Meike Schneider hat per Crowdfunding erfolgreich auf einer landesweiten Internetplattform für ihr Projekt „Klettergerüst auf dem Pausenhof“ Geld gesammelt. So viel, dass sich die Schule auch noch ein kleines Extra leisten konnte Foto: Lichtgut/Horst Rude

Alle für ein Ziel – das ist das Prinzip von Crowdfunding, auch Schwarmfinanzierung genannt. In Stuttgart blüht Crowdfunding gerade auf. Meike Schneider ist eins der Gesichter der neuen Bürgerbewegung.

Stuttgart - Am Anfang waren eine Frau, eine Vision und ein guter Tipp. Unternehmer-Coach Meike Schneider (43) freute sich über den Neubau der Waldorfschule Silberwald im Stuttgarter Stadtteil Sillenbuch. Doch wie sollte sich ihre siebenjährige Tochter auf dem kahlen Pausenhof austoben? In ihrer Fantasie stellte sie sich vor, wie Lilly ein Klettergerüst bestieg, Tischtennis und Basketball spielte und anschließend ausgeglichen und zufrieden die Deutschstunde besuchte. Sie wusste, andere Eltern teilten ihre Vorstellungen, und es brauchte mindestens 7500 Euro zur Verwirklichung. Dann gab ihr eine Kundin den entscheidenden Tipp: Sie solle es doch mit Crowd-Funding versuchen.

Schneider las sich ein. Dass Crowd-Funding auch Schwarmfinanzierung genannt wird. Dass dabei möglichst viele ein Projekt über das Internet finanzieren. Dass die Unterstützer kein Risiko eingingen, weil das Alles-oder-nichts-Prinzip gelte: Erreicht ein Projekt die festgelegte Finanzierung nicht, fließt das Geld zurück. Und dass das regionale Crowd-Funding der Trend der Zukunft sei. Schneider stieß auf die landesweite Internet-Plattform der BW-Bank, auf der Bürger aus der Region für gemeinnützige Projekte Unterstützer finden könnten.

Anfang März dieses Jahres stellte sie ihr Projekt auf ebendieser Plattform ein: „Klettergerüst für den Pausenhof“. Sie warb mit spielenden Kindern, der tollen Schulatmosphäre und appellierte an den Sinn für die Gemeinschaft. „Wir wollten auch Menschen begeistern, die bisher keine so enge Berührung mit der Schule hatten“, sagt sie. Als Dankeschön offerierte sie vor allem Ideelles: Für 50 Euro Spende bot sie eine Schulführung an, für 200 Euro eine Namenstafel am Klettergerüst. 60 Tage hatten die möglichen Unterstützer, um sich zu entscheiden. Denn Crowd-Funding, erfuhr Schneider, ist auch ein Spiel gegen die Zeit. Die Beteiligten wollen möglichst bald wissen, ob und was aus ihrem Einsatz wird. Dass sich auch andere Bürger aus der Region Stuttgart engagierten, machte ihr Mut. 3000 Euro, damit ein Verein Sportrollstühle kaufen kann. 1600 Euro, um einem Gymnasium das Schullandheim auf Norderney zu ermöglichen. 10 000 Euro, um den Engelbergturm – das Wahrzeichen von Leonberg – in den Stadtfarben zu verhüllen. Alles Projekte, die sonst nicht zu stemmen gewesen wären. „Es ist ja nicht so, dass ein Projekt von der Kommune selbst auf die Beine gestellt wird“, sagt BW-Bank-Sprecherin Ira Mack.

„Es gibt immer mehr Leute, die Geld geben wollen, obwohl sie Steuer bezahlen“

Crowd-Funding-Experte Karsten Wenzlaff nennt deshalb das regionale Crowd-Funding „eine neue Form der Bürgerbeteiligung“. Wenzlaff kennt als Vorstand des German Crowd-Funding Network Hunderte von Projekten. „Es gibt immer mehr Leute, die Geld geben wollen, obwohl sie Steuer bezahlen. Sie wollen beeinflussen, was in ihrer Umwelt passiert – ob sie eine neue Straße bauen oder eine Kita renoviert wird“, sagt er. „Deshalb ist Crowd-Funding prädestiniert für den Einsatz in Städten und Gemeinden, wo der Ruf nach mehr Mitbestimmung laut ist.“ Außerdem sei da noch ein handfestes Argument: „Angesichts der prekären Lage vieler Kommunen dürfte die Kämmerer schon das finanzielle Potenzial des Crowd-Funding überzeugen.“

Wie sieht es in Stuttgart aus, wo man weniger Geldprobleme kennt, aber das Bürger-Engagement hochhält? Die Stadtkämmerei teilt mit, aktuell gebe es keine Crowd-Funding-Projekte. „Weder wurden bislang entsprechende Projekte von Bürgerseite an die Stadtkämmerei herangetragen, noch wird diese Finanzierungsform derzeit von der Stadtkämmerei aktiv in Finanzierungsüberlegungen einbezogen“, heißt es.

