Die Medienwerkstatt Mühlacker hat die Grundschrift entwickelt Foto: StN

In Finnland können künftig Lehrer darüber entscheiden, ob ihre Schüler die klassische Schreibschrift erlernen. Blockschrift und Tippen sollen in der Schule Vorrang erhalten.

Stuttgart - Seit 2001 ist Finnland für viele Vorbild, wenn es um bildungspolitische und pädagogische Fragen geht. Bei der ersten Pisastudie, dem internationalen Schülerleistungsvergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), erreichten die 15-Jährigen aus dem Norden beim Lesen und Rechnen Spitzenwerte, während die Gleichaltrigen aus Deutschland unter dem Durchschnitt lagen. Frühere Förderung, individuelle Unterstützung und auch längeres gemeinsames Lernen gelten seitdem vielen als Rezept für mehr Schulerfolg.

Mit ihrem neuen Plan, die Schreibschrift-Pflicht abzuschaffen, stoßen die Finnen allerdings auf einige Skepsis: Vom Schuljahr 2016 bleibt es im Norden den Grundschullehrern überlassen, ob sie ihren Kindern die Schreibschrift beibringen oder sich mit Blockbuchstaben und Tippen begnügen. Viele Lehrer hätten beklagt, dass gerade Jungen motorische Schwierigkeiten mit dem Erlernen der Schreibschrift hätten, sagte Irmeli Halinen, Leiterin der Lehrplan-Entwicklung im finnischen Bildungsministeriums in Helsinki. Auch in den oberen Klassen erfordere die Schrift viel Übung. Die solle künftig mehr dafür verwendet werden, auf Tablets und Computertastaturen tippen zu lernen. An der Blockschrift halte Finnland aber fest. „Wir geben das Schreiben mit den Händen nicht auf“, so Halinen.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg warnte am Donnerstag davor, „bewährte Kulturtechniken sukzessive abzuschaffen, um Schülern vermeintlich etwas Gutes zu tun und das Leben zu erleichtern“. Die Einübung einer verbundenen Handschrift in der Grundschule dürfe „auf keinen Fall zur Disposition gestellt werden“, sagte VBE-Sprecher Michael Gomolzig. Die geschickte Bedienung der Tastatur eines Handys, Tablets oder Computers könne nicht das Erlernen einer Schreibschrift ersetzen, die sich im Laufe der Jahre zu einer individuellen Handschrift entwickle. Außerdem funktionierten Bleistift und Füller ohne Strom und Akku und seien überall einsetzbar.

Die Schreibschrift spiele auch eine wichtige Rolle für die Entwicklung der motorischen und geistigen Fähigkeiten der Schüler, sagte Gomolzig. „Mit der Begründung, dass es die Kinder mit der Tastatur einfacher hätten, könnte man auch das Kopfrechnen abschaffen, denn auch das leistet ein Taschenrechner zunächst schneller und zuverlässiger.“ Schule müsse jedem Kind die Chance und die nötige Zeit geben, eine Handschrift zu erlernen. „Das erfordert mitunter Fleiß, strengt an und macht nicht immer nur Spaß, vermittelt aber, wenn der Schüler es geschafft hat, ein lebenslanges Erfolgserlebnis.“ Er kritisierte, dass seit 2011/12 an 17 Grundschulen im Land eine einfachere Schrift erprobt wird „weil angeblich ein Drittel der Jungen und zehn Prozent der Mädchen am Ende der Grundschulzeit eine unleserliche Handschrift hatten“. Auch in anderen Bundesländern wird debattiert, welche Schrift sinnvoll ist.

In die Diskussion hat sich vor einiger Zeit auch der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer eingeschaltet. Vereinfachungen wirkten sich nachteilig auf die geistige und motorische Entwicklung der Schüler aus, ist er überzeugt. Je komplizierter die Abläufe im Gehirn seien, desto mehr bleibe hängen. „Ein geringerer Gebrauch des Gehirnes führt zu geringerer Strukturierung und damit auch weniger Leistung.“ Das zeigten auch Studien mit Studenten. Diejenigen, die in Vorlesungen alles mittippten, hätten zwar bessere Mitschriebe, erinnerten sich aber weniger an den Stoff als die, die sich handschriftliche Notizen machten und überlegten, wie sie das Gehörte zusammenfassen.