Ein Angebot, dass man nicht ausschlagen kann - die Mafia im Film: Marlon Brando als "Der Pate" Foto: AP

Die Autorin Petra Reski über Strategie und Erfolg der italienischen Mafia in Deutschland.

Stuttgart - Der Einfluss der italienischen Mafia in Deutschland, sagen Experten und Ermittler, ist so stark wie nie. Die deutsche Autorin Petra Reski, seit 20 Jahren in Italien zu Hause, hat gerade ein aufsehenerregendes Buch über organisiertes Verbrechen in Deutschland veröffentlicht.

 

Frau Reski, ist Deutschland ein Mafialand?

Wenn man bedenkt, dass die Mafia bereits vor 40 Jahren nach Deutschland kam und sich seither ziemlich ungestört ausbreiten konnte, muss man feststellen, dass Deutschland schon lange nicht mehr lediglich "Rückzugsraum" für die Mafia ist, sondern ein Land, in dem sie beste Geschäfte macht. Das bestätigen sowohl die Ermittlungsakten des Bundeskriminalamts als auch die erfahrenen Ermittler der organisierten Kriminalität in Deutschland und in Italien.

Woran kann man erkennen, dass eine Gesellschaft von der Mafia unterwandert ist?

Etwa daran, dass niemand über die Präsenz der Mafia spricht.

Die Mafia macht sich unsichtbar?

Die Mafia macht ihre großen Geschäfte immer dann, wenn sie sich unsichtbar macht. Deshalb war das Blutbad in Duisburg 2007 extrem kontraproduktiv. Die Mafiosi selbst haben es als Betriebsunfall verbucht. Die Morde haben die Bevölkerung auf die Existenz der Mafia in Deutschland hingewiesen. Allerdings dauerte die Aufmerksamkeit nur kurz. Bald danach wurden die Deutschen wieder in den langjährigen Schlaf gewiegt, in dem sie sich 40 Jahre lang befunden haben.

Was macht die Bekämpfung so schwierig?

Man muss sich vor allem von der Idee verabschieden, dass die Mafia eine Verbrechensorganisation wie jede andere ist. Das Bild vom Krebsgeschwür ist irreführend, weil es suggeriert, dass man die Mafia für einen Fremdkörper hält, etwas, das man aus der gesunden Gesellschaft herausschneiden, isolieren und entfernen könnte. Man muss verstehen, dass die Mafia immer mit der Gesellschaft verflochten ist. Die Mafia ist nie ein Fremdkörper in der Gesellschaft, sie ist immer Teil von ihr. Sie sucht immer den sozialen Konsens, in Italien wie in Deutschland.

Dann sind auch Deutsche im Spiel?

Die Mafia kann ihre Geschäfte nicht machen ohne die tatkräftige Unterstützung von deutschen Helfershelfern. Sie braucht deutsche Strohmänner, deutsche Notare, die genau wissen, dass dies ein Mafiageschäft ist, das sie gerade absegnen, deutsche Rechtsanwälte, deutsche Steuerberater bis hin zu deutschen Bankdirektoren, Baudezernenten, Lokalpolitikern - die ihnen Bürgschaften des Landes verschaffen oder europäische Fördergelder. Bis hin zu deutschen Ehefrauen, die wissen, dass die Geschäfte ihrer Ehemänner nicht sauber sind. In den letzten Jahren ist die italienische Mafia verstärkt in die deutsche Bauindustrie eingestiegen, eines ihrer klassischen Geschäftsfelder. Mafiose Subunternehmer übernehmen öffentliche Aufträge, führen sie mit Dumpingpreisen aus - weil sie keine Steuern und keine Sozialabgaben bezahlen und die Baumaterialien mit ihren Lkw transportieren. Die großen deutschen Bauunternehmen wissen, dass diese Subunternehmer ihre Aufträge mit diesen Dumpingpreisen nicht legal ausführen können, schon weil Stahl oder Beton einen präzisen Preis hat. Das geschieht überall, in Dortmund, Erfurt, Duisburg, Stuttgart oder München. Wichtig ist, gesellschaftliche Kontakte zu knüpfen. Die Clans wissen, wer sie deckt.

