Er wechselte seine Stile so häufig wie seine Beziehungen: Pablo Picasso war vielseitig. Die Kunsthalle Würth will seine Bezüge zu anderen Künstlern zeigen – und verhebt sich dabei.
Schwäbisch Hall - Die Presse war empört. „Tapetenmuster“ schrieben die Kritiker verächtlich, „Würfelkunst“, nichts als „Exzentrizitäten“. Im Nachhinein aber war die Sonderbund-Ausstellung, die 1912 in Köln stattfand, ein Meilenstein der Kunstgeschichte. Die meisten der damals ausgestellten „Tapetenmuster“ kosten inzwischen ein Vermögen. Die Namen der in Köln vertretenen Künstler werden heute nur noch voller Ehrfurcht genannt: Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee und auch Pablo Picasso. Ihm wurde bei der Sonderbund-Ausstellung sogar ein eigener Saal gewidmet – und es wurde sein großer Durchbruch in Deutschland.
Picasso hatte ein besonderes Verhältnis zu Deutschland. Die französische Presse hielt sich noch sehr bedeckt oder hielt sein Werk für „Bluff“, in Deutschland aber reüssierte Picasso schon früh. Es waren die wichtigen deutschen Händler, die ihn aufbauten und am Markt platzierten, wie man das heute nennen würde. Alfred Flechtheim, Otto Feldmann und vor allem der berühmte Daniel-Henry Kahnweiler förderten Picasso und machten aus ihm einen Weltstar. Die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall widmet sich nun dieser besonderen Beziehung mit „Picasso und Deutschland“ – und will sehr viel auf einmal zeigen: einerseits, wie Picasso auf deutsche Kunst reagierte, aber auch, wie deutsche Künstler Themen und formale Fragen verhandelten, die auch Picasso interessierten. Da Picasso extrem vielseitig war und in seiner langen Karriere viele Stile und Motive erprobte, ist das entsprechend ein ehrgeiziges Unterfangen.
Die Ausstellung war zuvor bereits in ähnlicher Form in Malaga zu sehen, dort also, wo Picasso 1881 geboren wurde. 1904 zog er nach Paris, die Hauptstadt der künstlerischen Avantgarde. Nicht nur ihn, auch andere Künstler seiner Zeit zog es in die französische Metropole, ob es Franz Marc war oder später Max Beckmann. Auch Kahnweiler, der in Stuttgart aufgewachsen ist, eröffnete 1907 eine Galerie in Paris und sorgte für den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich - und für einen regen Handel.
In Hall wird die Heroisierung Picassos fortgeschrieben
Picasso sei dabei für viele der „Leitstern“ gewesen, so die These der Ausstellung, die die Heroisierung Picassos munter fortschreibt und zahlreiche Verbindungslinien zwischen seinen Themen und Stilen und denen anderer Künstler erstellt, selbst wenn diese inhaltlich und formal gänzlich andere, eigenständige Wege gegangen sein mögen.
Der Kurator José Lebrero Stals, der Direktor des Museo Picasso Málaga, beginnt seine hochkomplexe Ausstellung zunächst recht pädagogisch mit Arbeiten, bei denen sich Picasso auf deutsche Künstler bezog wie Lucas Cranach, dessen „Bathseba beim Bade“ (1525 bis 1530) er in Lithografien verarbeitete. Cranachs Linienführung ist leicht, subtil und zart, Picasso dagegen reduziert die Formen, sein Strich ist lebendiger, gröber, lauter. Die Figuren sind bei Picasso mitunter humorvoll ausformuliert. Die Magd etwa, die der Bathseba die Füße wäscht, kann ihre drallen Brüsten nur schwer im Ausschnitt verbergen. Und sein Amor, den er bei Cranachs Holzschnitt „Venus und Cupido“ entlehnt und in Ölmalerei übertragen hat, ist ein dickbackiger Gnom.
Künstler haben zu allen Zeiten die Alten Meister studiert, im 19. Jahrhundert entsteht aber auch ein neues Interesse an der Kunst der sogenannten primitiven Völker. Auch das wird in der Kunsthalle augenfällig gegenübergestellt: hier eine Reliefplatte aus dem Königreich Benin, dort ein Gemälde von Kirchner, der sich direkt auf diese Vorlage bezieht. Kirchners „Liegende“ von 1911/12 ist ebenfalls von Volkskunst inspiriert, während Picassos „Ruhender Akt“ dreißig Jahre später eine ganz ähnliche Körperhaltung zeigt. Bei ihm hat die Frau die Arme kess hinter dem Kopf verschränkt – und das ist es, was vielleicht die eigentliche Qualität von Picasso war, das Leichte und Dahingeworfene, die schnelle, unbeschwerte Zeichnung, die oft ins Komische oder auch Despektierliche abdriftet.
Die Wirklichkeit interessiert Picasso nicht
Picasso wechselte seine Stile fast so häufig wie seine Beziehungen – und die 22 Themenkreise der Ausstellung bei Würth spiegeln das enorme Spektrum. Hier die Collagen, bei der Zeitungsausschnitte oder Tapetenstücke mit einer Zeichnung kombiniert werden, dort Landschaften oder Porträts, bei denen besonders deutlich wird, dass Picasso die Wirklichkeit selbstbewusst manipuliert, die Gesichter fragmentiert und verzerrt – um der Malerei selbst willen und eben nicht, um Wesen oder Physiognomie einzufangen.
Allzu leicht verirrt man sich als Besucher allerdings in den zahllosen Bezügen, die hier scheinbar kennerhaft erstellt werden. Allein die schiere Fülle ist überwältigend, an die 500, 600 Werke werden es sein, sogar vor den Aufzügen und Toiletten wurden noch Werke gehängt – und doch sucht man mitunter vergeblich nach Belegen für das, was in den einzelnen Sektionen verhandelt werden soll. So erfährt man zwar viel von der Kölner Sonderbund-Ausstellung, die „das Wildeste versammelt, das in Europa gemalt wird“, wie Edward Munch frohlockte. Was dort ausgestellt wurde, verrät die Schau aber nicht. Die Werke neben der Infotafel können es jedenfalls nicht gewesen sein, sie sind viele Jahre später entstanden.
Dafür entdeckt man in der Abteilung zu Eulen, Tauben und Friedenstauben ein kleines Bild, das vielleicht die größte Überraschung ist, weil es den medial und kommerziell nicht so ausgeschlachteten Picasso vorstellt: „La conversation“ von 1901 zeigt auf kleinem Format ein Paar in eleganter Abendrobe auf einem Sofa – und verrät, dass eben auch ein Picasso einst ganz traditionell begonnen hat.