Links neu, rechts alt - die Umbaustelle Schulzentrum Nord an der Heilbronner Straße Foto: Wulf Architekten/Steffen Vogt

Täglich sind 1600 Schüler im Schulzentrum Nord, dennoch wird es komplett erneuert. 

Stuttgart - Der Plan war kühn. Während täglich 1600 Schüler unterrichtet werden, sollte das Schulzentrum Nord für 46 Millionen Euro runderneuert werden. Nun ist der erste von fünf Bauabschnitten fertig, und es steht fest: Dieses einzigartige Projekt ist höllisch schwer, aber es klappt.

Kann das gutgehen? Eine Mammutschule unter Betrieb abschnittsweise in einen Rohbau zurückzuversetzen und neu aufzubauen? Als 2007 die Sanierung des Schulzentrums Nord ins Auge gefasst und schließlich im Mai 2010 begonnen wurde, war diese Frage naheliegend, die Antwort darauf eigentlich aber überflüssig. Es gab praktisch keine Alternative.

Die Ausgangslage: Die gewerbliche Werner-Siemens-Schule (WSS) und die Kaufmännische Berufsschule Nord, die sich den Gebäudekomplex teilen, bringen es auf gut 150 Lehrerinnen, Lehrer und Verwaltungsmitarbeiter sowie auf rund 3600 Schülerinnen und Schüler, wovon täglich jeweils etwa 1600 da sind. Ein Interimsgebäude von ausreichender Größe war nicht verfügbar. Die technischen Labore der WSS hätten die Operation zusätzlich erschwert und verteuert. Daher schied eine Sanierung des geräumten Gebäudes ebenso aus wie ein Abriss und Neubau. So begann ein Unterfangen, über das Alexander Vohl und Ingmar Menzer vom Büro Wulf Architekten nach dem ersten Bauabschnitt sagen: "Es war ein Höllenritt."

Die Bauten aus den Jahren 1978 und 1982 waren in vielerlei Hinsicht ein Sanierungsfall. Nicht nur außen dominierte Tristesse. Der Eingangsbereich wurde von den Schulleitern als "Dunkelkammer" empfunden. In dem Komplex - rund 200 Meter lang und 130 Meter breit - gab es Flure wie Labyrinthe: eintönig und verwechselbar. Abgehängte Decken schwebten dicht über den Köpfen. Die Ausgründung eines Schulzweigs der WSS in eine selbstständige Schule in Möhringen ermöglichte es erst, rund 3000 Quadratmeter frei zu machen - für die Ausweichmanöver von Schülern und Lehrern vor den Bautrupps.

Die Attacke der Erneuerer: Die Architekten starteten den ersten Angriff auf das veraltete Gebäude dort, wo die zentralen Einrichtungen sind: bei Aula, Mensa, Sekretariat der WSS, Lehrerzimmer und einigen Technik-Laboren. Die abgehängten Decken kamen weg, in der Aula stattdessen Oberlichter rein. Die Räume wurden neu aufgeteilt, frühere Nebenflächen dazugeschlagen. Neben die Türen von Klassenzimmern, Laboren und Lehrerzimmer kamen schmale und hohe Glasstreifen, die Durchblicke von den Fluren durch die Räume zur grünen Umgebung des Schulzentrums erlauben. Im Inneren dominieren an den Wänden Weiß und Grau, doch der Teppichbelag auf den Sitzstufen der Aula und die Bodenbeläge sind farblich so gewählt, dass ehemals triste Innenräume durch Farben geradezu inszeniert werden.

An der Außenfassade räumten und räumen die Architekten vertikale Zierstreben ab. Dadurch tritt die horizontale Schichtung der Gebäude stärker in Erscheinung. Dunkle Verkleidungen machen weißen Aluminiumblechen Platz, die teilweise Prägungen aufweisen, teilweise durch Öffnungen den Blick auf eine Folie über dem Dämmmaterial freigeben. "Das ist eine energetisch hochmoderne Fassade, die elegant und fein wirkt", erklärt Vohl.

Farbe gibt es außen nur im Erdgeschoss bei der Mensa. Sie fungiert als Erkennungshilfe. Die Mensa ist künftig nämlich auch Anlaufstelle für 360 Schüler der Neckarrealschule, die wegen des Bahnprojekts Stuttgart21 von der Innenstadt hierherziehen muss. Gerade die farbigen Glaselemente der Mensa erhellen, wie trickreich die Architekten gegen den chronischen Lichtmangel im gesamten Gebäudekomplex vorgehen. "Die Tönung hat den Skibrilleneffekt", sagt Alexander Vohl. Will heißen: Die Tönung schafft mit technischen Mitteln die Illusion von Helligkeit im grauen Nebel.

Der Preis der Neuerung

Der Preis der Neuerung: Die schönen Effekte, die der erste Bauabschnitt gebracht hat, sind hart erkämpft. Logistisch und konzeptionell handle es sich um eine "komplexe Situation", sagt Projektleiter Menzer. Abschnitt um Abschnitt rücken Bauwände weiter, die den Bau- vom Schulbetrieb trennen, allerdings nicht die Kabel und Versorgungsleitungen. Bei ihnen mischen sich noch Alt und Neu. "Am Ende wird keine alte Leitung und kein alter Dübel übrig sein", sagt Ingmar Menzer.

Enger Kontakt zwischen Bauleuten und Schulleuten war und ist unerlässlich. Ständig sind neue Interimslösungen zu vereinbaren. Das klappt inzwischen gut. "Am Anfang war es furchtbar, bis die Bautrupps eingenordet waren", sagt der WSS-Leiter Rainer Klaus. Zu wichtigen Zeiten, etwa zwischen 8 und 13 Uhr, soll lauter Baulärm vermieden werden. Das funktionierte nicht immer gut. Der Lärm und der Zwang, tausenderlei Details mit den Bauleuten zu regeln, zerrte an den Nerven und zehrte an der Gesundheit. "Einige von uns gehen am Stock", sagt Schulleiter Klaus. Besonders seine Stellvertreterin musste fast ihr ganzes Deputat darauf verwenden, zu improvisieren und umzuorganisieren. Die stetige Sorge: dass bloß kein Unterricht ausfällt! Solche Ausfälle würden publik und den Schülerstrom zu anderen Schulen lenken, sagt Klaus. "Wir sind von allen alleingelassen worden. Es gab nicht einen zusätzlichen Mitarbeiter für uns", klagt der Schulleiter über die Zeit vor dem Auftakt. Die Lehrer seien als Lückenbüßer massiv gefordert.

Das Licht am Ende des Tunnels: Die Totalerneuerung unter Betrieb brachte nach Auffassung des Schulleiters aber auch einen positiven Lerneffekt: "Die Schulgemeinde sieht, was hier alles unternommen wird, und erkennt den eklatanten positiven Unterschied zwischen Alt und Neu." Auch für die Architekten waren Koordination und Betreuung "mindestens so intensiv wie unsere planerischen Vorbereitungen", sagt Menzer. Dennoch ist die Zwischenbilanz bestens: "Für beide Seiten ist das ein unheimlicher Kraftakt - aber wir schaffen zusammen eine klasse Schule, die nicht erkennen lässt, dass es ein alter Kern ist", sagt Alexander Vohl.