Auf der Stuttgarter Plattform Fairplaid.org finden Vereine Unterstützer

Doch das Interesse der Bürger ist da. Fairplaid.org heißt die Crowd-Funding-Plattform, die die Stuttgarterin Marthe-Victoria Lorenz gründete, um Vereinen bei ihrer Finanzierung zu helfen. Ob neue Bälle, Trikots oder der Aufstieg in die nächsthöhere Liga: „Im Sport gibt es immer Probleme mit der Finanzierung“, sagt die 27-Jährige. Lorenz kennt die Probleme genau – sie selbst war einst Basketball-Abteilungsleiterin vom MTV Stuttgart 1843 e. V. Lorenz bringt über ihre Plattform die Bürger zusammen. Seitdem konnten sich unter anderem die Red Poison Cheerleader neue Uniformen kaufen und zwei Stuttgarter Beachvolleyballerinnen Reisekosten und Unterkunft für zwei große Turniere in Moskau und Den Haag zahlen. „Regionales Crowd-Funding hat ein riesiges Potenzial – die Bürger fühlen sich emotional mit ihren Vereinen verbunden. Wir möchten mit den Kommunen zusammenarbeiten. Sie könnten uns zum Beispiel mit Gutscheinen für Stadt, Oper oder Galerien unterstützen und wir damit um Spender werben.“

„Crowd-Funding ist in einer Stadt oder Region eine Chance für alle“, sagt auch Alexandra Partale, die im Juli das Portal Place2help gestartet hat. „Dabei geht es uns nicht nur um die Finanzierung von Projekten, sondern auch darum, gemeinsam etwas für den Ort zu bewegen, mit man sich identifiziert.“ Partale verweist auf Projekte, die über internationale Plattformen wie Kickstarter bereits im Ausland umgesetzt wurden: So wurde in New York ein Prototyp eines öffentlichen Swimmingpools im Hudson River finanziert. In München finanzierte die größte deutsche Plattform Startnext ein hochkarätiges Podium, um eine Diskussion über ein Isar-Flussbad anzuregen.

Die Stadt Stuttgart reagiert noch zurückhaltend

Dass die Bürger dadurch die Arbeit der Kommunen übernehmen, glauben weder Partale noch Lorenz. Es gebe genügend Projekte, die finanziert werden müssten, sagt Lorenz. „Bei der Stadt geht es vor allem um die Infrastruktur. Sie wird sicherlich keine Trikots bezahlen. Aber das Crowd-Funding kann die kommunalen Aufgaben sinnvoll ergänzen.“ Deshalb suche sie derzeit das Gespräch mit der Stadt Stuttgart. „Bei Kommunen dauert es etwas länger. Aber ich bin ganz zuversichtlich. Wir müssen das Thema alle erst einmal in den Kopf bekommen.“

Das merkte auch Meike Schneider. Auf dem Weg zur Finanzierung des Klettergerüsts stand ein schmaler gelber Balken, der die Prozentpunkte bis 100 zählte. Mit ihm wuchs die Hoffnung, Stagnation bedeutete Stress. Zwei Wochen vor Ende der Frist erreichte der Balken nur 60 Prozent. „Doch dann ging nochmals ein Ruck durch die Elternschaft“, sagt Schneider. Viele von ihnen warben auf den sozialen Netzwerken wie Xing und Facebook und schrieben Mails, oft an den kompletten Bekanntenkreis.

Schneider geht das Klettergerüst ab, hangelt sich an den blauen Seilen entlang, die sich zwischen den Stämmen spannen. Sie zeigt die azurblaue Tischtennisplatte, den Basketballkorb, die zwei Kastanien, die Schaukel. Am Ende gab es noch etwas obendrauf, denn zum Stichtag war der Balken gesprengt – 146 Prozent von 91 Unterstützern.

Bald werden die Spenderplaketten an Gerüst und Bäumen kleben, sagt Schneider. Die erste Schulführung gab es bereits. Ob sie sich es vorstellen könne, Ähnliches noch einmal zu versuchen? Sie geht an dem Schulsaal vorbei und blickt durch die Scheibe nach innen: „Warum nicht zum Beispiel ein Flügel? Es gibt noch so viel, das wir in Angriff nehmen wollen.“