Wir sitzen alle zu viel. Und bewegen uns zu wenig. Auch weil es in der Stadt nicht genug Möglichkeiten dafür gibt. Das soll sich ändern. Stuttgart selbst soll zur Bewegung einladen und anregen. Für 200 Flächen gibt es Ideen zur Umgestaltung.
Stuttgart - Der Name ist sperrig und nicht sonderlich sexy. Urbanes Bewegungskonzept, was soll man sich bloß darunter vorstellen? Nun, man kann es in der Innenstadt neuerdings sogar sehen. Die Fitnessgeräte auf dem Kleinen Schlossplatz sind selbsterklärend, doch auch eine Brezel kann ein Bewegungskonzept sein. Tobias Bauer hat in acht verschiedenen Farben eine Brezel auf das Stäffele am Hirschbuckel gesprüht: Das soll dazu anregen, die Treppen zu laufen.
Warum braucht es ein urbanes Bewegungskonzept?
Die Vorgaben sind nicht hoch. Doch scheitern die allermeisten daran. Die Ärzte der Weltgesundheitsorganisation haben sich einmal angeschaut, wie man sich vor Fettleibigkeit, Diabetes, Herzerkrankungen schützen kann. Am besten gelingt dies, wenn man sich bewegt. Erwachsene sollten 150 Minuten in der Woche Sport treiben, dazu zählt auch das Radeln oder schnelleres Gehen. Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 17 Jahren sollten sich eine Stunde am Tag bewegen, jüngere Kinder drei Stunden. In Stuttgart gelingt dies in der Altersklasse zwischen 14 und 17 Jahren bei den Jungen 17 Prozent, bei den Mädchen sind es sieben Prozent. Das soll sich ändern, ein urbanes Bewegungskonzept soll die Stadt lebenswerter und einladender machen.
Was ist ein urbanes Bewegungskonzept?
Das sind erst einmal Orte, an denen es möglich ist, sich zu bewegen. Und Orte, an denen es Spaß macht, sich zu bewegen. Und zwar ausdrücklich nicht klassische Sportplätze. Derzeit gibt es in Stuttgart daneben 143 000 Quadratmeter Flächen, die für Bewegung und Sport eingerichtet wurden. Die Hälfte davon sind Bolzplätze, 17 Flächen für Skater gibt es, 89 für Tischtennis, zwei für Parkour, sechs Trampoline, vier Schachbretter und drei für Tischkicker. Nun hat federführend das Sportamt 200 weitere Flächen ausfindig gemacht, Ideen ausgearbeitet, was man dort so alles tun könnte.
Was für Ideen gibt es?
Auf 53 Flächen in allen 23 Stadtbezirken will man demnächst tätig werden. So möchte man in Bad Cannstatt an der Überkinger Straße eine Slackline zum Balancieren installieren oder am Spielplatz Neckarine einen Baby-Pumptrack bauen. In Birkach am Anna-Haag-Weg könnte man ein Trampolin aufbauen und eine inklusive Schaukel, die auch Behinderte nutzen könnten. In Feuerbach kann man sich am Höhenweg einen „Räuber-Hotzenplotz-Weg“ vorstellen. Und in der Innenstadt am Karlsplatz sollen lange Wippen und Hängematten entstehen.
Was ist bereits geschehen?
Im Doppelhaushalt für die Jahre 2020/21 sind 1,32 Millionen Euro bereitgestellt. Die Fitnessgeräte auf dem Kleinen Schlossplatz stehen, auch jene in Freiberg im Funpark. In Stammheim hat man etwa Bodenmarkierungen erstellt für Kinder zum Hüpfen und Spielen sowie Pumptracks in Rot und Dürlewang. Unter der Paulinenbrücke im Süden wird eine Fläche für Skater entstehen, zudem Fitnessgeräte, eine Slackline zum Balancieren auf einem Seil. Ein in der Innenstadt bisher schmerzlich vermisster Übungsplatz für kleine Radfahrer wurde bereits eingeweiht.
Wie motiviert man Jugendliche?
Der Jugendhilfeausschuss des Gemeinderats hat das urbane Bewegungskonzept sowie ein Grundkonzept für den Jugendsport unter Beifall befürwortet. In einem ersten Schritt könnten laut der Vorlage von Bürgermeister Clemens Maier 2022 und 2023 fünf sogenannte Pop-up-Gyms samstags in ausgewählten Sporthallen realisiert werden, betreut von Jugendbegleitern der Sportvereine. Die Sportkreisjugend Stuttgart will pro Jahr zu zwölf Schnuppersamstagen für verschiedene Sportarten einladen. Die Jugendsportkonzeption als Bestandteil des Gesamtkonzepts soll nach dem Wunsch der Stadträte geschlechtersensibel an das Thema herangehen. Wie, das wird erst noch eruiert. „Wir wissen noch nicht endgültig, welche Bewegungsart im öffentlichen Raum Mädchen anspricht“, sagt Franziska Borst vom städtischen Amt für Sport und Bewegung.
Was ist mit den Stäffele?
Der Frankfurter Landschaftsarchitekt Dirk Schelhorn ist mit seinem Büro einer der Vordenker beim Umgestalten von städtischen Räumen in Spiel- und Sportflächen. Er hat das Sportamt beraten. Und war sofort begeistert von den Stäffele. „Nichts Besseres für das Kreislauftraining“, sagt er. Allerdings fiel ihm auf, dass Ruhemöglichkeiten fehlen. „Auch das ist wichtig“, sagt er, „wenn Sie an einem Absatz sich mal hinsetzen, durchschnaufen können, ist dieser Raum sofort attraktiver.“ Und für diejenigen, die richtig gefordert werden wollen, denkt man über eine Ninja-Staffel nach. So könnte man entlang der Treppen verschiedene Stationen zum Klettern und Hangeln aufbauen. Und eine Rutsche, die einen wieder nach unten führt.
Wie machen es die anderen?
SAP-Gründer Dietmar Hopp gibt sein Geld nicht nur für den Fußballclub TSG Hoffenheim aus. Er hat auch mit 45 Millionen Euro 19 sogenannte Alla-hopp!-Anlagen im Rhein-Neckar-Gebiet finanziert. Die sind mindestens 5000 Quadratmeter groß und enthalten einen Bewegungsparcours mit Geräten, an denen ein Zirkeltraining möglich ist. Dazu einen Kinderspielplatz für kleine Kinder. Auf einem Bewegungsplatz für Schulkinder kann man über Eisenbahnschienen balancieren, ein Labyrinth erkunden, durch Tunnel krabbeln, an meterhohen Stangen klettern, Hügel erklimmen. Es gibt einen Trampolingarten, Seilgarten oder einen Mikadowald mit Holzstämmen. In Hamburg hat man einen Bewegungspark auf einen Autobahndeckel gebaut. In Odense in Dänemark haben sie aus einem Leichtathletikstadion eine Bewegungslandschaft mit Hügeln und Tälern gestaltet.
Und in der Nähe?
Reutlingen hat sein Altstadtkonzept auf den Weg gebracht. An fast 40 Orten hat man dort in der Innenstadt Wege und Plätze umgebaut. Da gibt es nun Wasserbecken zum Spielen, Bodentrampoline, Klettern an der Kirchenwand, Minigolf in der Fußgängerzone. Waiblingen hat für die Landesgartenschau die Talaue umgestaltet, Wege an die Rems geschaffen, Spielplätze saniert und neu gebaut, eine Skate-Anlage errichtet.