Amy Limbacher zeigt den Teilnehmerinnen, wie man ein ÖPNV-Ticket bucht. Foto: /Simon Granville

Ein neues, ungewöhnliches Projekt hat an der Theodor-Heuss- Realschule in Kornwestheim begonnen. Die Generation der Enkel eröffnet den „Großeltern“ die digitale Welt. Wie funktioniert das? Der Andrang war riesig. Es gibt sogar eine Warteliste.

Brigitte hat kein Problem damit, eine E-Mail zu schreiben. Mit ihrem Smartphone zieht sich sich regelmäßig Informationen aus dem Internet. Doch wie man am besten eine Konzertkarte online bestellt, das würde sie gerne noch lernen. „Ich habe große Defizite“, gesteht sie. Die ältere Dame ist eine von insgesamt zehn Teilnehmern eines Internetkurses, den die Stadt Kornwestheim, der Stadtseniorenrat und die Theodor-Heuss-Realschule (THRS) nun begonnen haben. Das Besondere: Bei dem neuen Konzept geht es darum, dass nicht irgendwelche IT-Experten, sondern gewöhnliche Teenager älteren Menschen die digitale Welt erklären.

In einem PC-Raum im Untergeschoss der Schule warten die Computer bereits einsatzbereit. Amy Limbacher, Lija Barth, Joa Graf und Luka Buchenau aus der Klasse 9c haben die Schulung sorgfältig vorbereitet. Sie waren sofort angetan, als Rektor Boris Rupnow, der die vier Jugendlichen in Technik unterrichtet, mit der Idee auf sie zugekommen ist. „Ich habe mich gleich dafür gemeldet“, sagt Joa Graf. Der 14-Jährige hat Erfahrung damit, Senioren mit technischen Dingen weiterzuhelfen. Er erklärt seinem Großvater gerne, wie er sein Tablet bedienen kann. „Meiner Oma habe ich außerdem das Handy eingerichtet“, sagt der Realschüler.

Plätze waren schnell ausgebucht

Die kostenlose Schulung mit dem Titel „Digitale Angebote sicher nutzen“ umfasst sechs Termine. Die Idee dafür hat Siegfried Dannwolf, der Vorsitzende des Stadtseniorenrats, an die Schule herangetragen. Einerseits geht es darum, dass die älteren Leute an der digitalen Welt teilhaben können. „Denn die Entwicklung der Digitalisierung können wir nicht aufhalten“, sagt Dannwolf. Andererseits wollte die Stadt im Zusammenhang mit ihrem Modellprojekt „Zukunftswerkstatt“ ein neues, generationenübergreifendes Angebot schaffen. „Die Älteren und die Jüngeren können dabei voneinander lernen“, meint Dannwolf.

Die zehn Plätze waren innerhalb kurzer Zeit ausgebucht. Es musste sogar eine Warteliste angelegt. Absolute Anfänger im Internet sind der Herr und die neun Damen, die sich dafür angemeldet haben, nicht mehr. Das wird auf Anhieb deutlich. Zwei Teilnehmerinnen haben ihre eigenen Laptops mitgebracht. Einige Smartphones werden gezückt. Aber die älteren Leute haben den Anschluss an die allerneuesten Entwicklungen verpasst.

Schwierigkeiten bei der ersten Übung

Beim ersten Termin geht es darum, ein Ticket des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) zu buchen, um nicht auf die Automaten, die nicht überall stehen, angewiesen zu sein. Amy Limbacher liest die erste Schritte vor. Dann sollen die Teilnehmer selbst tätig werden und am PC ausprobieren, ob sie sich zurechtfinden. Schon werden die ersten Schwierigkeiten deutlich. „Muss ich diesen Cookies zustimmen?“, ruft eine Dame in den Raum. „Ich finde hier mehrere Links. Welcher ist denn der richtige?“, will eine andere wissen. Die vier Schüler laufen zwischen den Arbeitsplätzen hin und her, geben Tipps, zeigen Verlinkungen auf dem Monitor und greifen selbst zur Computermaus.

„Mir macht es Spaß, mit Älteren zusammenzuarbeiten“, sagt Lija Barth. Die 14-Jährige kennt sich zwar mit moderner Technik aus, möchte später aber vor allem mit Menschen zu tun haben. Ihrer Großmutter hat sie schon häufiger bei Problemen mit dem Internet und dem Smartphone weitergeholfen. Warum nicht auch Fremden?

Programm geht auf individuelle Wünsche ein

Die vier Kornwestheimer Schüler haben die neue Schulung zusammen in der Gruppe sorgfältig vorbereitet. Sie haben sich Übungen überlegt und Anleitungen formuliert. Vorab haben sie außerdem eine E-Mail an die Senioren versandt, um abzufragen, welche Aspekte die Teilnehmer besonders interessieren.

Auch heute werden die Senioren gebeten, ihre Wünsche und Erwartungen zu artikulieren. Zu welchen Themen wünschen sie sich Informationen? Welche Bereiche bereiten ihnen noch Schwierigkeiten? Dabei kristallisieren sich schnell Schwerpunkte heraus: das Kaufen von Konzertkarten, das Organisieren von Dateien und Dokumenten und die Navigation über das Smartphone in einer fremden Umgebung. „Wir haben uns selbst schon mal ein Programm überlegt. Aber wir richten uns danach, auf welchem Stand die Teilnehmer sind und was sie lernen möchten“, erklärt der 16-jährige Luka Buchenau. Wenn die Schüler selbst einmal nicht weiter wissen oder sich die Beantwortung einer Frage nicht zutrauen, springt ein Informatiklehrer der Kornwestheimer Realschule ein.

Chance für leistungsstarke Schüler

Dennoch: An der Theodor-Heuss-Realschule wird großen Wert darauf gelegt, dass die Jugendlichen mit viel Eigenverantwortung an die Sache herangehen. „Für uns ist es eine Möglichkeit, besonders leistungsstarke Schüler zu fördern“, sagt Konrektor Björn Wimmer. Vier Neuntklässler, die sich als zuverlässig und höflich erwiesen haben, erhalten mit dem neuen Angebot eine Chance, sich in der Rolle eines IT-Coaches zu beweisen und weiterzuentwickeln. Als Symbol der Anerkennung ihres Engagements werden sie zum Abschluss ein Zertifikat erhalten.

Der Konrektor, der ebenfalls von dem Konzept überzeugt ist, kann sich vorstellen, dass es nicht bei einer einmaligen Aktion bleiben wird. Schließlich kommen weitere Schülerjahrgänge nach, die von der Idee auch zu begeistern sind, meint er.

Kornwestheim macht Senioren fit fürs Digitale

Sprechstunde
 Schüler helfen bei Problemen mit dem Smartphone oder dem Internet: Dieses Konzept steht auch hinter einem weiteren neuen Angebot für Kornwestheimer Seniorinnen und Senioren. Schüler des Ernst-Sigle-Gymnasiums bieten eine offene Sprechstunde zu technischen Fragen an. Sie findet immer mittwochs von 14 bis 16 Uhr in der Bücherei im Kulturhaus K statt. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Vortragsreihe
 Vor Kurzem beendet wurde eine vierteilige Reihe mit Vorträgen zum Thema „Digitale Teilhabe im Alltag“. In der Zeit von Ende November bis Mitte Februar konnten sich ältere Einwohner von Kornwestheim kostenlos beispielsweise über sicheres Surfen im Internet oder die Digitalisierung im Gesundheitswesen informieren. Ziel war es, den Seniorinnen und Senioren digitale Kompetenzen zu vermitteln.