Kommen aus dem Jubeln nicht mehr heraus: D. Schwaab, C. Gentner, F. Kostic, L. Rupp (v.li.) Foto: dpa

Diskutieren Sie mit! Über einen zehnten Platz in der Tabelle hätten Fans des VfB Stuttgart früher müde den Daumen gesenkt, in der derzeitigen Situation grenzt die Platzierung an ein kleines Wunder. Was ist jetzt noch drin in dieser Saison?

Stuttgart - Niemand hat den Spielern des VfB Stuttgart vor dieser Saison den Auftrag erteilt, es ins Guinnessbuch der Rekorde zu schaffen. Nach dem 2:0 gegen die Hertha aus Berlin scheint es aber, sie verfolgten ebendieses Ziel. Zumindest sorgen sie in der Statistikabteilung der Deutschen Fußball Liga für ordentlich Betrieb. Vier Siege zu Beginn der Rückrunde gegen dieselben Mannschaften, gegen die es zum Saisonstart vier Pleiten setzte – das hat es in der Geschichte der Bundesliga noch nie gegeben.

Es zeigt die verrückte Verwandlung des Vereins für Bewegungsspiele vom ewigen Abstiegskandidaten zu einem ernsthaften Anwärter auf die Europa League. Dazu genügt der Blick auf die Tabelle: Zum ersten Mal in dieser Saison ist der Abstand auf Platz sieben, der – im wahrscheinlichen Falle des Pokalsiegs eines Champions-League-Teilnehmers – zum Start in der Europa League berechtigen würde, geringer als auf die Abstiegszone. Fünf Siege in Folge, beste Mannschaft der Rückrunde – wo soll das noch hinführen?

Nach einhelliger Meinung aller, die am Samstag die keinesfalls schlechte Hertha verdient in die Knie gezwungen haben, dorthin, wo man dem eigenen Selbstverständnis nach anzusiedeln ist: im gesicherten Mittelfeld. „Lasst uns die Gegenwart genießen“, sagte VfB-Sportvorstand Robin Dutt, ehe er sich in den Kurzurlaub zum Skifahren verabschiedete. „Es ist doch auch mal schön, in der Tabelle mittendrin zu stehen.“

Platz zehn, Niemandsland. Das verspricht eigentlich wenig Aufregendes für den Rest der Saison. Wenn es nicht der VfB wäre. Der weiß-rote Anhang erlebt gerade die Rückkehr der Rückrundenmannschaft, der in der aktuellen Verfassung vieles zuzutrauen ist. Schon mehrfach rollte der VfB nach der Winterpause das Feld von hinten auf – zuletzt 2009/2010 unter Trainer Christian Gross. Auch er führte die Mannschaft von einem Abstiegsplatz in den Europapokal. Auf die traditionell folgende Herbstdepression wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen.

Richtiges Pressen und neuer Teamgeist

Glaubt man Trainer Jürgen Kramny, interessiert ihn die aktuelle Tabelle ohnehin so viel wie sein Horoskop von vorgestern. „Wir müssen jetzt nicht über neue Ziele reden“, gab er nach mitreißenden 90 Minuten zu Protokoll. Bei Fragen nach dem Ende des Kampfs gegen den Abstieg grätschte er so energisch dazwischen wie zuvor seine Spieler auf dem Platz. „Wir wissen doch alle, wo wir herkommen.“ Und da auch Robin Dutts Miene verriet, dass er jeden, der meint, jetzt Sprüche klopfen zu müssen, an den nächsten Torpfosten bindet, hielt sich der Unterhaltungswert der Nachgespräche in Grenzen.

Solange er auf dem Rasen stimmt, ist ja auch alles in Ordnung. Dort ließ sich die Verwandlung am Samstag an folgenden Punkten festmachen. Erstens: Ein wohldosiertes und gut getimtes Pressing-Spiel. Das wilde Ball- und Gegnerjagen beschränkte sich auf wenige Momente. So wie vor dem 2:0, als Christian Gentner, Lukas Rupp und Artem Kravets vor dem gegnerischen Tor zur Attacke bliesen und belohnt wurden. Zweitens: Die Einstellung. „Unsere Mentalität hat uns zum Sieg getragen“, stellte Kramny fest. Tatsächlich scheint sich zum ersten Mal seit langem ein echter Teamgeist manifestiert zu haben. Was aber vor allem als Folge der Erfolge zu verstehen ist – nicht umgekehrt.

Wo sich in der Vergangenheit häufig die Stärkeren im Team auf das allgemein schwache Niveau herunterziehen ließen, lässt sich auch hier eine entgegengesetzte Entwicklung erkennen. Am Samstag rieben sich die Zuschauer verwundert die Augen, wie Daniel Schwaab und Georg Niedermeier nicht nur ihren Strafraum im Griff hatten, sondern auch eine recht gepflegte Kugel von hinten heraus spielten. „Wir haben jetzt mehr Ballbesitzphasen und können den Ball auch mal länger laufen lassen“, sagte Schwaab. Es ist die endgültige Abkehr vom Zorniger-Fußball.

Wo sie noch hinführen wird? Möglichst zu weiteren Siegen. Dann winken die Mitglieder am Ende womöglich sogar die Ausgliederung durch.