Anne Schaedler erholt sich gern mit einem Eis und einem kühlen Getränk von ihrer Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen im Sillenbucher Jugendhaus. Foto: Cedric Rahmen

Porträt der Woche: Anne Schaedler gibt im Jugendhaus Kurse. Sonst unterrichtet sie in London.

Sillenbuch - London war immer ihre Stadt. Laut, bunt, chaotisch – die britische Metropole hat viel zu bieten für Menschen, die lieber ungewöhnlich leben, sagt Anne Schaedler. Zu viele Menschen aus zu vielen Ländern leben in London zusammen, so dass Engstirnigkeit nicht weiterhelfen würde. Deshalb, sagt Schaedler, kann jeder in London seinen Platz finden.

Jugendlichen aus Problemvierteln der Hauptstadt fehlt oft jede Voraussetzung, um im Wettbewerb der Metropole zu bestehen. Auch diese Seite Londons kennt die gebürtige Württembergerin. Sie unterrichtet Jugendliche, die von der Gesellschaft mit dem Prädikat „schwer erziehbar“ belegt werden. Ihr Fach ist eines, das es an deutschen Schulen gar nicht gibt: Mode.

Ungewöhnlich klingt das, die Kombination aus schönem Schein und einer harten Realität. Allerdings nicht für Anne Schaedler. „Mode ist ein Mittel, um Individualität auszudrücken. Ich will den Jugendlichen helfen, ihren eigenen Stil zu finden“, sagt sie. Genau dieses Ziel verfolgt Schaedler auch in Sillenbuch. Sie hat ein paar Wochen frei in London. Auf Besuch in Deutschland gibt sie Kurse im Sillenbucher Jugendhaus. Aus alten Möbeln oder gebrauchten Kleidern soll dabei wieder etwas Neues und Schickes entstehen. Ein Statement auch gegen den Markenwahn.

Mode als Ausdrucksmittel

Nach einem langen Arbeitstag im Jugendhaus erholt sich Schaedler im Garten des Clara-Zetkin-Hauses. Sie trinkt eine große Cola und hat sich Eiskonfekt bestellt. Sie gönnt sich einfach etwas, auf das sie Lust hat. Schwer vorzustellen, dass sie einmal in der Modewelt mit allen ihrem Glitzer und all den Äußerlichkeiten gearbeitet hat. Die Klischees von exklusiven Partys, auf denen der Champagner in Strömen fließt, seien in der Londoner Designerszene aber weniger zutreffend als anderswo, sagt die Mittdreißigerin. „Das hat eher etwas von kreativer Künstlerszene.“

Dennoch hat es ihr nach einer Weile nicht mehr gereicht, nur kreativ und erfolgreich zu sein. An einer Designschule in London angenommen zu werden, sei zunächst durchaus die Erfüllung eines Traums gewesen, sagt Anne Schaedler. Mit der Zeit bemerkte die Deutsche allerdings einen gewissen Überdruss an ihrer Arbeit. „Ein materialistisches Umfeld liegt mir eigentlich gar nicht.“

Es wäre jedoch auch falsch zu sagen, dass Anne Schaedler die Seiten gewechselt hat, als sie anfing, Jugendliche aus Londons Problemvierteln zu unterrichten. Es geht ihr nach wie vor um Mode als Ausdrucksmittel. Nun soll Anne Schaedler Persönlichkeiten helfen, Talente zu finden, die oft unter den Lasten schwerer Schicksale verborgen sind.

„Ich fühle mich wohl im Süden“

Die Deutsche beschönigt nichts. London, das vor zwei Jahren von Jugendkrawallen erschüttert worden sind, ist ein hartes Pflaster. Trotzdem: Die Frau, die im Garten des Clara-Zetkin-Hauses genüsslich Eispralinen nascht, wirkt alles andere als traumatisiert.

Wenn sie von ihrer Arbeit erzählt, scheint der Umgang mit sogenannten Schwererziehbaren überhaupt nicht schwer. „Eigentlich reicht es zu zeigen, dass einem etwas an ihnen liegt“, sagt Schaedler. Die Arbeit in London habe sie sehr bereichert, sagt sie, und sie klingt dabei, als hätte sie es keine Sekunde bereut. Dennoch scheint es für Anne Schaedler nach 14 Jahren an der Zeit zu sein, die britische Hauptstadt zu verlassen. Die Lust ist da, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Berlin muss es aber nicht zwangsläufig sein. „Ich fühle mich wohl im Süden“, sagt sie. Vielleicht wird auch Stuttgart mal ihre Stadt.