Ist die Mafia der Gegenstaat zum Rechtsstaat?

Der Begriff Gegenstaat ist irreführend. Die Mafia bekämpft den Staat ja nicht, sie versucht ihn für sich zu nutzen. In Italien hat sie sehr erfolgreich bewiesen, wie man Gesetze für sich selbst schafft, wie man Politiker ins Parlament wählt, die für die Mafia arbeiten. Das ist das Zukunftsmodell.

Ist es nicht sehr einfach, der Mafia alles in die Schuhe zu schieben, die Korruption...

...Korruption findet man überall auf der Welt. Das weiß die Mafia auch, sie nutzt das für ihre Geschäfte. Der römische Staatsanwalt Vincenzo Macrà, der Vizechef der Nationalen Antimafiabehörde, hat mir gesagt: Korruption funktioniert in Deutschland besser als Einschüchterung. Geld überwindet jedes Hindernis. Die Mafia passt sich den Gepflogenheiten eines jeden Landes an.

Welche Art Geschäfte macht die Mafia?

Die klassischen Standbeine der Mafia sind der Drogen- und Waffenhandel, die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafiaorganisation, ist der größte Kokainhändler in Europa. Hinzu kommen Giftmüllentsorgung, die Bauindustrie, Immobilien, öffentliche Aufträge aller Art. Subventionsgelder abzukassieren ist eine Spezialität der Mafia. Deutschland ist für die Mafia in erster Linie interessant für die Geldwäsche, dazu eignen sich öffentliche Aufträge bestens.

"Stuttgart ist eine Mafia-Hochburg"

In deutschen Ohren klingt Geldwäsche eher nach einem Kavaliersdelikt.

Auch in den Ohren der meisten Europäer. Geldwäsche bedeutet aber, dass kein anständiger Unternehmer mit den Summen konkurrieren kann, die die Mafia investiert. Geldwäsche bedeutet, dass die Konkurrenz ausgehebelt wird und die Gesetze des Marktes nicht mehr gelten. Ein Mafiaunternehmen kann riesige Summen einsetzen und billiger produzieren, weil es illegal produziert. Die Baumafia bezahlt keine Sozialabgaben und keine Steuern. Da ist es einfach, als Subunternehmer aufzutreten. Erfahrene deutsche Ermittler der organisierten Kriminalität bemängeln, dass die Wirtschaftsdelikte sehr milde bestraft werden. Die Höchststrafe für Wirtschaftsdelikte liegt bei vier Jahren. Das weiß die Mafia auch.

Ist die Mafia mit Hilfe ihrer Immobilienkäufe zu einem Teil der deutschen Gesellschaft geworden?

Nicht nur mit Wohnungen. Denken Sie an Einkaufszentren. Ein Investor muss kein Italiener sein, er kann auch ein Strohmann der italienischen Mafia sein, der in einer mittelgroßen Stadt wie Leipzig oder in einer Großstadt wie München ein Einkaufszentrum kauft. Mit dieser Investition nimmt er natürlich Einfluss auf die Lokalpolitik. Den Lokalpolitiker interessiert an dem Einkaufszentrum, dass dort Arbeitsplätze geschaffen werden, er fragt nicht weiter nach, was sich dahinter verbirgt. Geldwäsche in Deutschland, und nicht nur in Deutschland, wird von vielen Politikern immer noch als eine Art von Konjunkturankurbelungsprogramm gesehen.

Können die Geldflüsse kontrolliert werden?

Sogenannte anlassunabhängige Finanzermittlungen sind in Deutschland verboten. Wenn ein Pizzabäcker 800 Euro im Monat verdient und sich für 80 000 Euro eine Pizzeria kauft - und ein Polizist diese Differenz aufklären will, kann er höchstens Fragen stellen. Der Pizzabäcker wird antworten, dass er ein Geschenk von seinem Onkel aus Kalabrien bekommen habe, und vielleicht eine gefälschte Schenkungsurkunde vorlegen. Damit ist die Ermittlung abgeschlossen. Geldwäscheermittlungen sind sehr schwierig, vor allem wegen der Beweislastumkehr. Der Polizist muss beweisen, dass das Geld aus unsauberen Quellen kommt. In Italien dagegen muss ein Investor beweisen, dass das Geld sauber ist. Die Gesetzeslage in Deutschland ist geradezu ein Einladungsschreiben an die Mafiaorganisationen.

