Geschmacklose Post: Zum Todestag von Susannes Ex-Mann wird dem Paar eine Karte zugeschickt, darauf zu sehen eine Frau in Unterwäsche auf einem Grab. Der Ordner mit dem belastenden Material ist prall gefüllt. Foto: Andreas Reiner

Fake-Pornobilder, geschmacklose Zuschriften, Missbrauch der Adresse: Das Paar aus einem schwäbischen Dorf wird seit Jahren terrorisiert. Sie haben einen Verdacht. 

Es sind drastische Worte, die Susanne wählt, wenn sie über ihre Zukunft spricht: „Entweder ich akzeptiere, dass das jetzt mein Leben ist oder ich hänge mich auf“, sagt sie. Denn sie und ihr Partner Andreas, deren Namen die Redaktion geändert hat, gehen seit Jahren durch die Hölle, heute sind die Beiden mit ihren Nerven am Ende. Seit 2019 leidet das Paar unter Stalking, Rufmord und regelrechtem Psychoterror. Die Ungewissheit, wann der nächste Angriff droht, zermürbt die Beiden. Aufgeben kommt für sie aber trotz allem nicht in Frage: „Ich tue ihr nicht den Gefallen“, sagt Susanne in Richtung der Frau, die sie im Verdacht haben.

 

Polizei-Ermittlungen wegen Stalking und Verleumdung

Zwar ließ sich das juristisch im Zuge von zwei Strafanzeigen bislang nicht beweisen. Aber die Beiden sind sich sicher, wer es auf sie abgesehen hat. Alle Wege führen zu dieser einen Person. Bisher hat es die Polizei jedoch nicht geschafft, die Beschuldigte zu überführen.

Im vergangenen Jahr ermittelten die Beamten wegen des Verdachts auf Stalking und übergaben den Fall an die Staatsanwaltschaft, seit Mai laufen die Ermittlungen wegen des Verdachts einer Verleumdung. „Der Ermittlungsvorgang ist bislang noch nicht abgeschlossen“, heißt es von der Polizei. Zum Inhalt der Ermittlungen geben die Beamten keine Auskunft, ausschließlich die Staatsanwaltschaft sei dazu berechtigt. Von dort heißt es, das Verfahren stehe vor dem Abschluss, aber Details könnten erst veröffentlicht werden, wenn alle Verfahrensbeteiligten informiert worden seien. „Sie sollen es nicht aus den Medien erfahren“, sagt der Sprecher.

Fake-Pornobilder werden auf ein Veranstaltungsplakat geklebt

Susanne und Andreas sind enttäuscht von den Behörden, sie hätten sich mehr Anstrengungen bei den Ermittlungen gewünscht. Das Paar lebt in einem Einfamilienhaus auf dem Land, am Rande eines kleinen verschlafenen Dorfs. Vor den Beiden liegt auf ihrem Esstisch der schwere, prall gefüllte Ordner mit den über die Jahre gesammelten Dokumenten, die für die Polizei relevant sein könnten. „Was müssen wir noch an Beweisen liefern?“, fragt Andreas kopfschüttelnd. Susanne blättert in dem Ordner, zieht immer wieder etwas aus den unzähligen Klarsichtfolien. Bald ist der massive Holztisch von den geschmacklosen Briefen und Bildern bedeckt. „Würde aufpassen, sonst bekommen es alle direkt mit, was für ein Kinderficker du bist“, steht in einem Brief.

Andreas versucht, die vergangenen vier Jahre zu rekonstruieren – und erzählt, wie sich sein Leben und das seiner Partnerin in dieser Zeit verändert hat. Susanne hat sich immer weiter aus ihrem sozialen Umfeld zurückgezogen, Ämter in Vereinen abgegeben, „man will die anderen ja nicht mitreinziehen“, sagt sie. Andreas überlegt heute bei jedem Bild zweimal, ob er es wirklich in den Sozialen Netzwerken posten sollte – aus Angst, es könnte wieder missbraucht werden. So wie einmal auf einem großen Plakat für eine örtliche Veranstaltung, das mit mehreren Fake-Pornobildern der Beiden überklebt wird. „Sugar Mommy Susanne: alt, feucht und dauergeil“, steht dort unter einem der Fotos, das eine nackte Frau mit Susannes Kopf und gespreizten Beinen zeigt.

In der Poststelle des Arbeitgebers sei die Sache bekannt, die Kollegen genervt

Zum Todestag von Susannes Ex-Mann wird ihnen eine Karte zugeschickt, darauf zu sehen eine Frau in Unterwäsche auf einem Grab, überschrieben mit: „Endlich wieder Jahrestag“. Als „Witwenrammler“ wird Andreas in den beleidigenden Briefen an Freunde, Bekannte und den Arbeitgeber der Beiden immer wieder bezeichnet. Beinahe jeder, der in irgendeiner Verbindung zu Susanne und Andreas steht, wird mit solchen Zuschriften belästigt.

