Seit 2005 lenken Iris Dressler und Hans D. Christ als Co-Direktoren den Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Sie waren zu Gast bei „Über Kunst“, Veranstaltungsreihe der Stuttgarter Nachrichten zu Fragen des Dialogs von Kunst und Gesellschaft.
Stuttgart - „Die Ungeduld, der Freiheit eine Gestalt zu geben“ heißt die kommende Themenschau des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart (Eröffnung am 4. Oktober). Er wirkt geradezu programmatisch für das Anliegen, das Iris Dressler und Hans D. Christ, Direktoren des Kunstvereins, mit ihrer Arbeit im Kunstgebäude am Schlossplatz verfolgen.
„Wenn man es wagt, den Begriff der Freiheit in den Titel aufzunehmen“, sagt Iris Dressler beim „Über Kunst“-Abend in der Galerie Klaus Gerrit Friese in Stuttgart, „dann muss das ein Stolperstein sein“ – denn der Begriff der Freiheit stehe in Frage, und mit ihm das Selbstverständnis der zeitgenössischen Kunst. Die Freiheitsforderungen der Generation von 1968, stellt Dressler fest, wurden längst kapitalistisch vereinnahmt. Inhalte, für die man sich einst einsetzte, verkehrten sich in ihr Gegenteil.
In dieser Situation will der Kunstverein mit seinem Ausstellungen im Zentrum von Stuttgart selbst der Stolperstein sein: ein Ort der Irritation, der seine Besucher dazu auffordert, mit ihren eigenen Erfahrungen zu arbeiten, sie in ihrer Alltagskompetenz herausfordert – wie Hans D. Christ formuliert: „Als Kunstverein haben wir mit einer Erwartungshaltung zu tun, die einen Widerspruch erzeugt, sobald man unsere Räume betritt“.
Dressler und Christ gründeten 1996 in Dortmund den „hartware medien kunst verein“ als Institution zeitgenössischer Kunst und leiten nun, seit 2005, als Kuratorenteam den Württembergischen Kunstverein. Jährlich 150 Veranstaltungen bietet der Kunstverein, doch im Kunstgebäude wird noch in ganz anderer Weise unablässig gearbeitet – es wird saniert und gebaut. Dass am Tag nach dem „Über Kunst“-Abend im Kuppelsaal des Kunstgebäudes erstmals eine Plenarsitzung des Baden-Württembergischen Landtags stattfindet – der Landtag selbst wird nun saniert – ist nicht nur von diskreter Ironie, sondern für den Kunstverein auch von praktischem Nutzen: „Wir haben nun ein Stadium erreicht, in dem ein Vakuum entsteht“, sagt Hans D. Christ. „Davor wollte sich die Politik niemals eindeutig zu diesem Gebäude positionieren, aber nun ist es von einem anderen politischen Gebilde belegt“.
Kunstverein als Laboratorium
Die Situation des Württembergischen Kunstvereins in der Stadt ist für Dressler und Christ fraglos ein Glücksfall. „Ein solch zentraler Ort“, sagt Iris Dressler im Gespräch mit Nikolai B. Forstbauer, Kulturressortleiter der Stuttgarter Nachrichten., „ist ein unglaubliches Privileg für einen Kunstverein“. Anders, als bei anderen Kunstvereinen, in anderen Städten, sieht sie die Gegenwartskunst in Stuttgart mit dieser Ausstellungsfläche viel stärker in die Stadt selbst eingebunden. „Der Kunstverein“, sagt sie, „liegt wie eine halbdurchsichtige Haut zwischen all den Abbildungen von Macht, die in der Stadt spürbar sind“.
