Norbert Matheis arbeitet gerne im Laden der Schwäbischen Tafel. Ein Einkauf für knapp sieben Euro ernährt eine ganze Familie. Foto: Waltraud Daniela Engel

Norbert Matheis arbeitet gerne im Laden der Schwäbischen Tafel. Ein Einkauf für knapp sieben Euro ernährt eine ganze Familie. Aber selbst das ist für viele eine Menge Geld.

Möhringen - Schon mehr als eine Stunde bevor das Geschäft öffnet warten drei ältere Menschen im Vorraum des Tafelladens. Drinnen ist es beheizt – deshalb ist es gerade im Winter schnell voll. Die Scheiben sind von außen mit blickdichter Folie abgeklebt. Weniger, damit man nicht nach draußen sehen kann. Die Kunden sollen vor neugierigen Blicken geschützt werden. Verbannt hinter Folie, mitten im Ortskern und doch am Rand der Gesellschaft.

„Für viele sind die Stufen die größte Hürde“, sagt Norbert Matheis, der seit April vergangenen Jahres den Tafelladen in der Filderbahnstraße 53 leitet. Viele Kunden gehen erst ein paar Mal vorbei, bevor sie sich entschließen, dort einzukaufen. Die Scham ist zu groß: Erkennt man mich? Was werden die Leute sagen, wenn sie wissen, dass ich arm bin?

Rund 200 Bedürftige kommen jeden Tag zum Einkaufen. Tendenz steigend. Wenn die kleine Rente nicht reicht, wenn Hartz IV in der Mitte des Monats aufgebraucht ist, wenn die Alkoholsucht oder eine Krankheit einen in die Knie zwingt – dann wird man Kunde. „Besonders berührt hat mich der Fall einer Kundin, die früher eine sehr erfolgreiche Rechtsanwältin war“, sagt Matheis. Durch eine schwere Krankheit und zahlreiche Operationen war sie nicht mehr in der Lage, ihren Beruf auszuüben. Die Frau lebt mittlerweile am Existenzminimum. Armut durch Krankheit ist leider kein Sonderfall, weiß Matheis aus Erfahrung.

Fleisch und Wurst gibt es so gut wie nie

Mittlerweile ist es 10 Uhr und die Türen des Tafelladens öffnen sich. Ein Türsteher kontrolliert die Ausweise, um zu verhindern, dass Nicht-Bedürftige versuchen kostengünstig einzukaufen. Die Mischung der Kunden ist bunt: ältere Herren mit Hut, eine Dame im abgetragenen Pelz, eine junge Frau mit einem Kleinkind. Erster Anlaufpunkt ist die Milchprodukteabteilung. Erfahrungsgemäß sind Käse und Joghurt schnell ausverkauft. Heute sind auch Tomaten und Zwiebeln sehr begehrt. Einkaufen nach Einkaufszettel gibt es im Tafelladen nicht. Was da ist, ist da. Fleisch und Wurst gibt es so gut wie nie.

„Wir verkaufen ausschließlich Spenden“, sagt Matheis. Egal, ob Einzelhandel, Discounter oder Bäcker um die Ecke: Wer Waren spenden möchte, wird von den Lieferfahrzeugen der Tafel angefahren. Viele sehen die Tafel als Möglichkeit, kostenfrei übrig gebliebene Waren zu entsorgen – wobei sich Matheis gegen den Begriff Abfall wehrt: „In die Regale kommen ausschließlich einwandfreie Waren – ein geringes Haltbarkeitsdatum ist zum Beispiel ein Grund, warum wir Ware gespendet bekommen“, sagt er. Und wenn im Netz Mandarinen eine zermatschte dabei ist, wird sie aussortiert und die anderen gehen neu verpackt in den Tafelladen. „Eigentlich immer brauchen wir Teigwaren und Konserven“, sagt Matheis. Leider, so der 56-Jährige, haben die Einzelhändler gerade bei solchen Produkten dazu gelernt und reduzieren sie selbst im Preis, bevor das Haltbarkeitsdatum abläuft. Einzig Alkohol und Zigaretten werden nicht verkauft. „Wir unterstützen Suchtverhalten nicht“, sagt er.

Sortiert und neu eingepackt wird vor Ort, jedoch hinter den Kulissen. Dort arbeiten hauptsächlich Ein-Euro-Jobber. So wie die 62-Jährige Anna, die lieber nicht ihren wirklichen Namen in der Zeitung lesen möchte. Auch sie lebt von Harz IV, möchte aber auf keinen Fall zu Hause auf dem Sofa rumgammeln. „Ich arbeite gerne hier und auf dem Arbeitsmarkt habe ich keine Chance“, sagt Anna. Dabei ist sie gut ausgebildet: Als Ingenieurin kam sie vor rund zehn Jahren nach Deutschland und fand aber wegen schlechter Sprachkenntnisse keinen Job. Nach den entsprechenden Weiterbildungskursen war sie den Arbeitgebern schlicht zu alt.

Ein durchschnittlicher Einkauf kostet zwei Euro

Viele arbeiten gerne im Tafelladen, meint Matheis. „Anreiz sind sicher auch die grünen Kisten“, sagt er und deutet auf ein Regal an der Wand. Dort darf jeder Mitarbeiter, der die Waren sortiert, seinen Einkauf aufbewahren. Man sitze so quasi an der Quelle. Bezahlt wird nach Ladenschluss. Ein durchschnittlicher Einkauf in der Filderbahnstraße 53 kostet rund zwei Euro. Zucchini gibt es für fünf Cent, Schokolade für 30 Cent.

Aber selbst das ist für manche, die im Tafelladen einkaufen, viel Geld. An der Kasse packt gerade ein junger Mann, der sicher auch als Student durchgehen könnte, seinen 2,50-Euro-Einkauf ein und meint: „Mist, die Schokolade hätte ich mir sparen können.“ Aufmunternd antwortet die Mitarbeiterin an der Kasse: „Jetzt gönn’ dir einmal was und lass’ es dir schmecken.“