Bestatter Helmut Ramsaier in seinem Ausstellungsraum für Särge. Hier können seine Kunden die unterschiedlichsten Modelle begutachten. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Dem Tod ins Auge zu blicken fällt schwer – ist aber unausweichlich. Viele gehen einen Schritt weiter und regeln ihr Ende bis ins kleinste Detail. Warum das Planen der eigenen Bestattung erleichtert, statt beschwert.

Stuttgart - Lächelnd blickt das betagte Paar in die Kamera. Die blauen Augen des Mannes scheinen vor Glück aufzuleuchten, während er seine Ehefrau sanft an sich drückt. Das Bild ist eine Aufnahme aus dem Leben von Siegmund und Sarah Müller (Name geändert). Aufgenommen auf einer Kreuzfahrt irgendwo durch die Südsee. Es wird bei ihrer Trauerfeier auf einer Staffelei am Altar in der Kirche stehen.

In Deutschland sterben jährlich etwa 860 000 Menschen. In Stuttgart waren es im vergangenen Jahr 5507. Besonders der Tod eines Bekannten veranlasst laut einer Umfrage im Auftrag des Bundesverbands der Bestatter 73 Prozent der Befragten zum Nachdenken über die eigene Sterblichkeit. „Immer mehr wollen selbst entscheiden, was nach dem Tod mit ihrer sterblichen Hülle geschehen soll“, sagt Antje Bisping vom Bestatterverband.

Bis aus Friedhofs- und Bestattungsgebühren ist alles bezahlt

Die Müllers haben mittlerweile eine genaue Vorstellung davon, wie ihre Trauerfeier ablaufen soll. Sie haben sich im übertragenen Sinne ihr eigenes Grab geschaufelt: Vom Blumenschmuck bis hin zur Deckengarnitur im Sarg, dem Aufbahren in der Trauerhalle und dem Versenden der Trauerkarten – längst ist all das vertraglich festgehalten und bis auf die Friedhofs- und die Bestattungsgebühren bezahlt. Gebettet in einem Sarg aus Vollholz wird einer der beiden Stuttgarter auf das gemeinsam ausgesuchte Bild blicken und im engsten Kreis dem Geliebten Lebewohl sagen. Wenn sie im Sarg liegt, werden die Rosen weiß sein, wenn er zuerst gehen muss, rot.

Helmut Ramsaier lebt seit mehr als 40 Jahren täglich von und mit dem Tod. Der Stuttgarter Bestatter, 68, graues Haar, bietet Kunden wie den Müllers an, den eigenen Tod zu regeln, solange sie noch voll im Leben stehen. Rund 700 Vorsorgen hat der Bestatter aus dem Stadtteil Vaihingen aktuell im Bestand, monatlich schließt er bis zu fünf Verträge ab, die im Schnitt nach sieben Jahren mit dem Tod des Kunden in Kraft treten.

Die Vertragspartner von Ramsaier sind auffallend oft Frauen. Der Altersdurchschnitt liegt bei 70 aufwärts. Besonders die betagten Herren, so beobachtet der Bestatter, schalten bei beim Thema Vorsorge in den Verdrängungsmodus: „Das ist wie eine Mutprobe. Es geht schließlich um die eigene Existenz, die man plant auszulöschen und für die man auch noch bezahlt“, sagt Ramsaier.

Schutz der Hinterbliebenen ist Grund für Planung eigener Bestattung

Was aber bewegt Menschen wie die Müllers dazu, ihr Begräbnis vorab zu planen? Und wie gelingt es, sich vernünftig mit dem eigenen Ableben zu beschäftigen, ohne sich von Todesangst überwältigen zu lassen?

Der Trend zur sogenannten Bestattungsvorsorge hänge auch mit der Abschaffung des Sterbegeldes der gesetzlichen Krankenkassen zusammen, sagt Antje Bisping vom Bestatterverband. Seit 2004 muss jeder selbst für seine Beerdigung finanziell aufkommen. Weil die vertraglich festgehaltene Bestattervorsorge vor dem Zugriff des Sozialamts geschützt sei, würden vor allem Pflegebedürftige, deren Pflegeversicherung nicht ausreiche, Verträge abschließen. Damit schützen sie Erspartes, das eigentlich für das Begräbnis gedacht ist. Zudem lasse sich der Trend laut Bestatterverband auch auf die neue Generation zurückführen, die nicht mehr nur über das eigene Leben, sondern auch über den Tod mitbestimmen wolle.

