Im Städel-Museum in Frankfurt zu sehen: Hans Thomas Ölgemälde „Ritt auf dem Vogel“ von 1885. Mehr Werke von Hans Thoma sehen Sie in der Fotostrecke. Klicken Sie sich durch. Foto: Abbildung (Ausschnitt): Städel

Während die Staatsgalerie Stuttgart mit dem „Pringsheim-Fries“ derzeit eine bedeutende Einzelarbeit Hans Thomas zeigt, beschäftigt sich eine breit angelegte Ausstellung im Frankfurter Städel mit dem Gesamtwerk des in Bernau geborenen Künstlers.

Ausgangspunkt und Untertitel der Schau ist die Kennzeichnung Hans Thomas als „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“, wie es 1909 Meyers Konversationslexikon formuliert hat. Tatsächlich war Hans Thoma der unbestrittene Malerstar des wilhelminischen Deutschland, der alle Künstler seiner Epoche in Bezug auf Erfolg und Popularität weit überragte und für seine Gemälde Höchstpreise erzielte.

Dabei war es ein weiter Weg, den Hans Thoma aus der dörflichen Welt des Schwarzwalds in den Kunstolymp des Deutschen Reiches zurücklegen musste. 1839 wurde Thoma in Bernau geboren, er wuchs in bescheidenen bäuerlichen Verhältnissen auf, seine Ausbildung verlief alles andere als geradlinig, eine Lehre als Lithograf in Basel brach er ab, ebenso ein Lehrverhältnis als Maler und Lackierer sowie als Uhrschildmacher in Furtwangen. Erst als er 1859 ein Stipendium des Großherzogs von Baden erhielt, erkannte Thoma seine Berufung zum Künstler und studierte an der Karlsruher Kunstschule, vervollständigte seine Ausbildung in Düsseldorf und München und war in Paris von der Malerei Gustave Courbets beeindruckt.

Der große künstlerische und finanzielle Erfolg stellte sich für Thoma nach 1877 ein, als er sich in Frankfurt niedergelassen hatte. Thoma war zu Beginn seines Aufenthaltes in der Mainmetropole voller Bedenken, als er schrieb: „Nun ist alles Gepäck auf der Eisenbahn, und ich habe das Wagnis, nach Frankfurt zu ziehen, wirklich gewagt.“ Doch er fand hier alles, was seine kometenhafte Karriere als Künstler beförderte: ein kunstsinniges Großbürgertum, zahlungskräftige Förderer, eine ihm geneigte Kunstkritik, schließlich mit der höchst einflussreichen Persönlichkeit des Kunsthistorikers und Direktors des Städelschen Kunstinstituts, Henry Thode, seinen Propheten, der, aller Widerstände zum Trotz, für seine museale und wissenschaftliche Kanonisierung sorgte. Als Hans Thoma 1899 Frankfurt verließ, um als Direktor die Großherzogliche Gemäldesammlung in Karlsruhe zu leiten, war er in Frankfurt zum Großmeister der bildenden Kunst in Deutschland aufgestiegen.

Intensive Verbindung zur Familie Richard Wagners

Die aktuelle Schau im Städel kann allein aus eigenen Beständen schöpfen und zeigt mit rund 100 Arbeiten alle wesentlichen inhaltlichen und formalen Aspekte des Œeuvre Thomas. Das Frühwerk ist mit genrehaften Porträts wie dem der kleinformatigen „Mutter im Schwarzwaldstübchen“ von 1861 vertreten, das noch während seiner Studienzeit in Karlsruhe entstand und ein spätes Beispiel für die ländlichen Idyllen des Biedermeiers ist. Das gilt auch für die „Sommerlandschaft mit Hochzeitszug“ von 1869, in dem Thoma den Vorbildern der romantischen Malerei Ludwig Richter und Carl Spitzweg deutlich verpflichtet ist. Fortentwickelt hat Thoma die intime Darstellung alltäglicher Szenen mit dem Gemälde „Am Fenster“ (1877), in dem das Außen, das sich als Blick auf Säckingen präsentiert, mit dem Innenraum eines bürgerlichen Interieurs korrespondiert und das mit der in ihrer Näharbeit innehaltenden Frau am Fenster ein charakteristisches Bildmotiv der Romantik zitiert.

Intensiv und folgenreich ist seine Auseinandersetzung mit der Götter- und Heldenwelt Richard Wagners. In diesen Zusammenhang gehört auch der Freskenzyklus, den Thoma für das Musikzimmer der Münchner Stadtvilla des glühenden Wagnerianers Alfred Pringsheim geschaffen hat und der jetzt in Stuttgart zu sehen ist.