Eines Morgens öffnet Susanne ihr geschäftliches Mail-Postfach, es ist mit unzähligen Nachrichten überflutet: Mehr als 12 000 Newsletter-Anmeldungen seien es gewesen. Allein das Löschen der Mails nehme einen ganzen Arbeitstag ein. In der Poststelle des Unternehmens sei die Sache bereits bekannt, die Kollegen genervt: Immer wieder werden „bergeweise“ Kataloge an Susannes Arbeitsplatz geschickt. „Die mussten wir erstmal wieder alle abbestellen“, klagt sie. Briefe mit Vorwürfen des Arbeitszeit-und Sozialversicherungsbetrugs habe die Beschuldigte direkt an ihren Arbeitgeber geschickt. 600 Euro müssen die Beiden deshalb für einen Anwalt berappen.

Susanne erhält Briefe von Kinderwunschkliniken und Schönheitschirurgen

Die Psycho-Angriffe verschonen kaum einen Lebensbereich von Andreas und Susanne: An ihrer privaten Anschrift werden sie immer wieder von nicht bestellten Paketen überrascht, auch an Vereine und ihre Eltern gehen Blumen, Trauerkarten oder Luftballons. Immer auf Rechnung – natürlich auf ihre Adresse. „Wir waren nur damit beschäftigt zu schauen, wo das nächste Paket droht“, erzählt Susanne. Insgesamt mehr als 150 hätten sie bereits bei sich Zuhause erhalten: Mal mit Sexspielzeug, mal mit Windeln, mal mit Kinderklamotten.

Irgendwann erhält Susanne Briefe von Kinderwunschkliniken und Schönheitschirurgen in ganz Europa. Auch dort hat sie sich nie registriert. Doch die Verdächtige habe die Macht über die Daten der Beiden – und kenne kein Erbarmen, diese zu missbrauchen. „Die macht sich wirklich Arbeit“, sagt Susanne. Irgendwann erhalten sie und Andreas Zahlungserinnerungen für eine Tierhalterhaftpflichtversicherung, die sie nie selbst abgeschlossen haben. Sie haben überhaupt kein Haustier.

Opferschutzorganisation: „In der Dimension haben wir das noch nie gehabt“

Als das Paar einmal vom Urlaub nach Hause kommt, steht in ihrer Einfahrt vor der Garage ein großer Bauschutt-Container. In Auftrag gegeben hatten sie den nicht. Ein anderes Mal klingelt ein Mann vom Bodensee an der Haustür: „Ich bin der große Hase“, sagt er zu Susanne. Sie habe auf seine Kontaktanzeige in der Zeitung mit Adresse, Bild und Telefonnummer geantwortet. Das hat Susanne aber nie. Vier, fünf weitere interessierte Männer rufen sie an. Auch bei einem Datingportal wird sie angemeldet – das merkt Susanne, als sie die Mail mit ihrem Benutzernamen erhält: „FeuchteWitwe“.

Freunde erhalten Einladungen zu einer Hochzeit der Beiden, eine, zu der sie gar nicht eingeladen haben und die auch nicht stattfindet. Die Verdächtige scheint keine Ruhe geben zu wollen – und lässt sich immer wieder neue Dinge einfallen, um die Beiden weiter zu terrorisieren. „In der Dimension haben wir das noch nie gehabt“, heißt es von einer Opferschutzorganisation, von der das Paar den Rat bekommt, in die Anonymität abzutreten, weil sie selbst auch nicht weiterhelfen könnten. „Es war so frustrierend, ich habe gesagt: ‚Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr’“, erzählt Susanne. Überall wird über die Beiden und die Sache geredet: In der Nachbarschaft, in den Vereinen, beim Arbeitgeber, immer wieder hätten sich Bekannte gemeldet und gefragt: „Was ist los bei euch?“

Irgendwann mache die Stalking-Verdächtige einen Fehler

Mittlerweile sei es ruhiger geworden – aber das habe nichts zu bedeuten, sagt Susanne: „Immer, wenn man denkt, jetzt ist Ruhe, kommt die nächste Sache.“ Deshalb machen sie ihre Geschichte jetzt öffentlich – in der Hoffnung, dass das Druck auf die Behörden ausübt. Susanne und Andreas kämpfen weiter, sammeln belastendes Material, bald in einem zweiten Ordner. Irgendwann mache die Verdächtige einen Fehler – und dann schlagen sie zu.