.