Am DLR wird ein leichtes und sicheres Stadtauto entwickelt. Unser Bild zeigt Projektleiter Michael Kriescher (li.) und Team-Mitglied Thomas Grünheid vor einer Computeranimation Foto: DLR

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt entwickelt einen Stadtflitzer, der trotzdem maximale Sicherheit bei Unfällen bieten soll. Dazu gehören auch Crashtests, in denen Bauteile und Karosserien auf Herz und Nieren geprüft werden. Ein Laborbesuch.

Stuttgart - Was passiert, wenn ein viel größeres und schwereres Fahrzeug mit meinem Auto zusammenstößt? Diese Frage stellt sich so mancher Kleinwagenfahrer, wenn er sich zwischen all den SUVs und Kleintransportern durch den Verkehr kämpft. Die Sorgen der Kleinwagenfahrer sind in der Tat nicht ganz unberechtigt. In der Regel hätten bei Unfällen mit sehr ungleichen Fahrzeugen die Insassen des kleineren Wagens das höhere Verletzungsrisiko, sagt Michael Kriescher. „Da gibt es physikalische Gesetzmäßigkeiten, die sich nicht einfach außer Kraft setzen lassen.“ Ein schwerer Wagen besitzt nun mal eine deutlich höhere Bewegungsenergie.

Gerade deshalb müsse man bei kleineren Autos in puncto passiver Sicherheit „alles rausholen, was möglich ist“, sagt der Maschinenbauingenieur am Institut für Fahrzeugkonzepte beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart. Kriescher ist verantwortlich für ein Projekt namens SLRV (Safe Light Regional Vehicle). Ziel ist die Entwicklung eines leichten zweisitzigen Kleinwagens für den Stadt- und Regionalverkehr, der seine Passagiere sicher und umweltfreundlich ans Ziel bringen soll.

So ein Auto darf natürlich kein Schwergewicht sein, denn jedes Kilo mehr bedeutet zusätzlichen Energiebedarf beim Anfahren und Beschleunigen. „Unser Ziel ist ein Leergewicht von maximal 500 Kilogramm“, sagt Kriescher. Zum Vergleich: Ein zweisitziger Smart wiegt fahrbereit fast 900 Kilo. Die Karosserie des SLRV bringt ohne Antrieb, Fahrwerk und Innenausstattung lediglich 90 Kilo auf die Waage.

Strom aus der Brennstoffzelle

Den Strom für den Elektroantrieb soll eine wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle liefern. Grundsätzlich sei aber auch ein E-Antrieb mit Batterien als Energiespeicher möglich. Ein Verbrennungsmotor passt dagegen nicht in das Fahrzeugkonzept. Doch mit dem Antrieb beschäftigt sich ein anderes DLR-Team. Kriescher und seinen Mitarbeitern geht es vor allem um den Aufbau und die Sicherheit der Karosserie.

Wie sicher ein Auto bei einem Unfall wirklich ist, muss am Ende durch einen Crashtest untersucht werden – auch wenn Computersimulationen immer besser werden. Im Eingangsbereich des Instituts kann man das Ergebnis eines solchen Tests bewundern. An der Wand hängt ein Teil des SLRV-Vorderwagens, das eher an den Faltenbalg einer Ziehharmonika erinnert. Es wurde im Rahmen eines Crashtests zusammengequetscht, der sich an den US-Vorgaben für einen Frontalaufprall mit 56 Kilometern pro Stunde auf eine starre Wand orientiert.

An den verformten Teilen kann man gut den Aufbau des Materials sehen: Zwischen zwei Lagen Alublech befindet sich eine dickere Lage aus aufgeschäumtem Kunststoff – etwa aus PET, wie es auch für Plastikflaschen verwendet wird. „Diese Sandwich-Bauweise ermöglicht eine hohe Stabilität bei minimalem Gewicht“, erklärt Kriescher. Zudem seien die Kosten niedriger als etwa bei Kohlefaser-Werkstoffen, die bislang vor allem im Flugzeugbau eingesetzt werden. Um die Einzelteile der Karosserie zusammenzufügen, setzen die Entwickler hoch belastbare Klebstoffe ein.

