Ein handschriftlicher Gruß von Brigtte Bardot an das Kleistarchiv.Die Käthchen-Figur (mit Kleisttexten) steht vor der Heilbronner Kilianskirche. Foto: Fritz

Was bleibt noch übrig? Aus dem renommierten, wissenschaftlich arbeitenden Archiv soll eine Art „Literatur-Lernort“ werden – Der scheidende Direktor sieht sich und seine Arbeit desavouiert.

Heilbronn - Mitte August ist erst mal Schluss im Kleistarchiv Sembdner (KAS) in Heilbronn. Dann dreht dessen Direktor Günther Emig nach 27 Jahren den Schlüssel rum und geht in den Ruhestand. Seit Wochen läuft bereits eine Art „Räumungsverkauf“ im Internet. Die im und mit dem Archiv entstandene umfangreiche Wissenschafts- und auch Populärliteratur zu Kleist ist „billig“ zu haben. Günther Emig verlässt ein Amt, das ihm im Jahr 1991 als Leiter der Stadtbibliothek vor dem Hintergrund einer Personalauseinandersetzung eher aufgedrängt wurde, aus dem dann aber in akribischer wissenschaftlicher Arbeit und dank vieler Publikationen eine international anerkannte Forschungsstätte und Heilbronn im Zusammenhang „Kleist und Käthchen“ zu einem Begriff gemacht hat. Jetzt sagt Emig: „Ich hatte gehofft, es würde mir erspart bleiben, aber die Andeutungen, die inzwischen kursieren und in denen meine Leistungen herabgesetzt werden, zwingen mich, jetzt ein paar Fakten auf den Tisch zu legen.“

Direktor: Niemand hat sich für das Archiv interessiert

Die Verärgerung über die Abläufe ist so groß, dass Günther Emig die Öffentlichkeit sucht. Seine Vorwürfe an die Verwaltung im Heilbronner Rathaus sind deutlich, hier habe sich „wirklich niemand“ der jetzt „dem Gemeinderat kluge Dinge erzählt habe“ für das KAS und seine Arbeit interessiert: „ Nicht einmal jetzt, wo Richtungsentscheidungen für die Zukunft getroffen werden sollen, hat sich irgendjemand vom Rathaus auf den Weg ins KAS gemacht, um sich zeigen zu lassen, was hier vorhanden ist! Und schwadroniert stattdessen wie ein Blinder vom Licht!“ Die Stellungnahme zur Zukunft des Archivs von der Kulturbürgermeisterin Agnes Christner kommt ohne den Namen Günther Emig aus.

Darin heißt es, „die Stadt“ habe das Archiv ausgebaut, und „die Verwaltung steht zu der Verantwortung, die Kernaufgaben des Kleist-Archivs als einem starken literarisch-kulturellen Aushängeschild zu erfüllen. Allerdings soll das Archiv künftig als Anknüpfungspunkt für die Weiterentwicklung des literarischen Lebens in Heilbronn insgesamt genutzt werden.“ Bei genauer Betrachtung und aus weiteren Äußerungen, auch aus dem Gemeinderat, wird deutlich, dass die geplanten Veränderungen zum Ergebnis führen werden, dass Forschungsarbeit und publizistische Tätigkeit enden, weil man keinen Wert mehr darauf legt. Günther Emig hatte stets nach dem Wissenschafts-Motto gehandelt „publish or perish“ („veröffentliche oder gehe unter!“).

Direktor:

Nun plädiert der scheidende Kleistforscher dafür, dass man die Bestände als Dauerleihgabe in die Heilbronner Partnerstadt nach Frankfurt/Oder gibt. Dort, in Kleists Geburtsstadt, gab und gibt es die vielen Staats- und EU-Millionen für Museum und Forschung. Und Heilbronn wird dann wieder, was es immer schon war, die „Käthchen-Stadt“. Emig sagt heute: „Heilbronn fehlt das Umfeld für geisteswissenschaftliches Arbeiten.“ Das Brandenburger Kultusministerium nennt die Bestände des KAS einen „echten Forschungsschatz, der für die größte Literaturgedenkstätte des Landes Brandenburg eine hervorragende Ergänzung und Bereicherung wäre.“ Auch wenn man, des Prestiges wegen, das Archiv in Heilbronn behalten will, wird es entweder auf „Feigenblatt“ oder „Etikettenschwindel“ hinauslaufen, die Umformung zu einem Lern- und Literaturvermittlungsort würde auch nicht dem mit Sembdner geschlossenen Vertrag entsprechen. Für den abenteuerlich langen Leistungskatalog („Formate auflegen, die es noch nicht gibt!“) sollen dann auch noch „Drittmitteln“ generiert werden.

Die Ausschreibung für die Emig-Nachfolge ist beschlossen. Das Ende seiner Dienstzeit war längst bekannt, so fragt man sich auch, warum erst jetzt die Nachfolge und die Zukunft des Archivs diskutiert wird? Seine Vorstellungen zur Zukunft des Archivs habe er schon 2015 und 2017 „in zwei mehrseitigen Schriftsätzen an die Dezernentin“ klargelegt, sagt Emig und zu den jetzt kursierenden Zukunftsplänen: „Zum eigentlichen Thema, was das alles speziell mit Kleist zu tun hat, kein Wort! Mit mir hat man darüber weder gesprochen noch mich sonst wie einbezogen. So als sei ich der letzte, der eine Ahnung davon hat, wovon die Rede ist.“

Emig erinnert daran, dass es beim Ankauf weder Fachpersonal noch Räume oder eine Konzeption für die Sammlung gegeben habe und er sich, da es zu Kleist selber nichts mehr zu forschen gebe, von Anfang an auf dessen Wirkungsgeschichte konzentriert habe. Was in den 27 Jahren daraus wurde, oft genug gegen Widerstände, kann er sich tatsächlich alleine zugute halten. Für das Archiv mit eineinhalb Stellen hat die Stadt jährlich 230 000 Euro aufgebracht. Emigs Vorschlag, die freiwerdenden Ressourcen in ein Literaturhaus zu stecken, denn „dies wäre dann der richtigen Ort dafür, die Ziele zu verfolgen, die man jetzt für das Kleistarchiv formuliert hat“, enthält auch ein Stück Provokation. Der Oberbürgermeister Harry Mergel hatte ein solches auf seiner Wahlkampf-Agenda.

Der Leiter des Hamburger Literaturhauses, der aus Heilbronn stammende Rainer Moritz, sagt: „Von der Ferne aus betrachtet, erahne ich, dass es nicht leicht sein wird, das Archiv weiterzuführen, obgleich Herr Emig es mit seinem Einsatz ja zu einer bekannten Institution gemacht hat.“ Heilbronn erstellt gerade eine Kulturkonzeption – wie weit sie trägt, wird sich auch am Umgang mit dem Kleistarchiv zeigen.