Sie beraten Valerie Grappendorf (rechts) und andere Gründerinnen: Lisa Stoll, Christine Bauer und Tuğba Küpeli (von links). Foto: Roberto Bulgrin

Der Anteil der Männer, die ein Start-up aufbauen, ist wesentlich größer als der der Frauen. Doch woran liegt das? Die Beteiligten an einem neuen Förderprogramm an den Hochschulen im Kreis Esslingen berichten von ihren Erfahrungen.

Junge Frauen bekommen die Start-up-Coachs Lisa Stoll, Christine Bauer und Tuğba Küpeli seltener zu sehen als junge Männer. In den Gründungsschmieden ihrer Hochschulen in Esslingen und Nürtingen zeichnet sich im Kleinen eine große Entwicklung ab: In deutschen Start-up-Gründungsteams sind nur etwas mehr als 20 Prozent Frauen. Das besagt unter anderem eine Studie des „Startup Verbands“. Die möglichen Gründe, die Frauen abhalten, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, sind den Beraterinnen der Hochschulen zufolge unterschiedlich. Ein neues Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums hat Stoll, Bauer und Küpeli nun aber mehrere Frauen in die Büros gebracht.

 

Eine von ihnen ist Valerie Grappendorf. „Ich arbeite an einer App, die helfen soll, den digitalen Konsum besser zu kontrollieren“, erzählt die 27-Jährige. Die Bildschirmzeit der Menschen, besonders junger Erwachsener, steige – was Grappendorf in ihrem eigenen Leben als Problem sieht. Sie habe viel ausprobiert, beispielsweise Apps für gewisse Zeiten blockiert. „Aber es fehlt ein Anreiz, um sein Verhalten zu ändern.“ Das will Grappendorf ändern. Mit ihrer Idee steht sie noch ganz am Anfang, weshalb sie weiter in einem Start-up als Produktdesignerin arbeitet. Durch das Programm „Exist-Women“ erhält die Stuttgarterin nun nicht nur Hilfe in Form von Beratung an der Hochschule Esslingen, Workshops und Netzwerktreffen, sondern auch ein dreimonatiges Stipendium, sodass sie in ihrem Job reduzieren kann. „Dadurch habe ich Zeit, mich auf meine Idee zu konzentrieren“, sagt Grappendorf. Das sei ungewöhnlich in solch einer frühen Phase.

Gründerinnen haben oft Selbstzweifel

Gerade für Frauen ist diese Unterstützung aber wichtig, machen die Gründungsberaterinnen deutlich. „Frauen sind sehr sicherheitsbewusst“, sagt Bauer, die gemeinsam mit Stoll bei GründES an der Hochschule Esslingen arbeitet. Viele zweifelten an sich und ihrer Idee – anders als die meisten Männer. Und während männliche Gründer in die Beratungen gingen, mit dem Fokus darauf, ihre technische Idee umzusetzen, gehe es bei Frauen auch viel um Persönlichkeitsentwicklung, sagt Küpeli, die bei Zukunft.Gründen an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen tätig ist. „Exist-Women“ ist außerdem nicht nur auf technologische Neuerungen ausgerichtet, sondern themenoffen, es fördere etwa auch social Entrepreneurship. Da technische Wirtschaftsbereiche eher männerdominiert sind, fallen viele Frauen in so manch anderem Förderprogramm durch das Raster, erläutern die Gründungsberaterinnen. Zudem helfe ein Förderprogramm nur für Frauen bei der Vernetzung mit anderen Gründerinnen.

Vereinbarkeit von Familie und Selbstständigkeit

Darin sieht auch Theodora Chatzipavlidis einen großen Vorteil. „Tatsächlich geht es in einem Start-up viel darum, sein Netzwerk auszubauen“, sagt die 28-Jährige aus Neckartenzlingen, die über die Hochschule in Nürtingen am Exist-Programm teilnimmt. Chatzipavlidis steht kurz davor, mit zwei Partnern eine erste Beta-Test-Version ihrer Idee „Travelout“ auf den Markt zu bringen – eine Matchingapp, um passende Reisebegleiter zu finden. Schon während ihres Finanzen- und Entrepreneurship-Studiums habe sie festgestellt, dass nur vergleichsweise wenig Frauen gründen. Das habe sie motiviert, bei „Exist-Women“ mitzumachen. „Oft ist es so, dass man als Gründerin leider unterschätzt wird“, so Chatzipavlidis. Sie selbst habe zwar noch keine solche Erfahrung gemacht, weiß aber um die Nachteile durch verzerrte Wahrnehmungen und andere Voraussetzungen für Frauen.

Aber warum braucht es überhaupt mehr Gründerinnen? Das Bundeswirtschaftsministerium ist der Ansicht, dass derzeit Gründungspotenzial nicht ausgeschöpft wird, wie es in Veröffentlichungen zu „Exist-Women“ heißt. Doch um dieses zu heben, muss sich noch einiges tun. Es brauche mehr weibliche Vorbilder, die jüngeren Frauen zeigten, dass sie etwas bewegen könnten, sagt Stoll. Christine Bauer findet zudem, dass derzeit noch die weibliche Sicht in vielen Wirtschaftsbereichen fehle. Denn: „Frauen haben oft eine andere Motivation als Männer, ihnen ist es wichtig, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.“ Stoll, Bauer und Küpeli hoffen, dass das Förderprogramm über die angesetzten zwölf Monate hinaus weitergeführt wird. Doch auch über die Starthilfe hinaus sehen die Expertinnen Veränderungsbedarf. „Die Vereinbarkeit von Familie und Selbstständigkeit muss verbessert werden“, so Stoll. Selbstständige bekommen kein Elterngeld – für viele Frauen ein Hinderungsgrund.

Hintergründe zum Programm und zur Statistik

Exist Women
  2023 hat das Bundeswirtschaftsministerium sein Programm zur Start-up-Förderung aus der Wissenschaft um „Exist Women“ ergänzt. Gemeinsam mit den zwei Hochschulen im Kreis Esslingen beteiligen sich aus Stuttgart die Hochschule der Medien, die Hochschule für Technik sowie Uni Stuttgart und Uni Hohenheim. Die sechs Partner gestalten das einjährige Kursprogramm gemeinsam.

Daten
 Laut „Startup Verband“ waren 2022 gut 20 Prozent der Mitglieder in Gründungsteams weiblich. Nach Definition des Verbands gilt ein junges Unternehmen als Start-up, wenn es ein signifikantes Mitarbeiter- oder Umsatzwachstum und/oder eine innovative Technologie oder ein innovatives Geschäftsmodell hat. Für den Kreis Esslingen gibt es nur Zahlen zu Neugründungen insgesamt. Laut Daten des statistischen Landesamtes waren 2022 ein Drittel der 4156 Gewerbetreibenden, die neu gegründet haben, Frauen.