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Unter großem öffentlichen Interesse hat das Sozialgericht Heilbronn ein womöglich richtungsweisendes Urteil gefällt. Die Richter entschieden, dass die Deutsche Spätregenmission Rentenbeiträge für ein ehemaliges Mitglied nachzahlen muss.

Heilbronn/Besigheim - Unter großem öffentlichem Interesse hat das Sozialgericht Heilbronn am Dienstag ein womöglich richtungweisendes Urteil gefällt. Demnach muss die Deutsche Spätregenmission Rentenbeiträge für die 64-jährige Charlotte B. (Name geändert) aus der Nähe von Besigheim nachzahlen. Sie hatte von 1965 an 15 Jahre lang in der Glaubensgemeinschaft mit Sitz in Beilstein (Kreis Heilbronn) gelebt, die Freikirche hatte aber nie Beiträge für sie in die Rentenkasse eingezahlt. In mindestens 23 weiteren, ähnlich gelagerten Fällen steht noch eine Entscheidung aus. Sollte die Spätregenmission auch hier zur Nachzahlung verpflichtet werden, müsste sie vermutlich etwa eine halbe Million Euro dafür aufbringen.

Frau B. zeigte sich erleichtert über das Urteil. Ihre Rente bewege sich derzeit am Existenzminimum. Offen ist allerdings noch, ob die Spätregenmission das Urteil akzeptiert und keine Berufung einlegt. Darüber wollten weder Martin Illig, der Vorsitzende der als Verein organisierten Spätregenmission, noch deren Rechtsanwältin Veronika Klein am Dienstag Auskunft geben.

In dem Verfahren ging es im wesentlichen um die Frage, ob Frau B. in der Spätregenmission versicherungspflichtige Arbeiten verrichtete und – falls ja – ob die Ansprüche auf Rentenbeiträge noch gelten oder bereits verjährt sind. Die Freikirche vertrat die Auffassung, dass die Tätigkeiten, die ihre Mitglieder damals im Glaubenshaus in Beilstein verrichteten, freiwillig zum Wohle der Gemeinschaft geleistet wurden. „Das war vergleichbar mit einer Lebensgemeinschaft: Jeder brachte sich mit dem ein, was er am besten kann“, erklärte Rechtsanwältin Klein. Daher bestehe für Aussteiger kein Anspruch auf Rentenbeiträge. Im Übrigen stehe es Frau B. frei, wieder zur Spätregenmission zurückzukehren und sich im Alter dort versorgen zu lassen. Sie sei also „nicht unversorgt“. Hinzu komme, dass selbst wenn Frau B. einen Anspruch auf die Nachzahlung von Rentenbeiträgen gehabt hätte, dieser nun ohnehin verjährt wäre, betonte Klein.

Bei der Rentenversicherung hingegen war man überzeugt, dass eine Beitragspflicht bestand. Dabei berief man sich unter anderem auf die Aussagen von Frau B., die vor Gericht von Arbeitsbedingungen berichtete, die sehr wohl auf eine versicherungspflichtige Beschäftigung hindeuten: Sie habe nach fest eingeteilten Arbeitsplänen mindestens acht Stunden am Tag hart gearbeitet, auch am Wochenende. In der Küche und bei der Kinderbetreuung sei sie ebenso eingesetzt gewesen wie in der Näherei, und sie habe – anders als von Rechtsanwältin Klein behauptet – durchaus Vorgesetzte gehabt, die Druck gemacht hätten, wenn ihre Leistung nicht gestimmt habe. Im Übrigen wolle sie keinesfalls zurück zu der Freikirche.

Auch in puncto Verjährung war die Rentenversicherung anderer Ansicht: Zwar seien die Ansprüche auf Nachversicherung nach 30 Jahren tatsächlich verjährt. Doch die Freikirche habe der Rentenkasse das Ausscheiden von Frau B. nie mitgeteilt, daher könne die Verjährungsfrist gar nicht greifen. Ans Licht gekommen war die Problematik erst, als Frau B. vor einigen Jahren ihren Versicherungsverlauf bei der Kasse klären lassen wollte.