Stabile Fahrgastzelle

Und wie verhält sich das komplette Auto im Crashtest? Kriescher zeigt das Video eines sogenannten Pfahlcrashs. „Dieser Test ist besonders schwierig für jede Karosserie“, sagt der Experte. Nach der europäischen NCAP-Norm wird dabei der seitliche Aufprall auf ein schmales Hindernis – etwa einen Mast oder Baum – mit 29 Kilometern pro Stunde nachgeahmt. Dies führt zu hohen Punkbelastungen, die es so zu verteilen gilt, dass die Fahrgastzelle weitgehend ihre Form behält und kein Insasse eingequetscht wird. Beim SLRV wird das durch einen wannenförmigen Aufbau und eine zusätzliche Querverstrebung erreicht.

In der DLR-Crashanlage wird nicht das Auto bewegt, sondern das Objekt, mit dem es kollidieren soll. Die Karosserie sitzt auf einem festen Schlitten. Am gegenüberliegenden beweglichen Schlitten ist senkrecht ein dickes Stahlrohr befestigt. Mithilfe von Pressluft wird der Schlitten in Sekundenbruchteilen beschleunigt und trifft auf die Karosserie. Um die Verformung des Materials genau zu erfassen, zeichnen Hochleistungskameras mit 1000 Bildern pro Sekunde auf, wie sich die aufgeklebten Messpunkte verschieben.

Neben dem Pfahlcrash unterzogen die Entwickler den SLRV auch einem Frontalcrash gegen eine Wand nach US-Norm. In beiden Versuchen habe der Kleinwagen gut abgeschnitten, sagt Kriescher. Mithilfe der gewonnenen Daten soll die Karosserie nun schrittweise weiterentwickelt werden. Bis zur Internationalen Automobilausstellung 2019 (12. bis 22. September) wollen die Stuttgarter ein fahrfähiges Forschungsfahrzeug auf die Räder stellen. Ob es ein Serienfahrzeug auf Basis des SLRV geben wird, hängt davon ab, ob sich ein Partner aus der Industrie findet, so Kriescher.

Crashsicherheit bleibt wichtig

Doch wird passive Sicherheit in einigen Jahren überhaupt noch so wichtig sein, wenn immer mehr Autos autonom unterwegs sind oder zumindest über immer bessere Sicherheitssysteme verfügen? „Unfälle wird es trotzdem noch geben“, meint Kriescher. So seien Reifenpannen weiterhin möglich. Zudem gebe es eine lange Übergangszeit, in der autonome und konventionelle Autos auf den Straßen unterwegs sein werden. Die Crashsicherheit bleibe deshalb ein wichtiges Thema.

Die DLR-Forscher denken sogar schon weiter. So sei vorstellbar, dass sich Autos an ihre Unfallgegner anpassen, sagt Kriescher. Ein Geländewagen, dessen Steuerung bemerkt, dass ein Crash mit einem Smart leider unvermeidbar ist, könnte seine Frontpartie nachgiebiger machen. Das würde das Verletzungsrisiko für die Kleinwagen-Insassen senken, ohne die Menschen im größeren Auto zu gefährden. Technisch könnte man das durch intelligente Bauteile realisieren, deren Verformbarkeit sich in Sekundenbruchteilen verändern lässt.

Sicherheit im Auto

Prinzip Für eine hohe Crashsicherheit braucht eine Karosserie nachgiebige Front- und Heckpartien, die sich beim Aufprall verformen und den Großteil der Bewegungsenergie aufnehmen. Das verringert die Kräfte, die auf die Insassen wirken. Dagegen muss die Fahrgastzelle möglichst stabil sein, damit genügend Überlebensraum bei Unfällen erhalten bleibt.

Projekt Das DLR entwickelt im Rahmen des Großprojekts Next Generation Car drei unterschiedliche Fahrzeugkonzepte. Eines davon ist der Stadtflitzer SLRV. Er soll bei geringem Gewicht eine hohe passive Sicherheit bieten, „was bestehende Fahrzeuge in diesem leichten Fahrzeugsegment oft nur unzureichend tun“, so Gerhard Kopp, Gruppenleiter Leichtbaufahrzeuge am DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte.

Video Hier gibt es ein Video zum Projekt SLRV