Benedikt Bosch und Katja Knaus aus Stuttgart haben das preisgekrönte Einfamilienhaus im Allgäu entworfen. Foto: Brigida Gonzalez/cf Brigida Gonzalez

Das Stuttgarter Architekturbüro Studio Yonder hat im beschaulichen Luftkurort Oberreute im Allgäu auf einem komplizierten Grundstück ein raffiniertes Holzhaus umgesetzt. Die Aussicht ist phänomenal und entschädigt für die Mühen beim Bau.

Keine Frage, das Allgäu ist eine der beliebtesten Urlaubsregionen in Deutschland. Die Region überzeugt mit viel Lebensart, einer idyllischen Landschaft und – falls das Wetter mitmacht – atemberaubenden Alpenpanoramen.

 

Und deswegen ist es auch kein Wunder, dass das Berliner Ehepaar Schmucker nach vielen Urlauben in den Bergen sich ausgerechnet in einen Steilhang als Bauplatz verliebt hat, der auf der Sonnenterrasse des Westallgäus liegt: im schmucken Oberreute. Der Luftkurort befindet sich unmittelbar an der Grenze zu Österreich und dem Vorarlberg, einem Sehnsuchtsflecken Erde für alle, die sich für ambitionierte Holzarchitektur interessieren.

Das gilt auch für Gabriele Schmucker, sie ist pensionierte Lehrerin, ihr Mann Andreas Musikalienhändler. Beide sind zudem passionierte Wanderer und Radfahrer, die seit vielen Jahren im Voralpenraum Urlaub machen und sich ihren Traum von einem eigenen und vor allem etwas anderen Haus im Allgäu verwirklichen wollten.

Doch Individualismus, davon kann jedes Architekturbüro ein vielstimmiges Lied singen, kann richtig anstrengend sein, vor allem wenn man nicht auf der österreichischen, sondern auf der deutschen Seite bauen will. Ins Vorarlberg pilgern Architekturfreunde aus der ganzen Welt, was man vom Allgäu nicht behaupten kann. Aber das heißt nicht, dass es nicht Menschen gäbe, die mutig vorangehen.

Wenig nutzbare Fläche

Das Grundstück der Schmuckers in Oberreute ist eigentlich 1300 Quadratmeter groß, richtig nutzbar als Baufläche sind allerdings nur rund 300 Quadratmeter, weswegen es wahrscheinlich auch ein Schnäppchen war. An einem steilen Hang zu bauen ist immer schwierig. Und noch herausfordernder wird es, wenn man sich für die Umsetzung eines Holzhauses an ein innovatives Planungsbüro wendet, etwa das Studio Yonder aus Stuttgart. Benedikt Bosch und Katja Knaus haben schon wirklich aufregende Projekte realisiert, etwa den Modernisierungsumbau für die Architektenfamilie Behnisch auf der Stuttgarter Halbhöhe.

Und Studio Yonder hat außerdem das Haus P in Oberreute konzipiert und 2015 fertiggestellt, welches die Schmuckers aus Berlin nachhaltig auf einem Spaziergang beeindruckt hat. Das Haus P hat seitdem zahlreiche Architekturpreise erhalten. Dieses markante Ferienhaus mit der abgeflammten Holzfassade für eine siebenköpfige Familie aus Hamburg zitiert den traditionellen Baustil des Allgäus, während gleichzeitig eine eigenständige zeitgenössische Architektur entstanden ist.

Eine Art Jägerhochsitz

Kein Wunder also, dass die Schmuckers mit ihrem ästhetischen Anspruch bei Katja Knaus und Benedikt Bosch angeklopft haben. Wie nicht anders zu erwarten, lieferte Studio Yonder: Der außergewöhnliche Plan für das Haus S sah einen aufgeständerten Turm vor, inspiriert von einem „Jägerhochsitz“, wie Benedikt Bosch erläutert, auch um den Höhenunterschied am Hang auszunutzen. Das „wachsende“ Haus aus Holz hätte zwei Etagen sowie eine Dachetage erhalten. Und mit dem Wachsen war gemeint, dass man die beiden unteren Geschosse bei Bedarf nachträglich hätte „einschieben“ können. Die Firsthöhe hätte zehn Meter betragen.

Doch der Entwurf wurde vom Gemeinderat abgelehnt, man fürchtete um das architektonische Gesamtbild in der Gemeinde. Das ist leider nicht untypisch für den ländlichen Raum in Süddeutschland, man will angeblich alpine Bautraditionen wahren und glaubt, dass diese darin bestehen, Neubauten mit einem geschindelten Satteldach zu versehen, ein paar Geranienkästen vor die gedrechselten Holzbalkone zu hängen und vor dem meist weißen Haus einen kleinen Vorgarten anzulegen, gern mal als perfekt gestutzter Rasen.

