Tomate mit Mozzarella und Roastbeef werden als Vorspeise serviert. Bis zum Hauptgang müssen die Teilnehmer aber noch den einen oder anderen Kilometer zurücklegen. Foto: Heinz Heiss

Seit April bietet Stuttgart Marketing multikulinarische Rundgänge durch den Stuttgarter Westen an.

S-West - Der Stuttgarter Westen hat viel mehr zu bieten als ein Parkplatzproblem. An jeder Ecke gibt es Cafés, Kneipen und Restaurants – vom kleinen Imbiss bis zum Sternegastronomen. Der Bezirk besticht durch seine historische Architektur, die größte Zahl an zusammenhängenden Gründerzeitbauten im Stadtgebiet findet sich dort. „Man lebt gerne hier“, sagte die Stadtführerin Beate Geier beim multikulinarischen Rundgang durch den Westen am Samstagabend.

Die meisten Stuttgarter wissen das. Doch schon kurz hinter der Stadtgrenze scheint der Westen zu einem grauen Fleck auf dem Stadtplan zu verschwimmen. Bisher sei sie immer nur auf der Königstraße oder im SI-Centrum in Möhringen gewesen, sagt Sandra Geisel. Zusammen mit ihrer Freundin Martina Roth ist sie heute Abend von Reutlingen nach Stuttgart gekommen. Die beiden jungen Frauen wollen „einfach mal etwas anderes kennenlernen“. Und haben sich dafür eine besondere Stadtführung ausgesucht. Denn beim multikulinarischen Rundgang gibt es – wie der Name schon sagt – nicht nur historische Details und stadtgeschichtliche Anekdoten, sondern auch ein Drei-Gänge-Menü. Einer der Hauptgründe, warum sich die 25-jährige Silke Weber auf die Tour durch den Westen freut. Sie studiert in Karlsruhe, und so eine Mahlzeit bekommt man als Studentin schließlich nicht jeden Tag geboten.

Jeder Gang wird in einem anderen Restaurant serviert

Seit April bietet Stuttgart Marketing für einen Preis von 56 Euro pro Person diese Rundgänge durch den Westen an. Jeder Gang wird in einem anderen Restaurant serviert, zwischen Aperitif, Hauptgericht und Dessert geht es kreuz und quer durch den Bezirk, dabei legen die 13 Teilnehmer schon den einen oder anderen Kilometer zurück. „Heute müssen sie sich keinerlei Sorgen machen, dass die Kalorien ansetzen könnten“, scherzt Beate Geier, als sich die Gruppe um 18.30 Uhr vor dem Literaturhaus gegenüber der Liederhalle trifft, also eher am Rand des Westens, denn das Literaturhaus liegt im Bezirk Mitte. Zu viel verraten darf man allerdings nicht. Die Route ist immer gleich, und der Reiz besteht vor allem darin, dass die Teilnehmer nicht wissen, welches Restaurant sie als nächstes ansteuern. Nur so viel sei verraten: von der mediterranen über die türkische bis zur schwäbischen Küche ist alles dabei. Aber es geht schließlich nicht nur ums Essen. Das findet auch Christel Knölke-Groß: „Das Kulinarische interessiert mich gar nicht so sehr.“ Ihr gehe es viel mehr um die historischen Bauten.

Die 71-jährige Stuttgarterin kennt die Stadt gut. Als die Gruppe an der Rückseite des Olgahospitals vorbeikommt, ist sie die einzige, die das Kinderkrankenhaus sofort erkennt. Und nicht nur das. Knölke-Groß erinnert sich sogar noch an das städtische Frauenkrankenhaus, das früher nicht weit vom Olgäle entfernt untergebracht war. „Da sind meine Kinder auf die Welt gekommen“, sagt sie. So manches Detail dürfte aber selbst für die 71-Jährige, die heute am Killesberg wohnt, neu gewesen sein.

Einer der am dichtesten besiedelten Bezirke der Republik

Jedenfalls staunen die Rundgangteilnehmer nicht schlecht, als Beate Geier sie an der Senefelderstraße in einen gewöhnlichen Innenhof führt und sie plötzlich vor dem Alten Zuchthaus stehen. Der wie ein Fremdkörper wirkende dunkle Bau war bis 1901 eine Strafanstalt für Schwerverbrecher. „Die Gefangenen mussten bis zu elf Stunden am Tag arbeiten und durften dabei nicht schwätzen“, sagt die Stadtführerin und fügt mit einem Lachen hinzu: „Zum Glück war es ein Gefängnis für Männer und nicht für Frauen.“ Heute seien in dem Alten Zuchthaus Wohnungen untergebracht.

Gegen 20.15 Uhr, kurz vor dem Hauptgang, kommt die Gruppe am Feuersee an. Die Zeitplanung ist perfekt. Die untergehende Sonne hat den Himmel leuchtend rot gefärbt. „Jetzt bekommen wir auch noch ein bisschen Romantik“, freut sich Beate Geier. Spätestens bei diesem Anblick dürfte es keinen der Teilnehmer mehr wundern, dass der Bezirk bei den Stuttgartern so beliebt ist. Rund 8500 Menschen leben dort laut Geier auf einem Quadratkilometer. In den 70er Jahren waren es sogar 13 000, zusammen mit Orten wie Berlin-Kreuzberg und Hamburg-Harburg sei der Westen einer der am dichtesten besiedelten Bezirke der Republik, damals wie heute.