Eine Gruppe von Ermittlern im Justizministerium in Stuttgart versucht die Identität von Flüchtlingen zu klären, damit diese abgeschoben werden können. Ein zeit- und ressourcenintensives Unterfangen.
Asylbewerber gehören abgeschoben, erst recht wenn sie keinen Anspruch haben hier zu bleiben und wenn sie schwere Straftaten begangen haben. Mit dieser Forderung gehen inzwischen nicht nur die weit rechts außen positionierten Politiker hausieren. „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“ lautet auch ein Zitat des Bundeskanzlers. Allerdings: zwischen politischer Ansage und praktischer Umsetzung liegen manchmal Welten.
Das weiß kaum jemand besser als Falk Fritzsch und sein Team. Fritzsch leitet den Sonderstab „Gefährliche Ausländer“, der im Stuttgarter Justizministerium angegliedert ist. 35 Mitarbeiter hat die Einheit, mit Ablegern in Karlsruhe, Freiburg und Tübingen. Die Mission: Gefährliche Ausländer dazu bringen, das Land zu verlassen – sei es freiwillig oder im Abschiebeflugzeug. Bis die – nahezu durchgehend männliche – Klientel aber so weit ist, das Land zu verlassen, ist es ein weiter Weg.
Tausende haben keine Papiere
Zu identifizieren, welcher Ausländer so gefährlich ist, dass man ihn besser außer Landes weiß, das ist der einfachere Teil der Aufgabe. Die Daten kommen vom Landeskriminalamt oder sind bekannt, weil die entsprechende Person bereits verurteilt worden ist. Das Problem liegt auf einer anderen Ebene. Ein Drittel der rund 26 000 Ausreisepflichtigen im Land kann nicht abgeschoben werden, „weil deren Identität nicht geklärt ist“, sagt Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU). Bei einem Teil fehlen die Reisedokumente, beim anderen Teil weiß man nicht einmal mit Sicherheit, aus welchem Land die Person stammt. „Und wenn man es weiß, dann scheitert die Abschiebung oft an der Kooperation des Herkunftslandes“.
An all diesen Punkten setzt der Sonderstab an. So wie im Fall eines beninischen Staatsbürgers, der wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Raub zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Benin hat keine Botschaft in Berlin, der Mann hatte keine Papiere, das macht eine Abschiebung praktisch unmöglich. Erst mit Hilfe des deutschen Botschafters in Cotonou gelang es dem Sonderstab die Rückführung auszuhandeln, zunächst per Charterflug nach Ghana, von dort aus auf dem Landweg in die Heimat des Mannes.
Italien verweigert die Rücknahme
Anderes Beispiel, ähnliche Probleme. Ein Gambischer Flüchtling war über Italien eingereist, hatte im Kreis Schwäbisch Hall ein Dorf in Angst und Schrecken versetzt und wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Eigentlich sähe das Dublin-Abkommen vor, dass der Mann nach Italien zurückgeschickt werden müsste – doch Italien verweigert seit einem Jahr die Aufnahme. „Wir bleiben auf solchen Personen einfach sitzen“, sagt Fritzsch. Eine Abschiebung nach Afrika war ebenfalls nicht möglich, der Mann hatte keinen Pass. Mit detektivischer Akribie habe der Sonderstab nach Hinweisen gesucht, die klären, woher er kommt, erklärt Fritzsch. Letztlich mit Erfolg, die gambischen Behörden stellten dem Mann einen neuen Pass aus, er wurde im September des vergangenen Jahres abgeschoben.
Gambia ist das erste Land, bei dem die EU von einem neuen Instrument Gebrauch machte, um die Kooperation bei Abschiebungen zu erhöhen: Sie hob im Dezember 2020 die Gebühren für Visa an. Das sei der richtige Weg, sagt Siegfried Lorek. Die Schweiz koppele ihre Entwicklungshilfe inzwischen an die Bereitschaft der Empfängerländer, ihre Staatsbürger zurück zu nehmen. So etwas wünscht er sich Lorek auch.
Somalia akzeptiert nur die freiwillige Rückkehr
Seitdem der Sonderstab seine Arbeit 2018 aufgenommen hat, sind 418 gefährliche Straftäter abgeschoben worden – und es wurden 241 strittige Identitäten geklärt. Und es wurden immer wieder erfolgreich Straftäter dazu gebracht, das Land freiwillig zu verlassen. So wie im Fall eines somalischen Staatsbürgers, der aus mehreren Gründen etwas Besonderes ist. Der Mann hatte im August 2018 seinen Hausarzt in Offenburg mit mehr als 30 Messerstichen getötet und wurde vom Landgericht aufgrund von Schuldunfähigkeit freigesprochen – und in eine psychiatrische Klinik gebracht. Der Mann galt weiterhin als gefährlich – der einzige Maßstab, der für den Sonderstab relevant ist.
Allerdings: Somalia stellt seinen Staatsangehörigen nur dann Papiere aus, wenn diese angeben, auch freiwillig zurück zu gehen. Bei dem 24 Jahre alten Mann konnte diese Freiwilligkeit durch eine Rückkehrhilfe in Höhe von 500 Euro befördert werden. Geld für Straftäter – dass dies kein konfliktfreies Vorgehen ist, das wissen auch die Beteiligten. Allerdings: In der Gesamtwürdigung scheine uns das manchmal sinnvoll, sagt Falk Fritsch. Zumal die freiwillige Ausreise die deutlich kostengünstigere Alternative im Vergleich zu einem von Sicherheitspersonal begleiteten Charterflug ist. Bei dem fallen schon einmal Kosten von mehr als 20 000 Euro an – pro Abgeschobenem.