Am Freitag werden die ersten Autos durch den Scheibengipfeltunnel rollen. Foto: Horst Haas

Ein neuer Tunnel soll Reutlingens Innenstadt entlasten. Abhilfe für die dicke Luft kann das Großprojekt allerdings nur kurzfristig bringen, kommentiert unsere Redakteurin Christine Keck.

Reutlingen - Die Hoffnungen waren einst groß. Reutlingen, das überrollt wird vom Pendlerverkehr, das keucht und ächzt angesichts der schweren Lastwagen, die sich tagtäglich durch die Innenstadt schieben und der Kommune mittlerweile den unrühmlichen zweiten Platz in Baden-Württemberg bei der Stickstoffdioxidbelastung eingebracht haben, Reutlingen sollte entlastet werden. Schon Ende der 60er Jahre sind die Pläne entworfen worden für ein Tunnelprojekt, das die Verkehrswende bringen sollte. Mehr Lebensqualität, weniger Lärm, bessere Luft. Ein Rückbau der zweispurigen Lederstraße, der von Abgasen am stärksten betroffenen Achse in der Stadt, war in Aussicht gestellt worden – doch das war einmal.

Von der versprochenen Befreiung ist wenig übrig geblieben. Als Chance für den Stadtumbau wird der Tunnel nicht genutzt. Nur allzu schnell wird sein Entlastungspotenzial aufgebraucht sein, gerade mal zehn Prozent Rückgang des Verkehrs erwarten die Planer in der Lederstraße. Das wird für die Anwohner kaum spürbar sein. Und schon jetzt ist absehbar, dass die Abgasgrenzwerte in einer der dreckigsten Straßen Deutschlands trotz Ortsumfahrung wieder überschritten werden. Die dicke Luft wird bleiben in Reutlingen, Abhilfe kann der Tunnel nur kurzfristig bringen.

Was Reutlingen schon lange benötigt hätte, bringt der Gemeinderat viel zu langsam auf den Weg: ein neues Mobilitätskonzept für die Stadt, das sich von der Fokussierung auf das Auto und den Individualverkehr verabschieden muss. Es setzt auf grüne Technologien, den Ausbau der Schiene und Nachhaltigkeit.