Integrationsdebatte auf Deutsch: Wann endlich äußert sich Bundespräsident Wulff?

Berlin -  Das Buch des SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin mit seinen Thesen zur angeblich mangelnden Integrationsbereitschaft und zu genetisch bedingten Bildungsdefiziten von Muslimen wird in immer größerer Auflage gedruckt. Ein Sprecher des herausgebenden DVA-Verlages beziffert die Gesamtauflage auf jetzt 800.000 Exemplare, von denen 650.000 Ausgaben an den Handel ausgeliefert worden seien. Das Buch erscheint inzwischen in 13. Auflage und war am Erscheinungstag 30. August anhand der eingegangenen Vorbestellungen noch in einer Stückzahl von 25.000 auf den Markt gekommen. Erst vor einer Woche waren bereits 400.000 Bücher im Handel.

Da Thilo Sarrazin ein branchenübliches Autorenhonorar verhandelt hatte, welches ihn prozentual am Gewinn beteiligt, gehen Verlagskenner davon aus, dass der scheidende Bundesbank-Vorstand und Berliner Finanzsenator einen deutlich siebenstelligen Betrag an seinem Buch verdienen wird. Insider sind darüber hinaus überzeugt, dass kein anderes politisches Buch je solche Aufmerksamkeit und mithin vergleichbare Verkaufszahlen erreicht hat. Indes legt der Autor nach - und setzt seine Partei, die SPD, unter Zugzwang. Bei notorischer Integrationsverweigerung sollten Sozialleistungen so stark gekürzt werden, "dass sie unter das sozioökonomische Existenzminimum fallen", fordert Sarrazin in einem Streitgespräch mit dem Migrationsforscher Thomas Straubhaar. Für eine arme Bauernfamilie aus Anatolien sei die hiesige Sozialhilfe attraktiver als für einen Deutschen. Sanktionen müssten wehtun, damit sie wirkten.

Gabriel offensiv

Nichts anderes fordert sein Parteivorsitzender Sigmar Gabriel, der Sarrazin dennoch aus der SPD verbannen will. Gabriel differenziert sehr wohl, welche Thesen Sarrazins die Integrationsdebatte mit Recht befeuerten - und welche menschenverachtend, weil biologistisch sind. Auch die SPD stellt nun klar, dass nicht in Deutschland bleiben könne, "wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt. Egal ob Deutscher oder Ausländer: Wer seine Kinder nicht regelmäßig und pünktlich in die Schule schickt, dem schicken wir die Polizei vorbei, und der zahlt auch empfindliche Bußgelder - auch dann, wenn er Hartz-IV-Bezieher ist", betont Gabriel. Reicht dieser inhaltliche Schulterschluss zu Sarrazin aus, um das Parteiausschlussverfahren abzuwenden? Nein, sagt der Parteichef: Dessen Thesen zu genetisch begründeten Bildungsdefiziten einzelner ethnischer und Gesellschaftsgruppen "sind ein Gebräu aus der Tradition der Rassenhygiene der zwanziger Jahre". Worauf Sarrazin zurückpoltert, Gabriel verfälsche seine Thesen in unzulässiger und ehrabschneidender Weise.

Wulffs schwerer Stand

Eine Frage des Respekts vor seinem Amt auch nennt Bundespräsident Christian Wulff indes die Kritik an seiner Person, er habe sich allzu wenig zur Integration geäußert, obwohl er genau dies zum zentralen Thema seiner Amtszeit machen wollte. Zuletzt hatte ihn die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast aufgefordert, sich zu Wort zu melden. Wulff hat in der Außenwahrnehmung einen schwereren Stand als nach seiner Wahl angenommen. Erst machte er in der Villa eines Unternehmerfreundes Ferien, was ihm den Vorwurf einbrachte, zu große Nähe zur Wirtschaft zu pflegen. Dann sah es unsauber aus, als ein Unterhändler des Bundespräsidialamts zwischen Sarrazin und der Notenbank verhandelte - und Sarrazin "freiwillig zurücktrat", nachdem die Bank den Vorwurf zurücknahm, er habe dem Ansehen des Unternehmens geschadet.

Einen Punkt setzen und seine Kritiker entkräften kann er nun, wenn er wie angekündigt am 3. Oktober eine Rede zur Integration in Deutschland hält. Erst dann, denn "der Bundespräsident hat entschieden, die politische Agenda nicht von Provokationen und Buchvorstellungen bestimmen zu lassen", so sein Sprecher. Die Agenda befruchtete zum einen Bayerns Umwelt- und Gesundheitsminister Markus Söder (CSU), der ein Verbot des Ganzkörperschleiers in Deutschland nach dem Vorbild Frankreichs einführen möchte. "Es wäre ein wichtiges Signal, schließlich ist die Burka nicht gerade ein Zeichen von Integrationswilligkeit." Die Feministin Alice Schwarzer votierte indes für ein Kopftuchverbot an deutschen Schulen.