Tanzeinlage bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen 2009 Foto: StN

Anders als der Konzertbetrieb können Musikfestivals sich programmatische Setzungen leisten.

Ludwigsburg - Anders als der Konzertbetrieb können und müssen Musikfestivals sich bewusste programmatische Setzungen leisten. Thomas Wördehoff, der neue Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele, arrangiert konsequent ungewöhnliche Begegnungen - und misst dabei dem Jazz besondere Bedeutung zu.

"Aus dem Jazz kommen wichtige Impulse, die Musiker haben ein funkelndes kreatives Bewusstsein und kommunizieren frei, von breiter Neugier getragen; das tut der Klassik gut", sagt er, den "die Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren interessiert." Am 11. Juli trifft zum Beispiel die Sopranistin Angelika Kirchschlager auf den Jazzposaunisten Christian Muthspiel zu einem Austausch, der für beide neu ist.

Ähnlich geht es dem Pianolyriker Brad Mehldau, dem Gitarrenvirtuosen Bill Frisell und dem Barden Joe Henry, die in wechselnder Kombination drei Duo-Abende gestalten. Jeder für sich wäre schon ein Ereignis - in einem solchen Dialog aber hat man sie noch nie erlebt. "Ich liebe es, mir mit Leuten gegenseitig Lieblingsplatten vorzuspielen - so kam die Idee auf, das Musiker tun zu lassen, live auf der Bühne", sagt Wördehoff. "Einem wie Mehldau traue ich zu, dass er ein Stück von Debussy einbaut, und Henry antwortet dann mit einem Lied aus dem Bürgerkrieg."Ein Bruder im geister

Bruder im Geiste: Hip-Hop-Pionier Grandmaster Flash

Alle drei haben sofort zugesagt - die Freiheit der Begegnung habe sie gereizt, der zuliebe es keine Aufzeichnung geben wird. "Alles entsteht im Moment, frisch und einzigartig, und es bleibt nur die Erinnerung, eine schöne, romantische Illusion", sagt Wördehoff und sieht darin ein "wichtiges Signal wider die komische Orientierung, dass etwas nur sinnvoll sein soll, wenn es Kasse macht. Es ist ja der Sinn von Subventionen, Einzigartiges zu ermöglichen."

Dafür steht noch ein Projekt: Gitarrist Marc Ribot, schon bei Tom Waits zugange, wird mit Kollegen die Musik von John Cage in einen Funkkontext überführen. "Cage gilt als Kassengift, was völlig idiotisch ist, denn er war ein lustiger, sinnlicher Mensch, der unsere Kultur mitgeformt hat", sagt Wördehoff. "Das Problem ist die schmallippige Strenge, mit der Exegeten der Neuen Musik ihn aufführen - das ist diese strenge Anbetungskultur, bei der ich Beklemmungen bekomme und an ein Erziehungsheim denke. Ribot richtet nun einen Scheinwerfer auf Cage, befreit ihn von den Klischees."

Als Beispiel dafür, dass auch klassisch ausgebildete Musiker eine neue Offenheit entwickeln, führt Wördehoff die junge Stuttgarter Pianistin Olivia Trummer an, die in beiden Welten zu Hause ist: "Sie gehört zu einer neuen Generation, die ganz selbstverständlich zwischen Chopin, Ligeti und Ellington pendelt, die das federleicht zelebriert und sich nicht verkrampfen muss, weil sie auf ein enges Spektrum festgelegt wäre." Die Trennung in eine U- und eine E-Musik hält er für künstlich, sie zu überwinden für eine Aufgabe des Festivals.

"Uns wird jetzt erst so richtig bewusst, wie reich das 20. Jahrhundert eigentlich war, wir entdecken plötzlich Ellington und die Gershwins. Elvis Costello und Burt Bacharach kann man nicht ohne weiteres mit JanÖcek vergleichen, aber sie spielen mit derselben Ernsthaftigkeit und haben uns etwas zu sagen. Es ist idiotisch, das in eine Hierarchie zu bringen." Einen Bruder im Geiste hat er im Hip-Hop-Pionier Grandmaster Flash gefunden, "der in einem Interview gesagt hat, in Strawinskys ,Le sacre du printemps' sei alles drin, was Rapper seit 30 Jahren auszudrücken versuchten. Da hat er das Stück aus dem Tabernakel der Geschichte geholt, hat es dahin gestellt, wo der Wind weht - und plötzlich ist die Patina weg."