Telefonüberwachung wäre eine Möglichkeit, ist hierzulande aber schwer vermittelbar. Die Angst vor dem Lauschangriff sitzt tief.

Die Italiener wundern sich immer über die Angst der Deutschen vor dem vermeintlichen Lauschangriff. Den Deutschen mit der Erfahrung des Nationalsozialismus und des DDR-Kommunismus kann man leicht Angst einjagen mit der Vorstellung, den Staat zu Hause zu haben. Den Mafiosi kommt diese Angst der Deutschen sehr gelegen. Kaum ein Staatsanwalt beantragt heute eine Telefonüberwachung. In Privatwohnungen wie auch in öffentlichen Lokalen ist das Abhören verboten. Das ist für Mafiosi ein weiteres Motiv, Geschäfte in Deutschland zu betreiben. Mit der Festnahme der Killer von Duisburg hat sich in der Öffentlichkeit die Überzeugung durchgesetzt, dass damit die Geschichte der Mafia in Deutschland erledigt sei: Die Mörder sind gefasst. Ende der Ansage.

Gibt es bei uns überhaupt noch Ristoranti ohne Mafiakontrolle?

Klar gibt es die. Die anständigen Italiener in Deutschland sind ja die ersten Opfer der Mafia. Sie verlangt von ihnen Stillschweigen und Schutzgeld - das inzwischen über die Zuliefererbetriebe verlangt wird: Die Restaurantbetreiber werden gezwungen, von Mafiaunternehmen die Waren, die Weine, die Einrichtung abzunehmen. Unter den großen Feinkosthändlern finden sich viele Mafiaunternehmen.

Ist die Polizei machtlos oder willenlos - oder gilt: Was nicht sein darf, das kann nicht sein?

Das würde ich nicht sagen. Ich kenne viele deutsche Ermittler, die gegen die Mafia ermitteln und dabei sogar unbezahlte Überstunden machen. Sie sind frustriert, wenn es nicht zur Anklage kommt, weil die Gesetzeslage dazu nicht ausreicht. Die Ermittler haben Material ohne Ende, geben das dem Staatsanwalt, und der sagt: Würde ich wahnsinnig gern machen, nur leider gibt es kein Gesetz dafür. Man muss es so sehen: Solange die Deutschen die Mafia nicht als Problem ansehen, sieht auch der Politiker keine Notwendigkeit, sich für dieses Thema in irgendeiner Weise zu engagieren.

Spielen Mafiaklischees wie Ehre, Schweigepflicht, wie wir sie aus Hollywood kennen, heute nur noch in Filmen eine Rolle?

Die haben sowieso immer nur in Filmen eine Rolle gespielt. Die Mafia hat keine moralischen Werte. Mit folkloristischen Klischees von der ehrbaren Mafia hat man ihr in die Hände gespielt. An diesem Bild in der Öffentlichkeit hat sie das größte Interesse. Das Einzige, worin die Mafia wahnsinnig gut ist, ist, das Bild von sich in den Medien zu kontrollieren. Das ist ihr irre wichtig.

Ist die kalabrische 'Ndgrangheta in Baden-Württemberg stark vertreten?

Baden-Württemberg ist neben Nordrhein-Westfalen eine Hochburg der 'Ndrangheta. Stuttgart, Fellbach, Singen - das ist aktenkundig und umfangreich dokumentiert.

Wie ist die italienische Mafia im Vergleich zu russischen, chinesischen, litauischen oder vietnamesischen Mafiaorganisationen einzuschätzen? Kooperieren die miteinander?

Ja. Da gibt es keine Konkurrenz, sondern Arbeitsteilung. Auch die russische Mafia hat inzwischen gelernt, sich unsichtbar zu machen. Aber die italienische Mafia hat immerhin noch einen Entwicklungsvorsprung von 200 Jahren.