Gerhard Renz auf Spurensuche: er zeigt das Grabmal von Moritz von Leiningen, davor liegt dessen Mutter Amalie begraben. Foto: factum/Bach

Eine unscheinbare Kanne auf einem Grabstein ist die erste Spur auf dem Weg in die lange Geschichte des Ihinger Hofs in Renningen. Wo heute an moderner Landwirtschaft geforscht wird, waren die Bewohner seit Jahrhunderten innovativ.

Renningen - Plötzlich war er da, mit allem Stolz und Selbstbewusstsein: Moritz Siegfried Freiherr von Leiningen. Hier auf dem Ihinger Hof– auf seinem Ihinger Hofgut. 300 Hektar zusammenhängendes Gebiet umgeben ihn, mittendrin eine Ansammlung stolzer Häuser, die hier auf ihrem Hügel auf halber Strecke zwischen Magstadt und Weil der Stadt ihre Stellung halten.

Traktoren fahren hier heute ein und aus, allesamt nagelneu, glänzend und technikfunkelnd. Schließlich sind es verbeamtete Traktoren, unterwegs im Auftrag der Universität Hohenheim, die die 300 Hektar heute bewirtschaftet, die allesamt noch immer zu Ihingen gehören. Dabei müssen sie aufpassen, dass sie nicht all die historischen Steine überfahren, die hier rumliegen, nicht aufdringlich, aber doch für aufmerksame Augen sichtbar.

Das Leben auf dem Ihinger Hof pulsierte

Zum Beispiel die Kanne, beziehungsweise „Schenkelbecher“ in heraldischer Fachsprache genannt. Sie ziert einige Grenzsteine und natürlich auch den Grabstein desjenigen Mannes, der vor mehr als 200 Jahren hier sein kleines Reich aufgebaut hatte: Moritz von Leiningen. Und der das Leben auf dem Hofgut pulsieren ließ, sowohl landwirtschaftlich als auch geistig. So kam etwa eines Tages – um das Jahr 1780 – der junge Metzgergeselle Johann Michael Hahn nach Ihingen. „Der kann unter einer solchen Menge von Leuten aber nicht bestehen“, schrieb der Freiherr Moritz von Leiningen anschließend an Johann Michaels Vater. „Nehmt ihn wieder nach Hause, räumt ihm ein besonderes Zimmer ein.“

Dort solle er beten und die Bibel studieren, empfahl der Ihinger-Hof-Herr. Johann Michael Hahn tat, wie ihm geheißen, und so wurde der Ihinger Hof zum Grundstein seines späteren Werks. Der Hahn’schen Gemeinschaft nämlich, eine der wichtigsten pietistischen Gemeinschaften des 19. Jahrhunderts. Und Moritz Siegfried Freiherr von Leiningen war einer ihrer geistigen Väter. Einer, der heute so etwas aus den Untiefen der Archive ausgräbt, ist Gerhard Renz, ein weiteres Exemplar aus der langen Reihe der stolzen Ihinger Herren. „Der Hof ist mein Lebenswerk“, erklärt er und blickt zufrieden auf alte Steine und moderne Traktoren.

Aus einem Gutshof wurde eine Hightech-Versuchsstation

1963 hatte die damalige Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim die 300 Hektar Ackerfläche übernommen und dem jungen Agrarwissenschaftler Gerhard Renz die Leitung übertragen. Bis zu seinem Ruhestand 2001 formte er aus dem altehrwürdigen Gutshof die heutige Hightech-Versuchsstation. „In dieser Zeit hatte ich auch immer Zugang zu Leuten, die über Geld entscheiden“, erzählt er. Und das Geld wusste Renz einzusetzen. Auch der kleine idyllische Friedhof, zwar mitten auf dem Hof, und doch durch mächtige Hecken und souveräne Mauern versteckt, hat davon profitiert. Wie die sprechenden Zeugen jahrhundertelanger Historie stehen dort die Grabmale in Reih und Glied, als wollten sie dem Besucher ihre Erlebnisse erzählen.

Natürlich liegt hier Moritz Siegfried Freiherr von Leiningen begraben, neben seiner Mutter Amalie. Aber auch Heinrich Achilles, der Ihingen davor besessen hatte. Seit dem Jahr 1500 nämlich war Ihingen noch freireichsstädtisches Eigentum des Weil der Städter Spitals – bis 1648 die ganze Stadt abbrannte und dringend Geld brauchte. Für 5500 Gulden verkaufte die Reichsstadt daher ihren Ihinger Hof an den württembergischen Hofrat Heinrich Achilles. „Da wurden wir natürlich übervorteilt“, sagt der Weil der Städter Gerhard Renz. „Aber das können wir verschmerzen, schließlich wurden von dem Geld ja die Kirche und das Rathaus bezahlt.“ Nur dem neuen Besitzer, Heinrich Achilles, dem brachte sein Eigentum nicht so viel Glück. Irgendwann war er verschwunden. Beim Kartenspielen mit einem französischen Gesandten, so munkelte man, habe er sich verzockt.

Die Leinigers mussten einst nach Württemberg fliehen

Und Moritz von Leiningen tauchte auf. „Irgendwann bin ich durch Zufall auf das Kirchenbuch des Dorfes Ihingen gestoßen“, berichtet der Hobby-Historiker Gerhard Renz, der noch immer auf der Suche nach der Herkunft seines Vorgängers war. Und da sprang ihm dann die Lösung ins Auge – denn dort war zu lesen, dass die Leiningers aus Kärnten stammen, dort aber „ihr Hab und Gut mit dem Rücken sehen mussten“. – „Das heißt, sie wurden enteignet“, erklärt Renz. Die Leiningers waren zum neuen Glauben gewechselt und mussten ins evangelische Württemberg fliehen.