Länger gemeinsam lernen – das will die Koalition Grundschülern in mehr in Ganztagsschulen ermöglichen. Foto: dpa/Patrick Seeger

Um Kindern bessere Startchancen zu ermöglichen, setzt die Koalition auf hohe Fördersummen und eine Pflicht zum Ganztag schon in Grundschulen. Warum die Ankündigung hohe Wellen schlägt.

Das Kultusministerium prüft aktuell, wie die 153 Grundschulen, die vom nächsten Schuljahr an von der neuartigen Startchancen-Förderung für soziale Brennpunkte profitieren, in verbindliche Ganztagsgrundschulen umgewandelt werden können. Das hat unsere Redaktion aus Kreisen beider Koalitionsfraktionen erfahren.

Analysiert wird demnach im Haus von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) aktuell, ob dazu eine Änderung des Schulgesetzes notwendig ist, oder ob das auf dem Verordnungswege erreicht werden kann. Außerdem werde geprüft, wie damit zusammenhängende Fragen der Konnexität gelöst werden können. Gemäß dem „Konnexitätsprinzip“ müssen Kosten politischer Beschlüsse von der Ebene getragen werden, die sie gefasst hat.

„Fördern wo es am nötigsten ist“

Nach dem Paket zur Sprachförderung in Kitas und Grundschulen, dessen Finanzierung im nächsten Doppelhaus die Koalition bereits vereinbart hat, ist die Ausweitung der Ganztagsangebote an Grundschulen das zweite Element aus dem vor zwei Wochen angekündigten grün-schwarzen Bildungsreformpaket, das die Landesregierung zügig umsetzen will und muss.

Zeitdruck gibt es, weil das Land das neue Startchancenprogramm zur gezielten Förderung von Schulen in sozialen Brennpunkten nutzen will, um mehr verbindliche Ganztagsgrundschulen zu schaffen. Das Förderprogramm ist hoch dotiert: bis 2034 sollen jeweils 1,3 Milliarden Euro von Bund und Land in insgesamt 540 baden-württembergische Teilnehmer-Schulen fließen.

Diejenigen Schulen, die schon im Schuljahr 2024/25 starten, muss das Land bis spätestens 1. Juni in Berlin anmelden. Deshalb hat das Kultusministerium vor wenigen Tagen die Liste der 222 baden-württembergischen „Starter“-Schulen veröffentlicht; darunter sind 153 Grundschulen, für die das von Grün-Schwarz intendierte Ganztagsgebot gelten soll. Benannt werden die Teilnehmer vom Land, die Auswahl erfolgt nach Sozialindex, die Teilnahme ist Pflicht. Theresa Schopper will so erreichen, dass die Fördermittel dahin fließen, wo sie am nötigsten gebraucht werden und das Lernumfeld am schwierigsten ist.

Die Ganztagsgrundschule wird in der Landesregierung als wichtiges Mittel gesehen, auch den leistungsschwächeren Schülern wieder zuverlässig Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen zu können. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat zuletzt während der Beratungen über eine Bildungsallianz beklagt, dass im Südwesten erst fünf Prozent der fast 2400 Grundschulen im Südwesten mit einem umfassenden pädagogischen Ganztagskonzepts operierten.

In Kretschmanns erster Amtsperiode als Regierungschef hatte die damalige grün-rote Landesregierung das Ziel gesetzt, siebzig Prozent der Grundschulen in gesetzliche Ganztagsschulen umzuwandeln. Das scheiterte aber wesentlich am Widerstand der Eltern, denen die zeitlich flexibleren kommunalen Betreuungsangebote wesentlich lieber sind als die verpflichtenden, ganztägigen Bildungskonzepte. In den Kommunen hat die Ankündigung der grün-schwarzen Koalition, dass alle Starter-Grundschulen verbindliche Ganztagsschulen werden sollen, Unruhe ausgelöst.

Für Verwirrung sorgt, dass im Informationspaket des Kultusministeriums über das Startchancenprogramm dazu keine Angaben gemacht werden. Der Städtetag hat Schopper deshalb inzwischen eine Liste von Fragen geschickt und darauf gedrungen, dass der „Status der Startchancen-Grundschulen“ geklärt werden müsse. Darüber hinaus wird Klärungsbedarf bei Finanzierung, Sachmittelausstattung, Personal und Baumaßnahmen angemeldet.

Unruhe bei den Schulträgern

Der Städtetag betont, dass laut Schulgesetz die Entscheidungshoheit über die Einrichtung von Ganztagsschulen bei den kommunalen Schulträgern liegt. „Die Rechtsgrundlage für eine automatische Umwandlung von Startchancen-Grundschulen in verbindliche Ganztagsgrundschulen fehlt also“, heißt es in einem Info-Brief des Verbands an seine Mitgliedsstädte. „So etwas an den Kommunen vorbei zu bestimmen, wäre auch kontraproduktiv, weil ohne die Kommunen nicht umsetzbar.“

Bei der Umsetzung der Reform drückt die Koalition aufs Tempo. Dem Vernehmen wollen die Regierung und die beiden Fraktionen Gesetzesänderungen in Zusammenhang mit dem Bildungsreformpaket noch vor der Sommerpause ins Kabinett einbringen.

Ganztagsangebote im Vergleich

Vergleichszahlen
Baden-Württemberg hinkt beim Ausbau des pädagogisch gestalteten Ganztags an Grundschulen hinterher. Laut den jüngsten Statistiken der KMK sind gut 28 Prozent der Grundschulen in Baden-Württemberg gesetzliche Ganztagsschulen; bundesweit sind es 71 Prozent. An 3,1 Prozent dieser Schulen im Land sind alle Schüler zur Teilnahme am Ganztagsprogramm verpflichtet; bei 2,8 Prozent der Schulen gilt die Teilnahmepflicht für einen Teil der Schüler. 22,5 Prozent praktizieren den sogenannten „offenen“ Ganztag, wo einzelne Schüler auf Wunsch ganztägige Lernangebote nutzen. Diese Form ist auch bundesweit bei einem Anteil von 61,8 Prozent mit Abstand am populärsten.

Betreuung
Deutlich höher ist die Zahl der baden-württembergischen Grundschüler, die kommunale Betreuungsangebote im Anschluss an die Unterrichtszeit nutzen. Im vorigen Schuljahr galt das nach Angaben des Städtetags für 57 Prozent der Grundschüler; wie viele der 2400 Grundschulen im Land inzwischen solche Betreuungsangebote machen, wird nicht erfasst.