Am Ende des Schuljahres halten Kinder ihre Zeugnisse in die Höhe Foto: dpa

Fehlzeiten sollen aus den Zeugnissen verschwinden, fordern Eltern – mit wenig Chancen auf Erfolg.

Stuttgart - Eigentlich hatte sich Marion M. gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz ausgerechnet: Ihre Fachnoten waren ordentlich, in Verhalten und Mitarbeit hatte die Neuntklässlerin eine zwei. Dennoch bekam die Realschülerin auf ihre Bewerbungen nur Absagen. Auf Nachfrage der Mutter sagte ein Ausbildungsleiter: „Wenn dieser Satz nicht mehr im Zeugnis steht, soll sie sich nochmals bewerben!“

Der unerwünschte Satz heißt: „Marion M. hat an mehr als 14 Unterrichtstagen gefehlt.“ Die Neuntklässlerin hatte an insgesamt 17 Tagen nicht am Unterricht teilgenommen und für jeden Fehltag eine Entschuldigung vorgelegt. Dass die Schülerin krank war , habe für die Lehrer keine Rolle gespielt, kritisiert Cornelius Gruner, stellvertretender Vorsitzender des Gesamtelternbeirats (GEB) Stuttgart. Solche Fälle gebe es immer wieder.

Seit 1995 können Schulen in Baden-Württemberg Fehlzeiten im Zeugnis vermerken. „Unter Bemerkungen können Aussagen zu häufigen Fehlzeiten gemacht werden“, heißt es in der Notenbildungsverordnung. Ausgenommen davon sind die Abgangs-, Abschluss und Prüfungszeugnisse.

Der Gesamtelternbeirat hat die Regelung in den vergangenen Jahren immer wieder bemängelt. In einem Schreiben an Kultusministerin Gabriele Leitheußer-Warminski (SPD) appellierten die Elternvertreter vor einigen Wochen, sie möge die Verordnung doch auf den Prüfstand stellen und so abändern, „dass Jugendliche nicht schon am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn beeinträchtigt werden“.

Eltern: Regelung ist ungerecht

Die jetzige Regelung sei ungerecht, weil sie an den Schulen unterschiedlich gehandhabt würde, argumentieren die Eltern. Ein Teil der Schulen verzichtet darauf, sie anzuwenden. Manche Schulen tragen nur unentschuldigte Fehltage ein, andere auch die entschuldigten. Zudem sei nicht einmal innerhalb von Schulen eine Gleichbehandlung sichergestellt, weil die Klassenkonferenzen darüber entscheiden, ob Fehlzeiten ins Zeugnis kommen, so die Eltern. Aus ihrer Sicht haben Krankheitstage im Zeugnis nichts zu suchen. „Krankheitsfehltage dürfen bei einem Bewerbungsgespräch grundsätzlich keine Rolle spielen, durch die Erwähnung im Zeugnis wird gerade das aber zum Thema“, so die GEB-Vorsitzende Sabine Wassmer. Das Argument mancher Lehrer, dass die Fehlzeiten ja nicht in Abschluss- oder Prüfungszeugnissen aufgeführt würden, überzeugt die Eltern nicht. „In der Regel bewerben sich Schüler nicht mit dem Abschlusszeugnis, sondern mit dem Zeugnis der vorletzten Klasse“, so Wassmer.

Die Hoffnung, bei der SPD-Ministerin mehr Verständnis für ihr Anliegen zu finden als bei deren CDU-Vorgängern, trog. Die Regelung beruhe „auf einem Vorschlag von Schulpraktikern und trägt dem Umstand Rechnung, dass es insbesondere bei älteren Schülern missbräuchliche Krankmeldungen gibt, die juristisch nicht widerlegbar sind“, antwortete Warminski-Leitheußer den Eltern. Auch seien Atteste nicht unbedingt verlässlich, „weil es oft um die Verifizierung innerer Tatsachen geht“, für die auch der Arzt auf die Angaben seines Patienten angewiesen sei. In den 17 Jahren ihres Bestehens habe die Regelung „viele Jugendliche zur Erfüllung ihrer Schulpflicht angehalten und damit für die Biografien der Betroffenen selbst und für das Land viel Gutes bewirkt“, so die Ministerin. Das lasse sich schon daran erkennen, dass der Landeselternbeirat dieses Thema in all den Jahren nie aufgegriffen habe.

Kultusministerin Warminski-Leitheußer irrt sich

Da irrt sich Warminski-Leitheußer. Bei der Einführung erklärte der Landeselternbeirat (LEB), die Regelung sei kein geeignetes pädagogisches Mittel, um Schulschwänzen zu verhindern. Zuletzt diskutierten die Elternvertreter im vorigen Herbst darüber. Es gebe unterschiedliche Positionen, sagte LEB-Chef Theo Keck. Viele lehnten die Regelung ab, „weil sie der Willkür Tür und Tor öffnet“. So seien Schülern, die wegen Busfahrerstreiks Unterricht verpassten, Fehlzeiten eingetragen worden. „Wir brauchen entweder eine einheitliche Regelung – oder man lässt es bleiben“, so Keck.

Der baden-württembergische Handwerkskammertag hätte nichts gegen die Abschaffung der Regelung. „Die Aussagen in den Zeugnissen sind nicht aussagekräftig, weil die Schulen sie unterschiedlich handhaben“, sagt Hauptgeschäftsführer Oskar Vogel. Die Probezeit biete Gelegenheit, zu erkennen, ob Schüler .motiviert seien.