Im Land wird zur Zeit die Leistung von 40 Millionen gefahrenen Zugkilometern neu ausgeschrieben Foto: dpa

Mit dem Bahnverkehr im Großraum Stuttgart lässt sich gut Geld verdienen. Kein Wunder, dass die Bahn ihre Monopolstellung nicht aufgeben will. Doch jetzt hat das Land die Stuttgarter Netze mit 15 Millionen Zugkilometern neu ausgeschrieben – und schon gibt es rund ein halbes Dutzend Interessenten.

Stuttgart - Tatsächlich hat die Bahn sogar rechtliche Schritte gegen das Land erwogen. Die Wettbewerbsbeschränkung für die Stuttgarter Netze ist dem Unternehmen ein Dorn im Auge. Denn es wurde festgelegt, dass von den drei Teilnetzen (Losen) maximal zwei an ein und denselben Bieter gehen dürfen – das dritte Los erhält ein anderer Bewerber. Doch die juristischen Chancen, dagegen vorzugehen, sind offenbar unsicher. Die Bahn verzichtet auf eine Klage.

Fakt ist nun: Die Stuttgarter Netze wurden für die Lose Neckartal, Rems-Fils und Franken-Enz getrennt ausgeschrieben. Den Zuschlag erhält jeweils der günstigste Bieter. Hat er zwei Lose, bekommt beim dritten Los der zweitgünstigste Bieter den Zuschlag. Damit ist die Bahn definitiv bei einem Los aus dem Rennen. Je nachdem, wie die Angebote ausfallen, könnte die Bahn den Stuttgarter Raum auch ganz verlieren.

„Theoretisch ist das möglich“, sagt Nicole Razavi, verkehrspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Sie sieht in der Loslimitierung ohnehin nur das Bestreben der grün-roten Landesregierung, die Bahn aus dem Rennen zu drängen. Damit schneide sich das Land aber ins eigene Fleisch: „Das Land ist dann gezwungen, für das dritte Los einen teureren Anbieter zu nehmen.“ Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wertetet die Loslimitierung dagegen als „eindeutiges Signal an den Bietermarkt, dass in Baden-Württemberg alle Eisenbahnverkehrsunternehmen willkommen sind“. Der Wettbewerb werde gestärkt, und es würden günstigere Angebote als bisher erzielt.

Im Raum Stuttgart nutzen überproportional viele Fahrgäste den Schienennahverkehr

Insider wissen, die Stuttgarter Netze sind das Bonbon im landesweiten Netz. Im Ballungsraum nutzen überproportional viele Fahrgäste den Schienennahverkehr und sind auch bereit, mehr dafür zu bezahlen als in ländlichen Regionen. Für diese Netze gilt deshalb die höchste Einnahmenerwartung. Die Bahn rechnet dort mit einer sehr starken Konkurrenz. Nachdem die Frist für den Teilnahmeantrag im Oktober abgelaufen ist, spricht das Land von einer guten Handvoll von Interessenten: „Wir sind mit der Resonanz zufrieden“, sagt ein Sprecher.

Bisher fahren in Baden-Württemberg 14 Verkehrsunternehmen jährlich rund 64 Millionen Zugkilometer. Jetzt geht das von der Bahn betriebene Netz mit 40 Millionen Zugkilometern Fahrleistung en bloc an den Markt. Ursache dafür ist, dass der 2003 zwischen dem Land und der Bahntochter DB Regio geschlossene sogenannte Große Verkehrsvertrag 2016 ausläuft.

Mit der Neuausschreibung will das Verkehrsministerium auch hochwertigere Züge auf die Strecke bringen. Ein Großteil der Streckenabschnitte darf laut Ausschreibung nur noch mit neuen Fahrzeugen bedient werden. Die Bahn kritisiert, die Zeitspanne für Neuanschaffungen sei zu kurz. Normalerweise lägen zwischen Bestellung und Auslieferung der Züge 44 Monate. Kein Bewerber werde jetzt schon Züge bestellen, bevor klar sei, wer überhaupt den Zuschlag erhalte und für welche Strecke. Nicole Razavi sagt, das Land sei mit den Ausschreibungen im Verzug. Deshalb werde es nicht gelingen, wie geplant Ende 2018 neue Züge einzusetzen.

Alte Wagen entsprechen nicht mehr heutigen Standards

Das sieht Andreas Schwarz, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, ganz anders. Er hat im September in Salzgitter mit Martin Lange, Vorstand der Firma Alstom, gesprochen. Alstom in Salzgitter ist eine der größten Produktionsstätten für Schienenfahrzeuge in Deutschland. Lange habe nicht nur die Loslimitierung gelobt, sondern sich auch zum Zeitplan sehr zuversichtlich geäußert. Bei Abschluss der Vergabeverfahren für die Stuttgarter Netze bis Frühjahr oder Frühsommer 2015 könnten Neufahrzeuge bis Dezember 2018 fertiggestellt und durch das Eisenbahnbundesamt zugelassen sein. Das gelte für die gesamte Branche, zitiert Schwarz den Alstom-Chef.

Tatsächlich sind auf einigen Abschnitten – wie auf der Rems- und Murrbahn – noch sogenannte Silberlinge unterwegs, Wagen, die 50 und mehr Jahre auf dem Buckel haben. Sie wurden durch einen silberfarbenen Anstrich optisch aufgemöbelt, sind teils aber korrodiert, zu schmal für Kinderwagen und entsprechen nicht mehr den Standards.

Kritiker des neuen Ausschreibungsverfahrens erwarten, dass sich für die wenig lukrativen Strecken im ländlichen Raum kaum Bewerber melden. „Uns liegen keine Erkenntnisse vor, dass diese Situation eintreten könnte“, sagt dazu ein Sprecher des Verkehrsministeriums. Außerdem könnte das Land dem bisherigen Betreiber – der Bahn – den weiteren Betrieb auferlegen. „Dies wäre aber nur die Ultima Ratio zur Aufrechterhaltung des Verkehrs“, so das Ministerium. Nicole Razavi geht davon aus, dass für diese Strecken nur teure Verträge abgeschlossen werden können. Ob sich die ganze Sache dann noch lohne, hänge davon ab, wie die Verträge für die Stuttgarter Netze abgeschlossen werden könnten.

Bleibt noch die Wartung: Die Bahn hat in Ulm eine neue Werkstatt für 130 Millionen Euro gebaut, die sich nur amortisiert, wenn sie ausgelastet ist. Wenn die Bahn nun Teilstrecken im Netz verliert, wäre das nicht der Fall. Die Situation verschärft sich noch, weil das Land den neuen Bewerbern 50 Prozent der Kosten erstatten will, wenn sie neue Werkstätten bauen. Die hohen Kosten könnte sich sonst negativ auf die Teilnahme einiger Wettbewerber auswirken. Außerdem habe „die Bahn bisher noch keine Aussage getroffen, dass sie ihre Werkstätten diskriminierungsfrei auch Wettbewerbern zur Verfügung stellen würde“, argumentiert das Verkehrsministerium.

Nicole Razavi sieht mit dem Verfahren jedenfalls die Falschen gefördert. Oft stünden bei der europaweiten Ausschreibung hinter den vermeintlich kleinen Bewerbern die ganz Großen – wie die französische oder Schweizer Staatsbahn.