Sport-Psychologe Werner Mickler über die Drucksituation in der jungen deutschen Elf.

Stuttgart - Herr Mickler, die junge deutsche Mannschaft steht gegen Ghana unter Druck, das erste Vorrunden-Aus in der deutschen WM-Geschichte droht. Was sollte Bundestrainer Jochim Löw im Ablauf vor dem Spiel ändern?

Gar nichts.

Gar nichts?

Ja. Er sollte noch mehr als sonst darauf achten, dass die Abläufe gleich bleiben. Es prasselt von außen schon viel Druck auf die Mannschaft ein, das reicht völlig. Wenn intern jetzt noch jeder betont, wie wichtig das Spiel ist, ist das kontraproduktiv.

Warum?

Dann könnten sich die jungen Spieler erst recht denken: "Um Himmels willen, was ist hier los, was steht denn hier auf dem Spiel?" Die Spieler machen sich dann zu viele Gedanken um das Drumherum, und sie können verkrampfen.

Wie kann Löw die Elf optimal einstellen?

Der Bundestrainer sollte den Fokus auf die Aufgaben auf dem Platz lenken. Wenn jeder einzelne Spieler klare Anweisungen bekommt, was er zu tun hat, ist in seinem Kopf gar kein Platz mehr für andere Gedanken. Die Taktik, das System, die Gegenspieler, die Spielzüge, das ist das Thema. Alles andere ist total unwichtig.

Haben Sie ein Idealbeispiel?

Ja. Nehmen Sie den kamerunischen Stürmer Samuel Eto'o. Der war für Inter Mailand im Champions-League-Finale gegen den FC Bayern fast nur in der Defensive beschäftigt. Klare Vorgabe von Trainer Mourinho, klares Ziel: hinten gut stehen. Es hat geklappt, Inter hat 2:0 gewonnen. Und Eto'o hat dabei 90 Minuten lang streng nach Vorgabe nur gegen den Ball gearbeitet. Der Trainer hatte einen klaren Plan, und der Spieler hatte ihn immer im Kopf. So muss es sein.

Zum deutschen Team - sollte Trainer Löw auch Negativszenarien, etwa einen frühen Rückstand, mit seinen Spielern durchspielen?

Ja - aber nur, wenn er ihnen im gleichen Atemzug Strategien an die Hand gibt, wie sie damit umgehen sollen. Da wären wir wieder bei den Aufgaben, die der Trainer den Spielern eintrichtern muss. Nur zu sagen, dass ein frühes 0:1 doch gar kein Problem ist, weil noch lange zu spielen ist, reicht sicher nicht. Er muss den Spielern genau sagen, wie sie nach einem Rückstand spielen sollen, ob er dann das System umstellt - nur dann macht so was Sinn.

Was können die Spieler selbst tun, um sich optimal auf das Spiel vorzubereiten?

Sie sollten sich ihre Aufgaben vor Augen halten, die sie auf dem Platz umsetzen sollen. Im Ablauf vor dem Spiel sollten sie nichts ändern. Da ist es hilfreich, auch mal abzuschalten, etwa beim Musikhören, um dann voll konzentriert ins Spiel zu gehen.

"Für die jungen Spieler ist das eine Riesenchance"

Wäre gegen Ghana ein erfahrener, turniererprobter Spieler wie der verletzte Kapitän Michael Ballack Gold wert?

Nicht unbedingt. Was passiert denn, wenn er schwach spielt und die anderen sich nicht wie erwartet an ihm hochziehen können?

Dann stehen sie dumm da, weil sie mehr Verantwortung übernehmen müssen.

Ganz genau. Ohne Ballack wissen die unerfahrenen Spieler von vornherein, dass sie in der Pflicht stehen. Es gibt keine Ausreden, sie müssen ihre Aufgaben erfüllen.

Aber ein Spieler von der Qualität und Erfahrung Ballacks ist für jedes Team ein Segen.

Sicher. Aber für die jungen Spieler ist das eine Riesenchance. Jetzt stehen sie im Fokus, sie können der Welt zeigen, was sie in solch einem Spiel drauf haben. Sie sollten mit der Einstellung 'Ich gehe da raus und zeige es allen' auf den Platz laufen.

Sollten die jungen Spieler auch mal ein Zeichen setzen und einen Gegenspieler bewusst hart anpacken - so wie es Ballack in großen Spielen gerne tut?

Nur wenn es der Mannschaft hilft. Das muss sich aus dem Spiel heraus entwickeln. Wenn ich das nur mache, um den eigenen Druck abzubauen und die eigenen Emotionen auszuleben, ist das der falsche Weg. Solche Aktionen müssen bewusst kommen - etwa um die Mannschaft wachzurütteln.

Welcher der jungen Spieler ist am ehesten in der Lage, mit einer perfekten Einstellung ins Spiel gegen Ghana zu gehen?

Die beiden Bayern Thomas Müller und Holger Badstuber. Sie haben in der vergangenen Saison in der Champions League solche Situationen erlebt. Das Spiel gegen Turin in der Vorrunde, das sie gewinnen mussten und dann auch gewonnen haben, ist das beste Beispiel. Da waren die beiden dabei.