Überhaupt war Thomas Verbindung zur Familie Richard Wagners intensiv, nicht nur durch Henry Thode, den Schwiegersohn Cosima Wagners. Thoma besuchte mehrfach die Bayreuther Festspiele, lernte auch die gesellschaftlich und kulturpolitisch höchst einflussreiche Wagnerwitwe kennen und wurde vom Frankfurter Wagner-Verein mit Aufträgen wie einem Gemäldezyklus zum Ring des Nibelungen (1876) bedacht. 1896 entwarf Thoma die Kostüme für eine Neuinszenierung des Rings. Thomas Erfolg als Künstler wäre ohne die Unterstützung des Wagnerkreises wohl nicht denkbar gewesen.

Für einen weiteren thematischen Hauptstrang seines Werkes, die Beschäftigung mit der Mythologie, steht sein „Meerwunder“ von 1880, in dem Böcklin’sche Tritonen ein groteskes Wasserballett aufführen, wobei das Kolorit des Gemäldes weniger der eleganten Brillanz Böcklins als der erdigen Tonalität Hans von Marées verpflichtet ist. Eine ganze Reihe der Landschaftsdarstellungen Thomas sind versammelt. Es ist immer wieder die Topografie des heimischen Schwarzwalds und des Hochrheins, die der Maler schildert, wobei die Variationsbreite der Darstellungen vom ruhigen Andante des „Rheins bei Säckingen“ (1890) bis zum aufgewühlten Crescendo des „Rheins bei Laufenburg“ (1883) reicht. Das Thema „Heimat“? Offenbar ist es Thoma eine Herzensangelegenheit, die zurückgelassene ländliche Idylle Bernaus in der Großstadt wiederzufinden, indem er etwa in seinem „Blick auf den Holzhausenpark“ von 1883 einen Park in Frankfurt wie ein Stück Schwarzwald inmitten der Stadt darstellt.

Kritische Neubewertung des Malers fehlt

Thoma trifft den Nerv seiner Zeit, seine Kunst suggeriert dem Publikum eine heile Welt, die es längst nicht mehr gibt, eine Idylle ohne die Schattenseiten der Industrialisierung, der Massengesellschaft und der beginnenden Zerbröselung der Werte des christlichen Abendlandes. Seine Bildwelt scheint aus der Zeit gefallen, sie feiert die naive Einfachheit eines besseren, weil übersichtlicheren Daseins. Es überrascht nicht, dass Thoma, der 1924 stirbt, von den Nationalsozialisten zum künstlerischen Ahnherrn „einer neuen Zeit“ stilisiert wird.

Die Schau bleibt die Antwort schuldig, warum Thoma heute aus dem Kanon der Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fast ganz herausgefallen ist. Eine kritische Neubewertung des Malers findet nicht statt. Dass die Ausstellung schrill inszeniert ist, die Bilder vor orangeroten und violetten Wänden hängen und der Besucher über grasgrünen Kunstrasen von Bild zu Bild geht, ist albernes Dekorum ohne Erkenntnisgewinn.

Dabei hätte man nur die Bilder genauer anschauen müssen. Sie besitzen größtenteils erstaunlich wenig formale Qualität. Thoma ist in inhaltlicher Hinsicht in erster Linie ein geschickter Epigone. Er nimmt ästhetische Modeströmungen seiner Zeit auf und verarbeitet sie. Er ist – je nach Bedarf – ein Nachahmer der Romantiker oder der Deutschrömer, vor allem Böcklins und Marées, später auch der Symbolisten. Gerne imitiert er die französischen Realisten, so wenn sich der Rhein bei ihm in eine Meereswoge à la Courbet verwandelt. Seine „Nymphe am Bach“ (1887) ist eine Enkeltochter der Märchengestalten Moritz von Schwinds.

Ein zu Lebzeiten extrem erfolgreicher Künstler kann durchaus unoriginell und formal zweitklassig sein, wenn er es versteht, den Befindlichkeiten seiner Zeit Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig ein geeignetes Umfeld von Förderern und Sammlern zu finden. Die Chance, dies zu vermitteln, verschenkt die Hans-Thoma-Schau leider.

Zeiten und Preise

Gefördert durch Accenture und die Speyer’sche Hochschulstiftung ist die Schau bis zum 29. September im Städel-Museum in Frankfurt zu sehen – Di, Fr bis So 10 bis 18, Mi und Do 10 bis 21 Uhr.

Eintritt 12 Euro (ermäßigt 10 Euro), Sa und So 14 Euro (ermäßigt 12 Euro). Mehr unter: www.staedelmuseum.de.