Rauch über Medina – ein Anschlag erschüttert die heilige Stadt. Foto: Courtesy of Noor Punasiya

In den Städten Medina, Katif und Dschiddah sprengen sich Selbstmordattentäter in die Luft und reißen mehrere Menschen in den Tod – vermutlich vom IS gesteuert.

Kairo - Saudi-Arabien steht unter Schock. Noch nie erlebte das Königreich quer durch das Land eine solche Serie zeitlich getakteter Terrortaten, die einem „eine Gänsehaut über den Rücken jagen“, wie der Vorsitzende des Shoura-Rates, der beratenden Versammlung des Landes, es formulierte. Bei den Älteren werden Erinnerungen wach an den Terrorüberfall auf die Kabaa in der heiligen Stadt Mekka vor 37 Jahren.

Rauch stand über dem Gotteshaus

Das Abendgebet am Montag zum Ramadan-Fastenbrechen in Medina hatte gerade begonnen, als sich ein Selbstmordattentäter nahe der Großen Moschee in die Luft sprengte und vier Polizisten mit in den Tod riss. Meterhoch waren die Flammen zu sehen, Rauch stand über dem Gotteshaus, in dem der Prophet Mohammed begraben liegt. Der Terrorist hatte offenbar geplant, sich unter die dicht gedrängte Menge der Beter zu mischen, war den Sicherheitskräften auf dem relativ leeren Vorplatz jedoch aufgefallen. Als sie ihn stellen wollen, zündete der Mann seine tödliche Ladung. Kurz zuvor hatten sich Gesinnungsgenossen in der Hafenstadt Dschiddah nahe dem US-Konsulat sowie in der östlichen Stadt Katif neben der schiitischen Al-Omran Moschee in die Luft gesprengt, drei Personen starben dort. In allen drei Fällen gelang es den Attentätern nicht, bis an ihr eigentliches Ziel heranzukommen.

Auch wenn sich niemand bisher zu den spektakulären Taten bekannte, sie tragen die Handschrift des Islamischen Staates. Offenbar konnte die Terrormiliz in den letzten beiden Jahren auch auf der Arabischen Halbinsel ein Netz von Schläferzellen etablieren. Erst kürzlich gab das saudische Innenministerium bekannt, man habe in Mekka ein fünfköpfiges IS-Kommando ausgehoben. Nach Angaben Riads sitzen momentan mehr als 5000 Terrorverdächtige hinter Gittern, darunter 800 IS-Dschihadisten. 3000 Saudis haben sich in Syrien und dem Irak dem IS angeschlossen, von denen einige hundert inzwischen nach Hause zurückkehrt sind.

Kleriker empört über Angriff auf das Heiligtum

Das islamische Establishment des Nahen Ostens reagierte einhellig und empört. Die Kairoer Al-Azhar, die sich als wichtigste sunnitische Lehranstalt rühmt, verurteilte die Angriffe und unterstrich „die Heiligkeit der Gotteshäuser, besonders der Moschee des Propheten“. Saudi-Arabiens Oberster Klerikerrat erklärte, „die Angriffe beweisen, dass die Abtrünnigen alles mit Füßen treten, was heilig ist“. Dieser Aufschrei kann jedoch nicht verdecken, dass das Königreich, vor allem seine Predigerkaste, gegenüber dem IS nach wie vor eine ambivalente Haltung einnimmt. Während die Sicherheitskräfte entschieden gegen IS-Verdächtige vorgehen, genießen deren religiös-ideologische Überzeugungen Sympathie unter wahabitischen Gelehrten, deren puritanische Islam-Version Staatsreligion ist.

Und so behauptete Khalil Abdullah al-Khalil, ehemaliges Mitglied des Shoura-Rates, gegenüber dem Sender Al-Arabiya, 60 Prozent der jungen Saudis seien bereit, sich dem IS anzuschließen – eine Aussage, die unter seinen Landsleuten einen Aufruhr auslöste. Andere Studien schätzen, dass fünf Prozent der erwachsenen Saudis mit der Terrormiliz sympathisieren – das sind rund 500 000 Bürger. Sie folgen Predigern wie Scheich Adel al-Kalbani, dem langjährigen Imam der Großen Moschee von Mekka, der regelmäßig Schiiten als Gotteslästerer verunglimpft und dem Großbritannien deswegen die Einreise verweigert. „Wir folgen denselben Gedanken wie der IS, nur praktizieren wir sie in kultivierterer Weise“, brüstete er sich Anfang des Jahres in einem Interview mit dem Sender MBC in Dubai. Der IS gewinne seine Überzeugungen aus dem, „was in unseren Büchern geschrieben steht und was unsere Prinzipien sind“. Beim Umgang mit Häretikern zum Beispiel seien saudische Kleriker mit dem IS einer Meinung. „Wer den Islam verlässt, der muss hingerichtet werden.“