Auch ein Scharnier will der Kunstverein sein, lokal, international, global: „Wir brauchen einen Resonanzraum, in dem wir uns gegenseitig in Augenschein nehmen können“. Beispielhaftes Projekt für diese Scharnierfunktion des Vereins war für Iris Dressler eine Zusammenarbeit von Studierenden der Stuttgarter Kunstakademie und Stipendiaten der Akademie Schloss Solitude in den Räumen des Kunstvereins. „Wir wollten sehen: was kommt da zueinander?“ Zu einer Formalisierung solcher Kooperationen wollen die Kuratoren jedoch Abstand wahren. Offenheit soll erhalten werden.
Und das Thema „Forschung“? Sie finde weitgehend im Rahmen der verschieden Ausstellungsprojekte statt. Der Kunstverein wird für Dressler und Christ zum Laboratorium, die Ausstellungssituation zum Experiment. Entsprechend kann eine durch und durch inszenierte Einzelausstellung einem Blick hinter die Kulissen gleichen. Oder ein Ausstellungsbesucher von einer Schau derart verstört wird, dass er „schreiend die Räume verlässt“, wie Iris Dressler sagt. Hans D. Christ wertet derartiges durchaus als Erfolg: „Dieser Besucher hatte die Gebrochenheit des Werkes verstanden“.
Mit ganz ähnlichen Wirkungen beschäftigt sich auch ein Projekt für die Themenschau „Die Ungeduld, der Freiheit eine Gestalt zu geben“: Eine Folterkammer der Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg von 1936 soll erneut errichtet werden. Damals versuchte man, die Sinneswahrnehmung der Opfer mit Werken seinerzeit aktueller Kunst zu verwirren. Weniger als die bizarre Ironie dieses Vorhabens interessiert sich Iris Dressler für den Wandel der Wirkung dieser Werke von Malern wir Wassily Kandinsky oder Joannes Itten. „Heutzutage“, sagt sie, „verkommen Bilder dieser Maler ja zu Dekor, aber damals konnten sie die Wahrnehmung noch verwirren“. Aber auch die Strategien der Künstler haben sich gewandelt. Im Umgang mit den Neuen Medien und mit der Situation des Künstlers in der „neoliberalen Gesellschaft“ erschaffen sie sich neue Strategien, neue „Tools“, um die Flut der Bilder zu sortieren.
Ein Blick hinaus warnt
Irritation ist dabei für Dressler und Christ ein wichtiges Ziel der Kunst: „Wissen zu produzieren“, wie Iris Dressler sagt, „das eigenes Wissen durcheinander bringt und sich der Weiterverwertung entzieht“. Der Kunstverein wird dabei für die Kuratoren zum Freiraum, „in dem man eine Diskussion darüber führen kann, was heute Öffentlichkeit ist“. Daraus erwächst Grundsätzliches: Dass es Kunstvereine gibt, zählt für Iris Dressler und Hans D. Christ zu den zentralen Punktren der kulturpolitischen Landschaft in Deutschland. „Es ist wichtig, dass es die Kunstvereine gibt, und dass es sie auch weiterhin geben wird“, sagt Hans D. Christ.
Ein Blick hinaus warnt. In Spanien etwa , sagt Hans D. Christ, „gibt es heute zehn große Museen und keine Ausstellungsmöglichkeiten für die Künstler“. Für Christ sind die Kunstvereine in ihrer Heterogenität ein „Potential, das sich gerade an der Peripherie abbildet“. Aber was ist das eigentlich, die Peripherie? „Die Annahme einer Selbstbestimmung“. Diese wird europaweit immer schwieriger. „Der Erhalt der zeitgenössischen Kunst ist im Moment ein enormes Problem“, sagt Hans D. Christ. Und: „Wir werden mit einer dramatischen Entwicklung konfrontiert: in vielen Ländern brechen die dazu benötigten Infrastrukturen weg“.
Acht Jahre lenken Iris Dressler und Hans D. Christ nun den Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Was haben Sie erreicht? „Die Frage der Komplexität“, sagt Hans D. Christ, „wird von uns als Kritik zurückgegeben“ – und eine Ironisierung der Kritik, sagt er, würde auf jeden Fall eine falsche Geste darstellen.