Mag sein, dass dieses Klischee die Touristen mögen. Mit der tradierten Bauweise hat dieser Stil aber herzlich wenig zu tun. Doch was hilft die Erkenntnis, wenn in deutschen Gemeinderäten und Bürgermeisterstuben – anders als in Vorarlberg – nur selten Leute mit architektonischer Fachkenntnis sitzen?

Ein gutes Architekturbüro erkennt man auch daran, dass es eine Ablehnung als neue Chance begreift. Im nächsten Anlauf verzichtete man auf eines der Stockwerke. Das reduzierte die Gebäudehöhe zwar nur um einen Meter, der Plan überzeugte die Entscheidungsträger aber. Auf das weggelassene Stockwerk wollten weder die Bauherrschaft noch Studio Yonder verzichten und so wurde es kurzerhand durch einen kleinen Anbau ersetzt.

Eine Art Hof

Über eine weitläufige Terrasse erreicht man das Nebengebäude, in dem nun die Sauna, das Gästezimmer und ein Fitnessraum untergebracht sind. Der kleine halbrunde Bau umschließt eine alte Eiche, die gerettet werden konnte und nun Schatten spendet. Durch die Volumenzerlegung bekam man eine Art Hof, die beiden Gebäude bilden ein spannungsreiches Duo.

Dazwischen der Baum, im Rücken der Hang. Man fühlt sich geschützt, ja behütet und erinnert sich an Bauernhöfe, die ebenfalls aus Haupthaus und den Wirtschaftsgebäuden bestanden, aber leider kaum noch erhalten sind. „Es ist ein Haus, dass durch seine Formensprache eine Verbindung zur traditionellen alpinen Bautradition schafft, aber mit Hilfe einer modernen Interpretation“, sagt Benedikt Bosch bei einem Besuch im Hause der Schmuckers, das inzwischen auch schon einige Architekturauszeichnungen erhalten hat. „Das Projekt war nicht einfach, zumal wir zunächst von unserem eigentlichen Plan eines wachsenden Hauses abrücken mussten“, und verweist noch auf die Betonplomben, die zusätzlich zur Stützung des Hanges mit Spezialgerät eingebracht werden mussten.

Am Ende lief alles gut

Das war ursprünglich nicht vorgesehen, verbrauchte Zeit und Nerven und machte alles teurer. „Doch am Ende lief alles gut, wir haben unseren architektonischen Anspruch verwirklicht. Wir sind schon ziemlich stolz auf das Projekt.“ Das ist nicht nur so dahingesagt. Der Stuttgarter Architekt streicht fast zärtlich mit den Fingern über die Wände, während er die Treppe zum Wohnraum im ersten Stockwerk nimmt.

„Der Baukörper besteht aus unbehandeltem Fichtenholz und wurde ökologisch gedämmt“, sagt Bosch. Wichtig war den Planern, den Bau auch im Inneren als Holzhaus kenntlich zu machen. Deswegen sind die konstruktiven Holzbauelemente wie Sparren und Ständer sichtbar geblieben.

Oben angekommen, steht man in einem offenen Raum, der Esszimmer, Wohnzimmer und Küche verbindet. Vor einem Designklassiker, dem Lounge Chair von Eames wird der überwältigende Blick in die Landschaft inszeniert: Ein Panoramafenster gibt den Blick in die Natur frei. Das ist eine Spezialität von Studio Yonder – das schönste Außen gekonnt ins heimelige Innere zu holen.

„Große Fensterflächen rahmen die Landschaft“, sagt Benedikt Bosch nüchtern. Doch so einfach ist es freilich nicht. Man muss ja wissen, wie man die Sichtöffnungen setzt. Die Blickachsen auf die Landschaft bestimmen die Ausrichtung des Hauses. Und das ist nicht alles: Zusätzlich wurde der Firstbalken schräg in Richtung Süden ausgerichtet, das ergibt dann eine leichte Drehung des Daches. Das wiederum ist tatsächlich nach Vorgabe ein Satteldach mit geschuppten Schindeln, bloß dass diese aus recyclefähigem Aluminium gefertigt sind.

Wo man auch hinblickt, alles gefällt, wirkt schlüssig – innen wie außen. Das Haus ist weit mehr als ein Kompromiss, Dank der Ausdauer der Bauherrschaft und der konsequenten Umsetzung von Studio Yonder steht nun eine weitere architektonische Sehenswürdigkeit in Oberreute.

Und passend zu diesem hoffentlich beispielgebenden neoromantischen Allgäuer Öko-Holzhaus mit ausgelagerter Sauna gibt es auch drei Schafe, welche die laute Motorsense ersetzen und am steilen Hang die Naturwiese geräuschlos kurzhalten: sie heißen Ellie, Jojo und Bruno. Der Rest ist: runterkommen, abschalten und die würzige Bergluft genießen.