Auf der Sitzung des Gesamtkirchengemeinderat sendet Stadtdekan Sören Schwesig erste Signale zu einer radikalen Neuausrichtung der evangelischen Stadtkirche für das Jahr 2030. Man könnte aber sagen: Es ist die eine Rückbesinnung zu den Wurzeln des evangelischen Glaubens. Zudem fordert er mehr Qualität sowie Authentizität beim kirchlichen Angebot ein und kündigt politische Einmischung an.
Stuttgart - Stadtdekan Søren Schwesig hält seine Kirche auf Trab. Kaum hat der Evangelische Gesamtkirchengemeinderat die Kürzungen des Pfarrplans 2024 mit Grimmen beschlossen, geht Schwesig noch einen Schritt weiter. Auf der Sitzung am Freitagabend im Hospitalhof stellte er die Pläne für 2030 unter folgenden Titel: Wie und wohin wird und soll sich die Kirche in Stuttgart bis dahin entwickeln? „Zu diesem Zeitpunkt stehen uns nochmals große Strukturveränderungen bevor“, sagt er, „diese wollen wir jetzt diskutieren und so früh wie möglich steuern.“
In einer Klausur des Haupt- und Finanzausschusses hatte der Stadtdekan die Eckpunkte schon dargelegt. Danach habe man „wild durcheinander geredet ohne Bremsen im Kopf“. Im Grunde geht es darum, den Kirchenkreis Stuttgart neu zu denken. Es gilt: Einerseits die parochialen – also eigenständigen – Gemeindestrukturen zu bewahren und die Menschen zu binden. Andererseits darum, die Grenzen der Aufgaben und Schwerpunkte neu zu definieren. Daher sollen bis 2030 nur noch fünf große Distrikte den Kirchenkreis abbilden. „Die jeweiligen Schwerpunkte sollen dann auch den Milieus entsprechen“, sagt Schwesig. Sein Mitstreiter Christian Schwinge, Vorsitzender des Gesamtkirchengemeinderats, betont: „Der Ortsbezug soll bleiben, aber wir wollen bei der Verwaltung weg von den Gemeindestrukturen.“ Zudem müsse nicht mehr jede Gemeinde das „komplette Sortiment abdecken“.
Fundamentale Herausforderungen
Um die Mitglieder des Gesamtkirchengemeinderats von der Notwendigkeit dieser Schritte zu überzeugen, holte Søren Schwesig in seiner Rede tief aus: „Im begonnenen 21. Jahrhundert sieht sich die Kirche mit fundamentalen Herausforderungen konfrontiert. Sie existiert im Kontext von zunehmend multireligiösen, multikulturellen und säkularen Gesellschaften, inmitten eines kulturellen und religiösen Pluralismus, oft auch deutlichem Desinteresse gegenüber der Kirche oder Unkenntnis über die Kirche und ihre Arbeit.“ Damit ergeben sich für den Stadtdekan neben einer Anpassung der Strukturen auch andere Herausforderungen. Und über allem steht das Wort Qualität. Die Qualitätsfrage stelle sich auch für das Basisangebot: für den Gottesdienst, das „Kernstück jeder christlichen Gemeinde“. „Nichts ist für eine Kirche belastender, als wenn über ihre Gottesdienste abschätzig geredet wird; und nichts weckt mehr Freude und Dankbarkeit, als wenn Gottesdienste eine ausstrahlende und aufbauende, eine beflügelnde und klärende Wirkung entfalten“, sagt Schwesig.
Botschaft und Botschafter müssen eins sein
Will Kirche jedoch überzeugend sein, müssen Botschafter und Botschaft in einem Einklang stehen. Da sich die diakonische Arbeit der Kirche aber „zunehmend professionalisiert“ habe, bestehe die Gefahr der Gemeindeferne: „Die Gefahr einer Auseinanderentwicklung von Zeugnis und Dienst der Christen.“ Das soll sich laut Schwesig wieder ändern: „Die dringende Aufgabe lautet: Den Zusammenhang von Zeugnis und Dienst, nicht nur in den sozialdiakonischen kirchlichen Tätigkeiten, neu zur Geltung zu bringen.“ Was das für morgen bedeutet? Auch darauf bleibt Schwesig keine Antwort schuldig: „Kirche in der pluralistischen Gesellschaft muss eine bekennende Kirche sein. Das Authentische ist wichtig.“ Außerdem sei es besser, Geschichten zu erzählen, statt geschliffene Zitate vorzutragen: „Geschichten, die einen Widerhaken haben, bleiben hängen.“
Zuletzt entwickelt der Dekan die Vision einer politischen Kirche, die prophetischer Kritik Raum geben müsse. Kirche, zumal in Stuttgart, müsse sich in politische und gesellschaftliche Belange einmischen: „Kirche hat ein Wächteramt inne und bezeugt so das Evangelium von Jesus Christus in der Welt.“
Wie schon bei der Klausur spürte Schwesig am Freitag eine gewisse Aufbruchsstimmung: „Ich bin ein wenig begeistert darüber, dass viele erkannt haben, dass wir diese Chance für morgen jetzt nutzen müssen und den Blick aufs Ganze werfen.“