Kurz nach 24 Uhr erstrahlt der Nachthimmel über dem Stuttgarter Schlossplatz im Lichterglanz von vielen Silvesterraketen Fotos: Lichtgut/Max Kovalenko Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Enthemmte Party auf dem Schlossplatz, Silvestertanz oder Konzert in der Kirche: Die Stuttgarter rutschten auf die unterschiedlichsten Arten ins neue Jahr 2016. Das nasskalte Wetter war höchstens in einer Hinsicht ein Dämpfer: Silvester sei ruhiger verlaufen als früher, meinte die Feuerwehr.

Stuttgart - Lichterzauber von Silvesterraketen und ohrenbetäubender Krach von Böllern haben die Silvesterfeier in der Innenstadt geprägt. Betrunkene Jugendliche warfen unkontrolliert Böller in die Menge und verschossen Silvesterraketen aus den bloßen Händen. Fußgänger taten gut daran, stets auf den Boden zu achten, um nicht in Scherben zerbrochener Sekt- und Wodkaflaschen zu treten.

Taxifahrer unter Beschuss

Auf der überfüllten Königstraße geriet Bummeln zum Spießrutenlauf: Einem Passanten schoss ein Rowdy eine Silvesterrakete zwischen den Beinen hindurch. Das Geschoss barst 20 Meter weiter mit lautem Knall und bunten Feuerkugeln auf dem Boden vor einer Gruppe junger Leute.

„Es ist eine Katastrophe, wie viel Geld heute verballert wird. Ich warte hier auf Kunden und muss oft in Deckung gehen“, sagte ein Taxifahrer an der Planie. „Es ist schön, dass die Leute feiern, aber so ist es gefährlich“, stimmte ihm ein Kollege zu.

Mitten im Trubel bestaunte Reza Hassani das bunte Treiben. Die Mutter und die Tante des Stuttgarters mit iranischen Wurzeln wirkten dagegen eingeschüchtert durch eine übermäßige Böllerei. „Mir gefällt das alles ja ganz gut, meiner Tante, die aus Teheran zu uns auf Besuch gekommen ist, weniger. Im Iran feiern wir im März das traditionelle Neujahr ebenfalls mit Feuerwerken, aber es geht dabei nicht ganz so wild zu wie hier“, sagte er.

Innenstadt im Böllerqualm

Klar, dass bei der ganzen Ballerei Feuerwehr und Rettungsdienst alle Hände voll zu tun hatten. Übermäßiger Alkoholgenuss, Hand- und Gesichtsverletzungen durch leichtsinnigen Umgang mit Feuerwerkskörpern – vor allem in der Innenstadt, in der Königstraße, am Schlossplatz und auf der Partymeile in der Theodor-Heuss-Straße – brachten den Rettungsdienst auf Touren. Aus Sicht der Feuerwehr verlief die Silvesternacht ruhiger als in den Vorjahren. Dazu habe das nasskalte Wetter maßgeblich beigetragen. Insgesamt verlief der Silvestertag für Feuerwehr und Rettungsdienst zunächst ruhig. Ab Mitternacht häuften sich jedoch die Notrufe. Der Qualm des Feuerwerks in der Innenstadt löste im gesamten Stadtgebiet Brandmeldeanlagen aus. Wegen der Fehlalarme rückten die Einsatzkräfte aus, kontrollierten die Objekte und stellten die Anlagen zurück.

Brände und Schlägereien

Feuerwerkskörper verursachten im Stadtgebiet diverse kleinere Brände. Es brannten Mülleimer, Gelbe Säcke oder Gegenstände, die auf Balkonen gelagert wurden. In der Schwabstraße brannte gegen 2 Uhr ein unbeaufsichtigtes Adventsgesteck. Ein Rauchmelder warnte die Bewohner rechtzeitig. Deshalb wurde niemand verletzt. Die Feuerwehr löschte den Brand rasch. Rund 130-mal war die Polizei an Silvester wegen Aggressionen durch Alkohol im Einsatz. Dies gehört für die Beamten mittlerweile offenbar zur Routine. „Schlägereien und Körperverletzungen sind eben eventtypisch“, sagt ein Polizeisprecher gelassen.

