Abfahrtssprung in Kitzbühel. Foto: Getty Images Europe

Sepp Ferstl und der Mythos Streif. Zwei Mal siegte die deutsche Skilegende auf dieser gefährlichen Abfahrtsstrecke - 1978 und 1979. Vor dem 75. Hahnenkammrennen erinnert er sich.

Stuttgart - Wer ein bisschen im Archiv kramt, findet Bilder, die heute so wohl nicht mehr geschossen werden würden. Sepp Ferstl im Hotelbett, Sepp Ferstl mit der Pulle Schampus, Sepp Ferstl in der Badewanne. „Es war eine andere Zeit“, sagt der ehemalige Skirennläufer, „und es war eine schöne Zeit.“ Kein Wunder, schließlich wurde der heute 60-jährige Fuhrunternehmer aus Traunstein Ende der 70er Jahre zum Ski-Helden. Obwohl einige Jahre zuvor diese Erfolgsgeschichte mit einem Missverständnis begonnen hatte.

Als 18-Jähriger sollte Sepp Ferstl erstmals das Hahnenkammrennen bestreiten. Mit der Qualifikation klappte es dann zwar nicht, als Vorläufer wollte der Nachwuchsmann aber mitmachen – und als er die Strecke besichtigte, hoffte er noch auf die milde Variante: „Ich dachte erst, dass wir an der Mausefalle die Umfahrung nehmen.“ Und nicht das mit bis zu 85 Prozent Neigung steilste Stück. Doch Milde ist nicht die Sache der Streif, das musste Ferstl schnell lernen – wie auch das eine oder andere über Kitzbühel.

Wieder war’s das erste Mal, als der junge Skirennfahrer in den schillernden Weltcup-Ort kam, und Sepp Ferstl staunte schon in den Tagen vor dem Rennen nicht schlecht, als er merkte: Seine erfahrenen Kollegen kommen nicht nur zum Rennen fahren gerne her. „Es gab überall Stände und Bars, und am Nachmittag haben sich die Rennläufer in der Tenne zum Fünf-Uhr-Tee getroffen.“ Wann sie wieder verschwunden sind, ist nicht genau überliefert. Ferstl sagt nur so viel: „Wir Jungen mussten pünktlich wieder raus. Doch als ich gegangen bin, sind andere erst gekommen.“ Spätestens da war ihm klar: „Kitzbühel hat seine eigenen Gesetze.“ Die gelten erst recht für die Sieger.

Es war die große Zeit der großen Stars. Karl Schranz, Franz Klammer (Österreich), Bernhard Russi, Roland Colombin (Schweiz), später kamen die verwegenen Kanadier um Ken Read und Steve Podborski – doch dazwischen drängelte sich ein Deutscher, der etwas schaffte, was vor ihm nur Ludwig Leitner (1965) und nach ihm keinem seiner Landsleute mehr gelungen ist. Sepp Ferstl siegte auf der Streif. Erst 1978 zeitgleich mit dem Österreicher Josef Walcher, 1979 stand er dann alleine oben auf dem Podest – und genoss den Erfolg in vollen Zügen. „Das muss man machen. So viele Zuschauer sind sonst schließlich bei keinem anderen Skirennen“, erklärt Ferstl und sagt über seine Siegesfeiern schmunzelnd: „Da hat sich schon was gerührt.“ Die Bedeutung seiner Erfolge auf der Streif ist ihm dennoch erst später bewusst geworden.

Jahr für Jahr wird er vom Kitzbüheler Skiclub eingeladen. Im Sommer zum Golfen, im Winter zum Hahnenkammrennen – und noch viel öfter wird er auf seine Siege angesprochen. „Es gibt Weltmeister und Olympiasieger, die kennt keiner mehr“, sagt Sepp Ferstl, „ein Sieg in Kitzbühel geht aber über Generationen hinweg.“ Weil der Respekt vor den wagemutigen Helden groß ist. „Die Streif ist ein Mythos“, sagt Sepp Ferstl, „wenn du sie bezwungen hast, dann hast du was erreicht.“ Das galt früher ebenso wie heute – wobei die Zeiten kaum vergleichbar sind. Nicht nur wegen des Preisgelds. Ferstl bekam damals je 10 000 Mark vom Deutschen Skiverband, heutzutage verdient der Hahnenkamm-Sieger 70 000 Euro. Dazu kommen die Rahmenbedingungen.

„Die Piste war vielleicht 15 Meter breit, rechts und links waren Bäume, dazu Holzzäune und Strohballen, die schon lange da lagen und teils steinhart waren, Kunstschnee gab es auch noch nicht, dafür viele Buckel auf der Strecke“, erinnert sich der Ex-Rennläufer, der deshalb sagt: „Heute fahren die Jungs schneller, gefährlicher aber war’s bei uns.“ Vielleicht sorgt er sich ja deshalb eher weniger um seinen Sohn.

Der tritt längst in des Vaters Fußstapfen und ist seit Jahren Teil des deutschen Nationalteams. Und die Streif hat Sepp Ferstl junior auch schon bewältigt. An diesem Wochenende traut der Papa dem Filius sogar einen Top-Ten-Platz zu, „wenn er keine Fehler macht“. Zu den Sieganwärtern zählt der Doppelsieger zwar die routinierteren Rennfahrer, Respekt zollt er aber allen: „Jeder, der da runterfährt, ist ein wilder Hund.“