Der Kamin fällt maßgenau auf ein Bett aus Bauschutt. Foto: Gottfried Stoppel

Der fast 40 Meter hohe Schornstein der ehemaligen Firma Pfleiderer in Schorndorf ist am Freitag gesprengt worden. Auf dem Ex-Industrieareal sollen 131 Wohnungen entstehen.

Schorndorf - Die Dame mit dem kleinen Hund schaut besorgt. Kein Wunder: nur gute 50 Meter von ihrem Häuschen entfernt wird heute ein fast 40 Meter hoher Schornstein gesprengt. „Sie müsset koi Angscht haba“, beruhigt Hildegard Merkle die Seniorin. „I komm’ heut’ Mittag noch amol zu ihna.“ Merkle, 59 Jahre, dunkelrote Mähne und breiter Biberacher Dialekt, ist Sprengmeisterin und für das Ende des alten Kamins auf dem ehemaligen Pfleiderer-Areal verantwortlich.

Derweil sind Merkles Mitarbeiter und ihr Sohn Michael – „der hot als Kind scho gern ’zündelt“ – dabei, die Sprengung vorzubereiten. 3,2 Kilogramm Sprengstoff sind auf 34 Bohrlöcher verteilt. Wie genau sie den großen Knall zündet, will Merkle nicht verraten: „Die Zeiten sind nemme wie früher. Es gibt so viele Leut’, die nicht friedliebend sind“, sagt sie.

Bewohner müssen ihre Häuser verlassen

Die Menge des Sprengstoffs ist genau bemessen, die Fallrichtung des Schornsteins steht fest. Wie bei einem riesigen Baum aus Ziegelsteinen sind Stellen angesägt oder verstärkt, damit er auf dem dafür vorgesehenen Bett aus Bauschutt landet – dieses soll verhindern, dass Steine durch die Gegend fliegen. Zur Sicherheit sind dennoch Bewohner der umliegenden Häuser und Mitarbeiter der Betriebe in der Nähe dazu aufgefordert, den Bereich zu verlassen.

Unser Live-Video zeigt die Sprengung ab Minute 30:45:

Für viele ist die Sprengung ein Highlight. Ein kleiner Junge, der mit seiner Mutter und seinem Opa unterwegs ist, macht große Augen. „Nachher können wir dann zuschauen, wie der Bumm macht“, erklärt seine Mutter. Gleichwohl sie verrät, dass sie die Gebäude der Ex-Radiogerätefabrik irgendwie vermissen wird.

Mit dem „Niederbringen eines abgängigen Bauwerks“, so der Fachbegriff, endet ein Stück lokaler Industriegeschichte. Die Zeiten, in denen hier Radio- und Fernsehgehäuse aus Holz gefertigt wurden, sind seit den 1970er-Jahren passé. Auch der Second-Hand-Laden „Wühli“, der zwischenzeitlich auf dem Areal untergekommen war, musste sich vor einiger Zeit einen neuen Platz suchen.

Auf dem Areal sollen 131 Wohnungen zum Verkauf und zur Miete entstehen.

An Stelle der Pfleiderer-Gebäude will der Projektentwickler Bonava bis zum Jahr 2022 insgesamt fünf Mehrfamilienhäuser bauen, in denen 131 Miet- und Eigentumswohnungen Platz finden. In den 35 Mietwohnungen soll laut der Stadt Schorndorf bezahlbares Wohnen möglich sein. Bis es soweit ist, muss einiges geschehen: Bis Ende November soll der Rückbau der alten Fabrikgebäude abgeschlossen sein, erklärt Projektleiter Manuel Junker. „Wir hoffen, im Frühjahr mit dem Hochbau beginnen zu können.“

Um 15 Uhr ist es dann soweit: Mit einem kurzen, peitschenden Krach kippt der rostrote Koloss zur Seite, bricht mittig durch und landet genau auf der vorgesehenen Fläche. Der Regen verschluckt den aufsteigenden Staub. Manche im Publikum sind etwas enttäuscht – andere applaudieren für diese Punktlandung.