Tanz in Roben und Jeans

Fernab des Trubels im Stadtzentrum genossen Menschen den Jahreswechsel bei großen Silvesterpartys. Rund 900 Gäste tanzten im Dormero-Hotel in Möhringen zu den Klängen verschiedener Bands ins neue Jahr. Dort trafen elegante und legere Kleidungsstile aufeinander. Die Damen erschienen in Roben oder kurzen Cocktailkleidchen, die Herren in Anzügen oder Smokings mit Bauchbinde oder zwanglos in Jeans und Hemd. „Wir bieten seit 2010 eine große Silvesterparty. Zum ersten Mal sind wir seit Tagen komplett ausgebucht“, sagte Hoteldirektor Tomislav Rubic. Mit der Churchill-Lounge, benannt nach dem Zigarren rauchenden früheren britischen Premierminister Winston Churchill, bietet das Hotel Rauchern ein Refugium.

„Für mich als Nichtraucher ist es nicht einfach hier drin, aber als Jazzmusiker bin ich verrauchtes Ambiente gewohnt“, sagte Michael Holdenrieth aus Oberkochen. Der Saxofonist der Band Swing Affairs unterhält mit seinen Kollegen die Gäste der Lounge regelmäßig an Silvester mit Barmusik im Stil von Frank Sinatra.

Weltmusik in der Kirche

In der Leonhardskirche in der Innenstadt genossen rund 500 Gäste beim Silvesterkonzert ab 21 Uhr die finnisch-ungarischen Klangwelten der Gruppe Kallaton zu Geige, Gitarre, Kontrabass und Akkordeon. „Wir sind mit circa 500 Gästen fast ausgebucht“, sagte Veranstalter Ralf Püpcke. Seit zehn Jahren habe die Weltmusik an Silvester in der Leonhardskirche ein treues Publikum von Studenten bis zu Senioren.

Kultur und Party gleichzeitig

Auch im Theaterhaus herrschte beim 31. Silvesterball Hochbetrieb. „Wir bieten bis zur Party gegen 23 Uhr elf Vorstellungen und haben wie immer rund 4000 Gäste“, sagte Intendant Werner Schretzmeier. Silvester im Theaterhaus sei der Treffpunkt für viele, die verhältnismäßig günstig, leger, aber auf gutem Niveau feiern wollten, ohne sich stundenlang auf den Ball vorbereiten zu müssen. „Wir sind bereits zum zweiten Mal hier. Wir haben das Stück ‚Soy de Cuba‘ gesehen. Es war sehr schön. Uns gefällt der Mix aus Kultur und Party an einem Ort“, sagen die Freundinnen Elke Fessler, Lorraine Sai und Carmen Gürtler aus Stuttgart und Sindelfingen. Für das Ehepaar Uschi und Wolfgang Jahn aus Stuttgart ist Silvester im Theaterhaus längst Tradition: „Die Programmvielfalt ist groß, und hinterher braucht es keinen Ortswechsel für die Party.“

Prosit Neujahr mit Künstlern

Auch das benachbarte Friedrichsbau-Varieté war für gediegene Unterhaltung gefragt. „Bei uns sind die beiden Revue-Vorstellungen mit Rosemie übervoll“, sagt Geschäftsführerin Gabriele Frenzel. Kurz vor 24 Uhr reiche man jedem Gast ein Glas Champagner, um gemeinsam mit den Künstlern aufs neue Jahr anzustoßen. „Danach legt der DJ Musik auf, mit Titeln für jedes Alter, von Kindern bis zu Senioren, damit das ganze Publikum unterhalten wird“, sagte Frenzel. Gegen Mitternacht vermischten sich dann die Bälle von Varieté und Theaterhaus.