Sind deutsche Sport-Funktionäre bei Wahlen in Gremien des Weltsports nur noch zweite Wahl? Die Pleite von Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop beim Weltverband deutet darauf hin. „Das war schlecht vorbereitet“, kritisiert Alt-Funktionär Walther Tröger.
Stuttgart - Es kommt schon mal vor, dass sich Helmut Digel in Rage redet. Der ehemalige Bundesliga-Handballer und Leichtathletik-Funktionär, so sagt man, war nicht dabei, als sie den Diplomatenpass erfunden haben. Zwei Tage vor Beginn der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Peking schäumt er allerdings vor Wut. Weil Clemens Prokop bei der Wahl in die Regierung des Welt-Leichtathletikverbands (IAAF) gescheitert war, witterte Digel, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte bei der Kür der 15 Council-Mitglieder. Angeblich habe ein Konkurrent des DLV-Präsidenten unter den Delegierten goldene Uhren als Anreiz verteilt. „Das wurde mir berichtet“, schimpfte Digel, „ob es wahr ist, kann ich nicht sagen. Aber es steht der Verdacht im Raum – das ist schlimm genug.“
Jetzt steht die deutsche Leichtathletik zumindest in den nächsten vier Jahren auf der Nebenbahn. Und ein alter Verdacht wird neu genährt: Sind deutsche Sport-Funktionäre international nur noch zweite Wahl?
Was für Prokop eine krachende Niederlage bedeutet, ist auch eine Bauchlandung für Helmut Digel. Denn der frühere DLV-Präsident saß selbst 20 Jahre am Tisch des hohen Rats der IAAF. Und es hätte am Ende seiner Dienstzeit zu seinen Pflichten gezählt, den Staffelstab unfallfrei weiterzureichen an Clemens Prokop. Irgendwas ist aber schiefgegangen. Und IOC-Ehrenmitglied Walther Tröger, selbst über Jahrzehnte in internationalen Gremien vertreten, ahnt auch was. „Das war schlecht vorbereitet“, kritisiert der frühere Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) für Deutschland.
Gekaufte Stimmen?
Das wird Clemens Prokop vermutlich nicht gern auf sich sitzen lassen. Er erzählte nach dem Waterloo von freigiebigen Menschen, die in den Tagen vor der Wahl „immer wieder Tüten und Taschen verteilten. Es gibt sehr viel reiche Leute, denen ein hoher Posten im internationalen Sport sehr wichtig ist“. Dann holte der Chef der deutschen Leichtathleten noch einmal tief Luft und ergänzte: „Ich bin schon lange dabei, aber ich habe noch nie erlebt, dass mit einem so hohen zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwand Wahlkampf betrieben worden ist. Da habe ich nicht die Ressourcen, um mitzuhalten.“
Digel wurde noch deutlicher: „Da sind wieder Leute dabei, die im Council noch nie einen sinnvollen Satz gesagt haben.“ Und manch einer habe bis heute nicht den Nachweis erbracht, zur Entwicklung der Leichtathletik beigetragen zu haben. Es gibt also einiges zu besprechen während der Tage in Peking – am besten gleich mit dem frisch gekürten IAAF-Präsidenten Sebastian Coe. Waren die Doping-Enthüllungen der ARD schuld daran, dass Prokop derart abgewatscht wurde? Warum wurde dann der Brite Coe zum neuen Präsidenten gekürt? Schließlich wusste auch die „Sunday Times“ das eine oder andere aus dem angeblichen Doping-Sumpf um die IAAF zu berichten.
Hilfe von der Kanzlerin
Rainer Brechtken kennt nicht die Stimmen-Arithmetik unter Leichtathleten, der Präsident des Deutschen Turnerbunds (DTB) weiß aber aus eigener Erfahrung, dass sich deutsche Funktionäre mit ihrem Vorstellungen international öfter mal auf vermintem Gelände bewegen. „Da gelten andere Regeln.“ Er platzierte seinen Sportdirektor Wolfgang Willam in der Schaltzentralen des Welt-Turner-Verbands (Fig). Mit Erfolg. Die Turn-WM 2019 ging nach Stuttgart. „Wir brauchen im deutschen Sport gemeinsame Strategien, wie wir uns international besser vernetzen“, fordert Brechtken, „und öfter mal die Hilfe der Politik.“ Das Grußwort der Kanzlerin, schätzt er, habe Stuttgart sehr geholfen.