Ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr steht am 16. August 2023 neben einem stark beschädigten LKW auf der Autobahn 3 an Anschlussstellen Niedernhausen und Wiesbadener Kreuz in Fahrtrichtung Frankfurt. Foto: Felix Hirth/5Vision News/dpa

Am Sonntag ist es wieder passiert: Ein 40-Tonner fährt in Sachsen auf ein Stauende auf und drückt die wartenden Pkws zusammen. Ist die Gefahr solcher Unglücke größer geworden? Daten, Fakten und Zahlen zu einem schweren Sicherheitsproblem im Straßenverkehr.

Wenn ein 40-Tonner in ein Stau-Ende rast, werden die wartenden Pkw zusammengedrückt, als wären sie aus Pappe. So auch am Sonntagabend (22. Oktober): Bei einer Massenkarambolage sind auf der Autobahn 17 in Sachsen 16 Menschen verletzt worden. Mindestens drei davon erlitten schwere Verletzungen, wie die Polizei in Dresden mitteilte.

Der 55-jährige Fahrer eines Sattelzugs war bei Bad Gottleuba nahe der Grenze zu Tschechien ungebremst in ein Stauende gerast. Der Laster schob dadurch insgesamt zehn Autos ineinander.

Was ist los auf Deutschlands Autobahnen? Sind Lkws rollende Zeitbomben? Ist es nur eine gefühlte Wahrnehmung oder werden die Autobahnen tatsächlich immer mehr zu Risikozonen?

Das sagt die Statistik

Das Statistische Bundesamt hat die Unfallzahlen, in die Lkws verwickelt waren, erfasst und im Jahr 2020 eine Studie veröffentlicht:

  • Demnach waren 2020 insgesamt 24 730 Fahrer von Güterkraftfahrzeugen an Unfällen mit Personenschaden beteiligt. Das waren 47,7 Prozentweniger als 1995. Die Fahrleistung von Güterkraftfahrzeugen ist dagegen zwischen 1995 und 2019 um 41 Prozent und ihre Transportleistung (zwischen 1995 und 2019) um 78,3 Prozent gestiegen.
  • Bezogen auf den Bestand hat sich die Beteiligung von Güterkraftfahrzeugen an Unfällen mit Personenschaden ebenfalls reduziert: Wurden 1995 noch 153 Unfallbeteiligte je 10.000 in Deutschland zugelassenen Güterkraftfahrzeugen gezählt, so waren es 2020 noch 61 (– 60,1 Prozent).
  • 1995 waren 32,7 Prozent der an Unfällen mit Personenschaden beteiligten Güterkraftfahrzeuge Kleinlaster, 39,3 Prozent waren Lastkraftwagen über 3,5 t und 11,7 Prozent Sattelzugmaschinen. Für 13,4 Prozent der beteiligten Güterkraftfahrzeuge lagen keine Gewichtsangaben vor. Dies waren insbesondere ausländische Güterkraftfahrzeuge.
  • 2020 waren von den deutschen und ausländischen Güterkraftfahrzeugen 47,7 Prozent Kleinlaster, 24,2 Prozent Lastkraftwagen über 3,5 t und 24,8 Prozent Sattelzugmaschinen.

Geringer Abstand, zu hohe Geschwindigkeit

Geringer Abstand und hohe Geschwindigkeit führen häufig zu schweren Lkw-Unfällen. Foto: Imago/n-W Images
  • Geringer Abstand: Die beiden häufigsten Unfallursachen auf Autobahnen sind laut Auto Club Europa (ACE) zu hohe Geschwindigkeit und ein zu geringer Abstand. Mehr als 20 Prozent der schweren Lkw-Unfälle und 30 Prozent der dabei Getöteten sind auf Kollisionen mit vorausfahrenden Fahrzeugen zurückzuführen. „Lkws sind seltener an Unfällen beteiligt, allerdings sind die Folgen bei Kollisionen mit Lkws meist viel dramatischer, die Unfallschwere überdurchschnittlich hoch“, sagt ADAC-Verkehrsexperte Roman Suthold.
  • Mindestabstand: Der gesetzliche Mindestabstand für Lkws auf Autobahnen beträgt 50 Meter, wenn sie schneller als 50 Kilometer pro Stunde fahren. Eine der häufigsten Ursachen für Lkw-Unfälle ist laut ADAC ein zu geringer Abstand zum Vordermann. Häufig betrage der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug nur wenige Meter. Auffahrunfälle mit schwerwiegenden Folgen seien praktisch unausweichlich, sagen die Versicherer.

Viele Lkw-Fahrer sind chronisch übermüdet

Übermüdung ist eine der häufigsten Unfallursachen. Foto: Imago/lausitznews.de
  • Übermüdung: Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) führt jedes Jahr rund 500 000 Fahrzeugkontrollen durch. Bei jeder dritten Überprüfung stellen die Beamten Verstöße gegen das Fahrpersonalrecht sowie die Lenk- und Ruhezeiten fest. Eine Befragung der Unfallforschung der Versicherer unter Kraftfahrern ergab, dass jeder vierte Lkw-Fahrer pro Woche mehr als 60 Stunden arbeitet. Aufgrund von Übermüdung und des monotonen Fahrens auf langen Strecken können Fahrer mitunter „bei einer plötzlichen Veränderung der Verkehrslage nicht mehr rechtzeitig reagieren und fahren einfach weiter“, erklärt Wolfram Hell von der Unfallanalyse des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität München.
  • Ablenkung: Das Handy habe Alkohol als Unfallursache Nummer eins am Steuer abgelöst, sagt Michael Haberland, Präsident des Automobilclubs Mobil in Deutschland. Eine Studie des Virginia Tech Transportation Institute hat ergeben, dass sich das Unfallrisiko durch Smartphone-Nutzung um ein Vielfaches erhöht.Nach Aussage von Sven Rademacher vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat entspricht Telefonieren am Steuer von der Wirkung her einem Alkoholgehalt von 0,8 Promille, die Ablenkung durch SMS-Schreiben sogar 1,1 Promille.

Wie wirkungsvoll ist die neue Bremstechnik?

Ein Notbremssystem kann in bis zu 80 Prozent der Fälle einen Lkw-Unfall verhindern Foto: Imago/lausitznews.de

Seit 2015 müssen alle in der EU neu zugelassenen Lkw mit mehr als acht Tonnen Gewicht über einen Notbremsassistenten verfügen. Seit 2018 ist dieser für alle Nutzfahrzeuge über 3,5 Tonnen verpflichtend. Eine Abbremsung auf null ist bei Lkw technisch möglich. Gesetzlich vorgeschrieben ist aber nur, dass diese Systeme die Fahrzeuge um 20 km/h herunterbremsen.

Hinzu kommt: Nur Neufahrzeuge müssen mit dem Bremssystem ausgestattet werden. Eine Nachrüstung älterer Modelle ist technisch nicht möglich und wäre viel zu kostspielig. Ein Notbremssystem hätte laut Unfallforschung der Versicherer in bis zu 80 Prozent der Fälle einen Lkw-Unfall verhindern oder seine Folgen deutlich abmindern können.

Der ADAC hatte Lkw-Notbremsassistenten von großen Herstellern wie Mercedes-Benz, MAN und Volvo getestet. Fazit: Intelligente Sensorik und modernste Software machen die automatischen Notbremssysteme sehr effektiv. Sie leisten „eine Unfallvermeidung bis 80 km/h selbst bei dem kritischsten Fall des stationären Hindernisses (Beispiel: Stau-Ende). Die Bremswirkung ist der eines Pkw ebenbürtig.“