Frank Ackermann ist Philosoph, Autor und Gelegenheits-Stadtführer. Foto: Martin Bernklau

Frank Ackermann führt an Hölderlins Geburtstag zu historischen Orten großer Dichter und Denker.

S-Mitte - Das Hegelhaus gegenüber dem Tagblatt-Turm ist das älteste erhaltene Wohnhaus Stuttgarts, die Geburtsstätte von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dort begann am Mittwochnachmittag ein „idealistischer Stadtspaziergang“ zum Geburtstag von Friedrich Hölderlin, der im selben Jahr 1770 zur Welt kam wie sein Freund, der Philosoph (und auch Beethoven). Dritter im Bunde der späteren Tübinger Stifts-Studenten war der etwas jüngere Schelling, gleichfalls idealistischer Denker. Und mit Schiller, dem rebellischen Karlsschulen-Zögling und Regiments-Mediziner von nebenan, war das Quartett vollzählig. Aber noch ein paar weitere Lebensorte von großen Geistes-Gestalten jener Zeit machen für den philosophischen Führer Frank Ackermann das Zentrum Stuttgarts zum Ort einer Dichte, „wie sie keine andere deutsche Residenzstadt aufweisen kann außer vielleicht Weimar“.

Im Hegelhaus, wo Frank Ackermann samstags zum Philosophischen Café lädt, betrachtete die Gruppe in den schön hergerichteten Gedenkräumen auch ein Stammbuch mit dem Blatt Hölderlins für den Denkerfreund: „Lust und Liebe sind die Fittige zu großen Thaten“. Dann ging es hinaus, um die Ecke, an unwirtliche und unwirkliche Stätten gesichts- und geschichtslosen Bauens: wie dem heutigen Josef-Hirn-Platz. Dort war irgendwo die Wohnung Schellings, wo Hölderlin oft zu Gast war. Im leer stehenden, verrammelten und verfallenden Nachkriegshaus Eberhardstraße 63, wo Friedrich Schiller von 1780 an zwei Jahre wohnte, muss es – Ackermann hat es gesehen – über die äußere Gedenktafel hinaus innen ein kunstvolles Schiller-Relief aus Zeiten lang vor der Bombenzerstörung geben. Mit dem verehrten, gut zehn Jahre älteren Freiheitsdichter Schiller allerdings hatte Hölderlin, wie Hegel und Schelling auch, nur entfernt-schüchternen Kontakt in Jena, wohin all die Schwaben damals pilgerten.

Dem Hochverratsprozess entkommen

Am Platz des heutigen Wilhelmsbaus stand die Regimentskaserne, in der Medicus Schiller als eine Art Leibeigener seines Herzogs Carl Eugen bis zur spektakulären Flucht im September 1782 nach Mannheim seinen Dienst schob und als Trunkenbold galt. Gegenüber war das erste Haus am Platze, das Hotel „Deutscher Kaiser“. Dort machte im Jahr 1804 der psychisch schon angeschlagene Hölderlin mit seinem Freund Sinclair auf der Durchreise von Nürtingen nach Homburg Station, und beide entgingen nur knapp einem Hochverratsprozess als vermeintliche Aufrührer gegen den verhassten Tyrannenkönig, den „dicken Friedrich“. Im „Deutschen Kaiser“ haben aber auch Goethe oder das junge französische Dichtergenie Arthur Rimbaud genächtigt.

Das Kopfende der Königstraße, früherer Stadtgraben, hat eigentlich keine historischen Gebäude mehr. Am Platz des Geburtshauses von Gustav Schwab, dem Sagen-Schwab und schwäbischen Dichterkreis-Oberhaupt, steht heute Deichmann. Im Sterbehaus des Dichters, Musikers, und auf dem Hohenasperg vom Herzog willkürlich geschundenen Freiheitshelden Christian Daniel Schubart verkauft Boss Edeltextil. Maredo brät Steaks im späteren Wohnhaus des Hegel-Familie. Wo das Gymnasium illustre die späteren Stipendiaten des Herzogs siebte und drillte, in aller Regel für ein Pfarramt der Landeskirche, steht an einem historisierenden Neubau die Aufschrift S. Oliver. Im Haus seines Freundes und Förderers, des Tuchhändlers Christian Landauer an der Gymnasiumstraße 1, Ecke Königstraße, hatte Hölderlin in den Jahren um 1801 seinen Wohnsitz als Hauslehrer und schuf hier seine berühmten Hymnen wie „Stutgart“ oder „Brod und Wein“. Dort logiert heute ein nobler Juwelier.

„Zweifellos der größte Sohn der Stadt“

An der Ecke Kienestraße, bei der Parfümerie Douglas, erinnert eine Tafel an das Cotta-Haus des berühmten und mächtigen Verlegers der Klassiker. Auch des gebildeten Lebemanns Giacomo Casanova wird neben der Markthalle mit einer solchen Tafel gedacht – ohne erschöpfende Erklärung allerdings. Im damaligen Hotel Bären hatte der hoch verschuldete Hurenbock Herzog Carl Eugen den venezianischen Mädchen-Vermittler 1760 festgesetzt – wegen hoher Spielschulden. Casanova konnte fliehen.

Am alten, dem hinteren Teil des Rathauses steht in luftiger Höhe seit 1905 eine neugotische Statue Hegels, des „zweifellos größten Sohns der Stadt“, so Frank Ackermann – auf einem erhabenen Postament, so hoch, dass die meisten Passanten mit der Tafel darunter überhaupt nichts anfangen können. Immerhin weist sie auf das nahe Hegelhaus hin, wo die Führung im Kellergewölbe ausklang. Es gab einen Weißwein, „Hölder Spätlese trocken“, zu kosten. Die dem Dichter gewidmete Rebenzüchtung von der staatlichen Versuchsanstalt Weinsberg wird in Württemberg allerdings so gut wie nicht angebaut. Winzer aus Freyburg im sächsisch-anhaltinischen Anbaugebiet Saale-Unstrut keltern das durchaus edle Gewächs.