Symbolbild Jugendgewalt Foto: Hörner

Die Staatsanwälte in Württemberg beklagen eine steigende Brutalität bei Jugendlichen.

Stuttgart - Die Staatsanwälte in Württemberg haben ein schwieriges Jahr hinter sich. Aufsehenerregende Fälle, immer größere Brutalität bei Jugendlichen und chronischer Personalmangel haben 2009 geprägt. Einziger Lichtblick: Einige zusätzliche Stellen haben den Arbeitsdruck zumindest etwas gemindert.

Klaus Pflieger sieht ungewohnt aus an diesem Donnerstag. "Ich habe vergessen, dass Weiberfasching ist", sagt der Generalstaatsanwalt schmunzelnd und schaut an sich herunter. Da baumelt der Rest einer abgeschnittenen Krawatte. Doch das Delikt bleibt ungesühnt. "Ich werde davon absehen, von meinen Vorzimmerdamen Schadenersatz zu fordern", sagt der Chef aller Staatsanwälte Württembergs und schmunzelt, "zum Glück war das nämlich nur mein zweitschönster Schlips."

Ganz so humorvoll sind freilich die meisten Fälle im vergangenen Jahr nicht verlaufen für die Ermittler zwischen Ellwangen und Rottweil. Besonders das Frühjahr war geprägt von Horrormeldungen, wie sie die Region vorher nicht gekannt hat. "Diese schlimmen Ereignisse haben uns sehr bewegt", sagt Pflieger. Gemeint sind der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen mit 16 Toten, der Vierfachmord von Eislingen oder die Bluttat von Bad Buchau, wo zwei Jugendliche eine Nachbarin ermordet haben sollen.

Dass gerade diese besonders grausamen Taten von jungen Menschen begangen worden sind, ist kein Zufall. "In den vergangenen Jahren verzeichnen wir einen starken Anstieg bei der Jugendkriminalität", sagt Beate Weik, die lange in der Jugendabteilung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gearbeitet hat. Dabei steigere sich besonders die Gewaltbereitschaft enorm, gerade unter Alkoholeinfluss. "Die Bekämpfung dieses Phänomens ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, denn die Justiz kommt immer am Schluss", betont sie. Bei der Strafverfolgung habe sich die erzieherische Gestaltung des Jugendstrafrechts bewährt. Lediglich eine Anhebung der Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre sei im Sinne eines Schuldausgleichs denkbar.

Doch auch Pleiten für die Staatsanwaltschaften selbst haben 2009 Schlagzeilen gemacht. Allen voran im Gedächtnis bleibt die DNA-Panne im Heilbronner Polizistenmord. Im April 2007 war dort eine Polizeibeamtin geradezu hingerichtet worden, die Behörden verfolgten über Monate die DNA-Spur einer mysteriösen Frau, die sich an Tatorten in ganz Europa fand. Im vergangenen März stellte sich heraus, dass die Spur von verunreinigten Wattestäbchen stammte, die die Ermittler verwendet hatten. "Diese Trugspur, der wir mit viel Aufwand hinterhergerannt sind, war ein Debakel", gibt Pflieger unumwunden zu. Der Fall schmälere die DNA-Beweisführung aber nicht: "Er zeigt nur, dass wir immer zusätzlich einen weiteren Beweispunkt brauchen."

Was die Staatsanwaltschaften seit Jahren ebenfalls benötigen, ist zusätzliches Personal. Zumindest einen kleinen Lichtblick gab es 2009. Zum ersten Mal seit 15 Jahren hat man fünf neue Stellen bekommen, und weil gleichzeitig die Zahl der Fälle etwas zurückgegangen ist, konnten sich die Ermittler Luft verschaffen. "Ich sehe einen Silberstreif am Horizont", so Pflieger, der jedoch noch nicht von einem Trend sprechen will.

Nach wir vor fehlt rechnerisch 13 Prozent Personal, um die Belastung stemmen zu können. Das entspricht 35 Staatsanwälten. Im Jahr 2008 hatte die Quote mit fast 17 Prozent Personalfehlstand sogar einen Rekordwert erreicht. Jeder Staatsanwalt muss derzeit täglich knapp zehn Vorgänge abarbeiten. Dementsprechend ist der Berg an unerledigten Verfahren, den man vor sich herschiebt, mit 34600 immer noch hoch.

Immerhin: Die Verfahrensdauer hat sich seit 1993 von durchschnittlich 72 auf heute 47 Tage verkürzt. Verantwortlich dafür sind kürzere Wege und neue Techniken. "Das ist wichtig, weil speziell bei der Jugendkriminalität die Strafe möglichst der Tat auf dem Fuße folgen sollte", sagt Pflieger. Zudem bleibt Württemberg das sicherste Pflaster in ganz Deutschland: Hier gab es zuletzt nur 493 Beschuldigte auf 10000 Einwohner, in Berlin waren es mit 1068 mehr als doppelt so viele.

Herausforderungen gibt es für die Staatsanwälte trotzdem mehr als genug. Und nicht immer lassen sich die Fälle so schnell und diplomatisch lösen wie der Krawattenraub im Büro des Generalstaatsanwalts.