Der Tübinger Sportwissenschaftler Helmut Digel fordert: Die deutsche Sportpolitik muss dringende Probleme endlich anpacken.

Der Tübinger Sportwissenschaftler Helmut Digel fordert: Die deutsche Sportpolitik muss dringende Probleme endlich anpacken.

Stuttgart - Der Sport in Deutschland steht vor einem Berg von Problemen. Auseinandersetzen muss sich damit in erster Linie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). An diesem Wochenende tagen die Delegierten in Wiesbaden. Sie küren unter anderem ihren neuen Präsidenten – den Nachfolger von Thomas Bach, der zum Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewählt wurde. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Skiverbands (DSV), gilt als Favorit. Sollte er gewählt werden, muss er dicke Brocken wälzen.

Das erste Problem betrifft den deutschen Spitzensport, den der DOSB mit seinen Fachverbänden vertritt und der finanziell vom den Staat mit Steuergeldern unterstützt wird. Für den Spitzensport stellt sich längst die Frage der gesellschaftlichen Legitimation. Es ist ein kultureller Bedeutungsverlust zu beobachten, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sich seine Wertestruktur verändert hat. Es muss bereits von einem Werteverfall gesprochen werden.

Der Spitzensport von heute ist ein Produkt der Unterhaltungsindustrie, er folgt überwiegend einer ökonomischen Logik. Die Rolle der Athletinnen und Athleten hat sich dabei in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend verändert. Sie stellen überwiegend Einzelunternehmer dar, ihr Leistungshandeln ist unternehmerisches Handeln und ihre Leistungen werden als Ware am Markt betrachtet. Training und Wettkampf zeichnen sich dabei durch totalitäre Tendenzen aus. Will man erfolgreich sein, sind Bildung und Ausbildung unterzuordnen. Der moderne Hochleistungssport weist immer häufiger frühkapitalistische Produktionsmerkmale auf , es stellt sich die Frage der sozialen Verantwortung und der sozialen Gerechtigkeit.

Das zweite Problem hängt eng mit dem ersten zusammen. Der gravierende Werteverfall trifft vor allem die konstitutive Maxime, die den Hochleistungssport zu prägen hat, das Fair-Play-Prinzip. Immer mehr Athletinnen und Athleten stellen es in Frage. Die selbst gesetzten Regeln werden immer häufiger außer Kraft gesetzt. Am gravierendsten zeigt sich dies beim Dopingbetrug. Sämtliche Spitzensportverbände sind davon betroffen und vielleicht gerade deshalb wird der Dopingbetrug immer häufiger als nahezu naturgegeben hingenommen. Gleiches gilt für Wettkampf- und Ergebnismanipulationen.

Mitgliederproblem verweist auf ein viertes Problem

Das dritte Problem betrifft die Mitgliederentwicklung in den Mitgliedsorganisationen des Deutschen Olympischen Sportbunds. Der DOSB konnte sich in den vergangenen 60 Jahren als eine Organisation von Bürgern darstellen, die sich für die deutsche Gesellschaft als äußerst attraktiv erwiesen hat. Es war dabei ein stetiges Wachstum zu beobachten. Einige Sportarten haben sich dabei als besonders attraktiv erwiesen. Ein generelles Wachstum des DOSB scheint nun allerdings der Vergangenheit anzugehören. Die demografische Entwicklung der Bundesrepublik hat längst auch ihre Auswirkungen auf dem Gebiet des Sports. Einige Verbände haben in den vergangenen Jahren erhebliche Einbußen an Mitgliedern aufzuweisen.

Das Mitgliederproblem verweist auf ein viertes Problem, das sich vor allem in der Sozialstruktur der Sportorganisationen widerspiegelt. Dem Sport ist es schon immer schwer gefallen, das untere Drittel der Gesellschaft in seine Sportorganisationen einzubinden. Vor allem der Freizeit- und Breitensport war es, der sich seit Gründung des DSB im Jahr 1950 vorrangig an den Interessen der mittleren und oberen Schicht unserer Gesellschaft orientiert hat. Betrachtet man die sozial-strukturellen Bedingungen der deutschen Sportverbände von heute, so wird diese Mittelschichtorientierung offensichtlich. Dies gilt für Ehrenämter, aber auch für die Trainer und Übungsleiter.

Wenn in diesen Tagen einer neuer DOSB-Präsident gewählt wird, wenn ein neues Sportparlament gegründet werden soll, so stellt sich die Frage, wie der Deutsche Olympische Sportbund mit seinem Präsidium und seinem Präsidenten die Weichen für die zukünftige Entwicklung stellen wird. Gelingt eine glaubwürdige Legitimation des Spitzensports, die auf tatsächliche Veränderungen in der Praxis ausgerichtet ist? Wird sich der neue DOSB geschlossen dem Kampf gegen Doping stellen, um Täter auch in den eigenen Reihen einer gerechten Strafe zuzuführen? Geht man den Helfern der betrügerischen Machenschaften endlich ans Leder? Und mit welchen attraktiven Ideen kann es der deutsche Sport schaffen, die bisherigen Mitglieder zu binden und neue zu werben?

Will der neu gewählte DOSB diese Probleme lösen, so benötigt er Zeit und intelligente Ratgeber. Er benötigt vor allem Funktionäre, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, die aber auch bereit sind Risiken einzugehen, um tragfähige Lösungen für die anstehenden Probleme zu finden. Er benötigt schließlich auch Mitglieder, die nicht angepasste Ja-Sager sind, sondern sich ideenreich in die Diskussionen einbringen, wo immer der DOSB sich seinen Schwierigkeiten stellt.