Kälte, Regen, Hagel: Für Obstbauern war das Jahr eine Zumutung. Das macht sich nun an der Ernte bemerkbar. Sie fällt in der Region bescheiden aus und liefert eine interessante Erkenntnis: Apfelsafttrinken ist politisch geworden.
Region Stuttgart - Nicht einmal auf Bauernregeln ist noch Verlass. „Ist der Mai kühl und nass, füllt’s dem Bauern Scheun’ und Fass“, mag früher gegolten haben – dieses Jahr ist das Gegenteil der Fall. Angesichts der Wetterkapriolen, zu denen neben dem nasskalten Mai auch der frostige April gehörte, müssen die Obstbauern in der Region Stuttgart froh sein, wenn sie überhaupt etwas in Scheune und Fass bekommen.
Mancherorts sei von lediglich 30 Prozent einer durchschnittlichen Ernte auszugehen, sagt Timo Schumann vom Verband der Agrargewerblichen Wirtschaft (VDAW) mit Blick auf die hiesigen Äpfel, die zu Saft verarbeitet werden. Absolute Zahlen gibt es noch keine, teilweise dauert die Ernte noch an. Im vergangenen Jahr wurden in ganz Baden-Württemberg 225 Millionen Liter gekeltert. Diesmal werden es definitiv weniger.
Niemand muss verdursten
Dass Timo Schumann trotzdem jetzt schon sagen kann: „Wir müssen nicht verdursten“, taugt allerdings nur bedingt zur Beruhigung. Denn selbst wenn es immer genügend Apfelsaft geben dürfte, wird die entscheidende Frage werden: Wo kommen die Äpfel dafür her?
„Mittelfristig wird das ein Problem“, sagt Alexander Mayer von der gleichnamigen Fruchtsaftkelterei in Uhlbach. „Wir müssen den Leuten den Obstanbau näherbringen“, sagt Petra Streker, Chefin der gleichnamigen Natursaft GmbH in Aspach. „Ich mache mir Sorgen“, sagt Uwe Braitmaier, Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Mönchberg mit eigener Mosterei.
Fluch und Segen durch Regen
Bis jetzt kommen die Saftäpfel in der Region zum allergrößten Teil von Streuobstwiesen. Das ist einerseits gut, weil regional und nachhaltig. Andererseits gefährdet, weil die Bäume alt sind und ihnen die Trockenheit und Hitze der vergangenen Sommer besonders zugesetzt haben. Der viele Niederschlag in diesem Jahr hat den überlebenden unter ihnen zwar sichtbar gutgetan, ihren Früchten aber oftmals nicht. Sie zogen sich Krankheiten wie Schorf, Mehltau oder Fruchtfäule zu. Außerdem bekamen sie wenig Besuch von bestäubenden Bienen, die angesichts der Kälte lieber im warmen Stock blieben. In der Gegend um Nürtingen und im Neckartal gaben heftige Unwetter im Juni zarten Früchten vollends den Rest. „Extremwetterlagen und Klimawandel wirken sich zunehmend auf die Erntemengen aus“, sagt Timo Schumann vom VDAW.
Betriebe machen sich Sorgen
Und speziell in der Region gibt es ein weiteres Problem: Die Bäume auf den Streuobstwiesen sind nicht nur überwiegend alt, vor allem gibt es kaum junge. Die Stückle drohen zu verfallen, weil ihre Pflege aufwendig und vor allem finanziell schon lange nicht mehr attraktiv ist. Pro 100 Kilo Äpfel gibt es dieses Jahr um die zehn Euro – und das ist schon relativ viel.
„Das G’schäft will sich kaum noch einer machen“, weiß Alexander Mayer aus Uhlbach, der deshalb Flächen in großem Stil sucht, um eigene Obstbaumwiesen anzulegen und so die Rohware für seinen Betrieb zu sichern und damit dessen Zukunft. Petra Streker aus Aspach setzt auf Mindestpreise, die sie ihren Obstlieferanten zusichert, und auf Anbauverträge mit Profiobstbauern. Timo Schumann vom VDAW fordert von der Politik, dass sie die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen attraktiver machen müsse, indem sie die Vorgaben für diese Flächen lockere. Der Bau einer Gerätehütte zum Beispiel werde bis jetzt kaum gestattet. „Man muss Anreize schaffen, nicht Verbote.“
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Lokale Anreize für Bewirtschafter gibt es inzwischen einige. So haben sich in der Region zahlreiche Initiativen gegründet, die orts- oder kreiseigenen Apfelsaft vertreiben – und den örtlichen Obstlieferanten einen Aufpreis zahlen. Es gibt Anlagen, in der auch kleine Apfelmengen zum familieneigenen Saft verarbeitet werden – wie die von Uwe Braitmaiers OGV in Mönchberg. „Das macht ein geerbtes Stückle vielleicht attraktiver.“ Und es gibt den Versuch, Äpfel und Birnen von Streuobstwiesen im Supermarkt zu etablieren – und auch dabei den Lieferanten einen besseren Preis zu bieten.
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Doch der Preis ist eine empfindliche Größe. Wird das Endprodukt zu teuer, freut sich die Konkurrenz, die mit billigem Saft aus Polen oder China auf den Markt drängt. Man könnte folgern, dass das Trinken von Apfelsaft heutzutage eine politische Komponente hat. Tatsächlich sagt Timo Schumann: „Die Verbraucher können gerne für den regionalen Markt trinken.“ Der, das am Rande, einiges mehr bietet als Apfelsaft. Man denke nur an diverse Cider oder Secci aus Streuobst.
Anlässe zur Hoffnung
Und womöglich scheinen sogar ein paar Lichtblicke auf? Alexander Mayer aus Uhlbach hat zuletzt mehr junge Familien gesichtet, die Äpfel abgeliefert haben. Das Grünflächenamt in Esslingen erlebt nachgerade einen Run auf die Obstbäume, die Bürger jedes Jahr günstig bei ihm bestellen können. Allein über diese Aktion wurden voriges Jahr 500 Hochstämme rund um die Stadt gepflanzt. Und der Verein Schwäbisches Streuobstparadies, der seit vergangenem Jahr alte Obstsorten an Supermärkte vermittelt, ist auch ganz beseelt: Mit acht Tonnen sei die Ernte diesmal zwar nur halb so stark ausgefallen wie bei der Premiere, sagt Maike Schünemann vom Verein. Doch sowohl die Zahl der Lieferanten als auch die der Abnehmer sei gestiegen. Das bedeutet: Es gibt mehr Bewirtschafter, die für ihre Äpfel und Birnen etwas mehr Geld bekommen – und es gibt Kunden, denen sie etwas mehr Geld wert sind.
Wie es bei den Profis aussieht
Kernobst
Die Ausbeute bei Äpfeln und Birnen liegt bei etwa 80 Prozent einer normalen Ernte, sagt Andreas Siegele, der Obstbauberater der Stadt Stuttgart, der die Direktvermarkter in der Region im Blick hat. Auch bei deren Tafelobst gibt es Unterschiede: Sorten, die früh geblüht haben, haben gelitten, ebenso frühe Lagen im Remstal.
Steinobst
Zwetschgen gab es nur von spät blühenden Sorten, die nicht der ganz schlimmen Kälte ausgesetzt waren. Kirschen, denen der Regen im Juni/Juli zusetzte, waren ein Totalausfall – es sei denn, sie waren überdacht. Ein Kilo Kirschen konnte deshalb gut acht, neun Euro kosten. „Wenn es gute Ware ist“, wird das bezahlt, sagt Siegele. ena