Bestatter Ramsaier kennt aus vielen Gesprächen mit seinen Kunden noch eine emotionalere Begründung. Fast immer sei der Gedanke an die geliebten Menschen, die zurückbleiben, ausschlaggebend für den Abschluss einer Bestattungsvorsorge: Sie gilt es im Todesfall zu entlasten. Trauerpsychologe Thomas Schnelzer argumentiert in die gleiche Richtung. „Der Tod ist immer eine Erschütterung. Die Hinterbliebenen sind im Ausnahmezustand. Sie sind geschockt, wie gelähmt und blockiert. Gibt es eine Vorsorge, bleibt mehr Zeit und Kraft übrig, um sich mit der eigentlichen Trauer zu beschäftigen“, sagt er.

„Die Vorsorge ist ein langsames Vorbereiten auf das Sterben“

Der Trauerpsychologe und Theologe ist überzeugt: Die Vorsorge bietet die Chance, über die eigene Endlichkeit nachzudenken und ist eine Gegenbewegung zur Verdrängung von Sterben und Tod. Ein überraschender Todesfall, sagt Schnelzer, sei aus psychologischer Sicht für Angehörige viel einschneidender: Hier beginnt die Verarbeitung des Verlusts mitten im Leben, Trauernde können sich nur schrittweise der Realität bewusst werden und nehmen ihren eigenen Schock nicht wahr. „Die Vorsorge ist ein langsames Vorbereiten auf das Sterben und macht vorgreifende Trauer möglich“, sagt der Theologe, dessen Lehrbuch deutschen Bestattern in der Ausbildung die Grundsätze der Trauer erklärt.

Seinem eigenen Tod ins Auge zu schauen, das kam für Siegmund Müller erst gar nicht infrage. Lange hat sich der 83-Jährige dagegen gewehrt, bis zu dem Tag, als die Diagnose kam: Schilddrüsenkrebs. Heute geht es ihm besser, obwohl noch zig Metastasen in seiner Hüfte sind. Was mit ihm selbst nach seinem Tod geschieht, interessiert den Schwerkranken nicht. Dennoch hat er sich mit seiner Frau um die Vorsorge gekümmert, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die drei Jahre jüngere Sarah Müller ihren Mann überleben, mit dem sie seit 55 Jahren ihr Leben teilt.

Die beiden sind in derselben Straße aufgewachsen. Seit der Hochzeit war das Paar kaum einen Tag getrennt. Alleine weiterzuleben ist für die Müllers nur schwer vorstellbar – trotz einer gemeinsamen erwachsenen Tochter. Beide sind sich deshalb einig: Egal wer zuerst geht, der Zurückgelassene muss trauern können, ohne von der Last der Beerdigung erdrückt zu werden. „Nach der Entscheidung war ich total erleichtert. Ich habe das auch gemacht, um mir die Angst vor meinem und seinem Tod zu nehmen“, sagt Sarah Müller.

Tote sollte man nicht loslassen

Doch wie geht es nach dem Tod weiter? Der Psychologe hält die Praxis des Loslassens für den falschen Ansatz. „Vielmehr bleibt ein inneres Abbild des Toten im Herzen des Hinterbliebenen und schafft damit eine reale Beziehungsmöglichkeit über den Tod hinaus. Um diese Beziehung aufrechtzuerhalten, braucht es einen Ort der Trauer, das Grab“, sagt Schnelzer. Hat der Verstorbene selbst diesen Ort mitgestaltet, schafft das eine starke Verbindung, die dem Drang des Trauernden, weiterhin Kontakt zu halten entgegenkommt.

Der 80-jährigen Sarah Müller selbst scheint das Abschließen des Vertrags leichter von der Hand gegangen zu sein als ihrem Ehemann: Für ihn hat die eigentliche Herrausforderung erst mit der vertraglich vereinbarten Planung der Beerdigung in all ihren Details begonnen. Bei den Vorsorgeterminen hat Bestatter Ramsaier immer einen dicken Katalog dabei. Mit sanfter Stimme und ohne Hast präsentiert er Seite für Seite die Vielfalt der Bestattungskultur: Erd- oder Feuerbestattung? Sarg oder Urne? Edles Vollholz oder ökologisch abbaubar? Eigene Kleidung oder Leichenhemd? Behutsam ermittelt der Bestatter so die Wünsche seiner Kunden und nähert sich mit jeder weiteren Seite dem unvermeidlichen Auslöschen der eigenen Existenz.

Der heikelste Punkt ist das Aufsetzen der Todesanzeige: „Da geht es das erste Mal um das eigene Ich. Damit verkündet man sein Ende und lädt gleichzeitig zur Trauerfeier ein“, erklärt Ramsaier. Das haben die Müllers mittlerweile hinter sich gebracht. Und seitdem sie ihren Vertrag abgeschlossen haben, sehen sie den Friedhof mit anderen Augen. „Wenn wir dort spazieren gehen, schaue ich nach schönen Grabsteinen und sage dann zu Siegmund: ,Schau, den will ich später mal haben!‘“