Paul Uwe Dreyer, Arbeiten aus ­„Shamsa 1–4“ von 2005. Foto: Galerie

Streitbar konnte der 2008 gestorbene Maler und Zeichner Paul Uwe Dreyer sein. Vor allem, wenn es um die Stuttgarter Kunstakademie und die Rolle der Künstler in der Gesellschaft ging. Erstmals nach seinem Tod gibt es nun mit der Schau bei Anja Rumig wieder eine Ausstellung in Stuttgart. Sie eröffnet am Mittwoch.

Stuttgart - Was bewegt den Maler und Zeichner Paul Uwe Dreyer, den Künstler, der in frühen Berliner Jahren – zuvor hatte er von 1958 bis 1961 an der Werkkunstschule Hannover studiert – an der Hochschule der Künste mit dem Widerspruch des hünenhaften Äußeren und des zarten Strichs verblüfft? Und der auch als Rektor der Stuttgarter Kunstakademie und Vorsitzender des Deutschen Künstlerbunds das klare Wort dem „Blabla“ vorzieht? Der seine Werke als „Denkmodelle“ sieht? Anselm Riedl, lange Jahre Professor für Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg, formuliert es für eine Dreyer-Ausstellung so: „Je aufmerksamer man die Bildstrukturen prüft, desto mehr erkennt man in ihnen das Ergebnis des Zusammenwirkens von systematischen Aktionen und freien Entscheidungen.“

Wichtiger noch ist Riedls Anmerkung zu den Teilungsrastern, die Dreyers Bildern zugrunde liegen: „Ähnlich wie auf den Zeichnungen Dreyers, wo es durch Radieren sorgfältig getilgt ist, bleibt es als eine Art ordnungsstiftendes und zugleich die Bereitschaft zu fantasievoller Nutzung bekundendes Netzwerk unsichtbar anwesend.“ Riedls Beobachtung lässt sich weiterführen: Über die Bildträger hinausweisend, provozieren die Teilungsraster ein sich stetig erweiterndes Netzwerk. Die Strenge des Bildformats bei Dreyer ist so immer auch Energiequelle, bisher von den Ausstellungsmachern zu wenig eingelöste Aufforderung, die Liniengeflechte in den Raum zu ziehen.

Zeichnung als Feld des analytischen Experimentierens

An die vielleicht schönste Privatgalerieschau Dreyers ist zu erinnern, 1998 in der Stuttgarter Galerie Angelika Harthan. Dort erscheinen die Bilder und Zeichnungen tatsächlich als Materialisierungen von körperlicher Raumerfahrung, und es wird zweifelsfrei deutlich, weshalb der Maler Dreyer der Zeichnung so große Bedeutung beimisst. Sie dient ihm als Feld des analytischen Experimentierens – und forciert schließlich auch den Binnendialog Dreyers. Die Zeichnung treibt ihn zur Ernsthaftigkeit, das Bild dagegen erlaubt ihm mehr und mehr einnehmende Heiterkeit.

Gerade so, als seien die Serien der 1980er Jahre nur mehr Experimentierfeld, betritt ja mit der „Afrikanischen Serie“ im Jahr 1989 der Maler Paul Uwe Dreyer die Bühne. Die Berechnungen von Linien- und Flächenverhältnissen treten gänzlich hinter einen Gesamteindruck zurück. Doch auch dies gehört zu Dreyer – das Misstrauen, es könnte jetzt zu einfach werden. Also folgt wieder ein Innehalten. Der Titel „Zwischenbild“ für eine Serie von malerischen Kleinformaten aus dem Jahr 1995 ist ernst zu nehmen: Dreyer vergewissert sich auf beschränkter Fläche der erreichten Souveränität, wie er sie in der Viererserie „Nähe/Ferne“ (1994/95) bestätigen kann.

Was fehlt, ist der Rückenwind des Kunstbetriebs, der die erreichte Freiheit auch einmal tragen kann. Folgen deshalb neuerliche Rückblickkonzentrationen wie die Serie „Zentrische Formationen“ (1999)? Es ist mehr ein Anlauf, nun zu einer Erweiterung im Detail. Stärker als früher behauptet die Farbe ihren Eigenwert, ihren Raum, ihre Körperhaftigkeit. Und dann das – Paul Uwe Dreyer setzt sieben Jahre später gänzlich auf den Bleistift. „Ich wollte mal ganz wegkommen von der Farbe, mich auf Gegensätze konzentrieren“, begründete er 2006 den neuerlichen Schwenk zur Zeichnung. Widersprüche bleiben, Widersprüche, die das zuletzt 2010 von Günther Wirth in der Galerie der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen umfassend präsentierte Werk aktuell halten.

Galerie Anja Rumig. Ludwigstraße 73, Eröffnung an diesem Mittwoch um 19.30 Uhr. Es spricht Petra von Olschowski, Rektorin der Kunstakademie Stuttgart.