In Leinensäckchen verpackt kommen die Krautsamen in den Wasserkessel. Foto: Sascha Schmierer

Die Beize des Krautsamens, eine Pflanzenschutz-Maßnahme der Frühzeit, war eine sehr ernste Angelegenheit.

Filder - Hochkonzentriert und mit ernster Miene sitzen sechs gestandene Mannsbilder um einen mit Wasser gefüllten Bottich. Die Stimmen sind gedämpft, vom in der Tiefe treibenden Tauchsieder treten immer wieder kleine Luftbläschen an die Oberfläche. Geredet wird nicht viel im Kreis der Filderbauern. Gebannt verfolgen die Blicke das im warmen Wasser hängende Thermometer, auch die kleinste Bewegung des roten Markierungsstrichs wird mit Argusaugen verfolgt.

Was auf unkundige Beobachter wirken mag wie ein aus heidnischen Zeiten übernommenes Fruchtbarkeits-ritual, ist in Wirklichkeit eine ebenso hochoffizielle wie behördlich überwachte Angelegenheit. Bei dem Stelldichein am Holzzuber handelt es sich schließlich um eine eminent wichtige Pflanzenschutz-Maßnahme. Zur Beize des Krautsamens ist eigens ein Vertreter des Landwirtschaftsamts auf die Filder gereist, um zu gewährleisten, dass bei der heiklen Prozedur alles mit rechten Dingen zugeht. Erhöhte Vorsicht ist angebracht: Schon ein kleiner Fehler bei der Temperatur könnte die Krauternte eines ganzen Jahres schon vor der Saat vernichten – und die Bauernfamilien einer ganzen Region in existenzielle Not bringen.

In dem Bottich befinden sich schließlich nicht nur Thermometer und Tauchsieder. In hellen Leinensäckchen eingepackt liegt in dem Zuber auch das schwarze Gold der Filder. Die mühsam geernteten Kappich-Samen sollen im warmen Wasser gebeizt werden – und nach dem aufwendigen Verfahren gegen die gefürchtete Schwarzbeinigkeit gefeit sein. Es geht also um Geld, um viel Geld. Funktioniert die Beize nicht wie gewünscht, macht die auch vom Kartoffelanbau bekannte Wurzelfäule ganzen Krautfeldern den Garaus.

Um die Krautsamen zu ernten – das schwäbische Wort „Kappich“ leitet sich vom lateinischen „caput“ ab und bedeutet schlicht „Kopf“ – haben die Filderbauern die schönsten Haible auf dem Feld stehen lassen, samt Blattwerk und Wurzeln aus-gegraben und nach der Überwinterung im frostsicheren Keller im mit Rankgerüsten versehenen Hausgarten wieder ausgepflanzt. Im Sommer wurden die sesam-ähnlichen Samen aus den reifen Schoten geschlagen, gereinigt und über den nächsten Winter auf einem luftigen Speicher getrocknet. Die Beize ist der letzte Akt vor der Aussaat – und der entscheidende Punkt, der all die Arbeit und Mühe zunichte machen kann.

Denn bei der Beize steckt der Teufel im Detail: Exakt 51,5 Grad warm muss das Wasser im Bottich sein, sonst hat das Verfahren keinen Sinn. Liegt die Temperatur unter diesem Wert, ist die Beize unwirksam, weil sich die gefährliche Krankheit trotzdem einstellen kann. Doch schon bei 52 Grad im Zuber ist die Ernte verloren – der Kappich-Samen verliert schlagartig seine Keimfähigkeit. Um so verständlicher ist der konzentrierte Umgang mit Tauchsieder und Thermometer. Die Leinensäckchen übrigens sind mit einer aufgestickten Nummer versehen, um nach dem Beizbad im Bottich nicht verwechselt werden zu können – nicht dass ein Tausch der Beutel noch die eigene Zuchtlinie fürs Kraut bedroht. Die Schwarzbeinigkeit war übrigens nur eine Krankheit, die beim Filderkraut die Ernte bedrohte – gegen tierische Schädlinge wie Kohleule, Erdfloh und vor allem die gefürchtete Drehherzmücke war anno dazumal noch kein Kraut gewachsen.

Das Kraut und der Boden
Auch wenn die sehr fruchtbaren Filderböden den Anbau von Spitzkraut erst ermöglichten – gepflegt werden musste die Ackerkrume mühsam. Im nächsten Teil von „Was isch au des?“ geht es deshalb um Bogenegge, Kurvenpflug und Unkrautstriegel.