Das Atelier Brückner präsentiert zwei Entwürfe für die architektonische Erweiterung der Villa Berg in Stuttgart. Kommen bei dem 100-Millionen-Euro-Projekt die neuen Räume und Säle in einen selbstbewussten Neubau oder in einen historisierenden Anbau? Die Bürgermeister haben ihre Favoriten schon ausgemacht.
Was lange währt! Seit 17 Jahren steht die Villa Berg leer. Vor acht Jahren hat die Stadt das 1853 im Neo-Renaissance erbaute Kleinod des einstigen Königs gekauft. Jetzt wurden Pläne vorgestellt, wie die architektonisch bedeutsame Villa im Stuttgarter Osten zu neuem Leben erweckt und ein „Offenes Haus für Musik und Mehr“werden soll.
Das Stuttgarter Atelier Brückner, das schon die Wagenhallen revitalisiert und viele Auszeichnungen dafür erhalten hat, präsentiert zwei Varianten. Variante Ost zeigt einen selbstbewussten Neubau neben der Villa, die einst die Sommerresidenz des württembergischen Kronprinzen- und späteren Königspaar Karl und Olga gewesen ist.
Gewellte Holzfassade als Zitat
Das neue Raumprogramm ist oberirdisch untergebracht. Die gewellte Holzfassade nimmt das Innere des alten Konzertsaals des SDR (heute SWR) in der Villa wieder auf. Nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg war die Villa in den 1950ern durch den SDR überformt und um einen Sendesaal ergänzt worden. „Alt- und Neubau werden so ineinander verzahnt“, sagt Sabine Birk, Architektin und Projektleiterin Villa Berg bei Atelier Brückner. „Und die Verlängerung des historischen Sockels der Villa kann von den Bürgern betreten und bespielt werden.“
Variante Nord „nähert sich dem historischen Bestand behutsam an“, sagt Michel Casertano, Leiter der Architekturabteilung im Atelier Brückner. „Wir haben die Geschichte der Villa Berg studiert, historische Pläne gesichtet und uns mit den - ebenfalls denkmalgeschützten – Umbauten der 1950er Jahre auseinandergesetzt.“
Es findet sich ein seitlicher Anbau mit wieder hergestellten Türmchen auf der Villa (die waren nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen worden) und einem unterirdischen Konzertsaal. Die neue Eingangssituation entsteht auf einem nach dem Krieg abgerissenen Bereich mit Pergola der alten Villa. Bei beiden Varianten kommen neben einem neuen Konzertsaal Proberäume, Werkstätten, Workshopräume, Gastronomie sowie Technikräume hinzu.
Aktuell verfügt die Villa über rund 1500 Quadratmeter Nutzfläche, das geplante Raumprogramm beläuft sich auf etwa 4000 Quadratmeter Nutzfläche. Ende September werden die Entwürfe dem Städtebauausschuss präsentiert, 2024 soll der Gemeinderat entscheiden. Danach beginnen die Planungen zur Umsetzung.
100 Millionen Euro geschätzte Baukosten
Wann genau die Handwerker kommen, konnten die Politiker bei der Präsentation im Rathaus am Montag nicht sagen. „Wenn der Neubau 2029 fertig wäre, wäre ich glücklich“, sagt der Kulturbürgermeister Fabian Mayer. Die Kosten, schätzten Mayer und sein Kollege, Baubürgermeister Peter Pätzold auf „rund 100 Millionen Euro.“ Mayer: „Dabei nicht inbegriffen sind Parksanierung, Tiefgarage und Aufzugsbauwerk“.
Über die rege Bürgerbeteiligung zeigen sich die Architekten wie die Verantwortlichen von der Stadt glücklich. „Das ist ein wichtiges kulturelles Leuchtturmprojekt mit einem hohem Identifikationspotential“, sagt Mayer.
Intensive Bürgerbeteiligung
Baubürgermeister Pätzold betont: „Es ist richtig und wichtig, in den Park und die Villa zu investieren. Wir hatten eine richtig gute und intensive Bürgerbeteiligung.“ Wünsche seien in den zahlreichen Workshops so viele geäußert worden „Wir hätten dafür eigentlich vier Villen gebraucht“, so Pätzold. Gemeinsam mit der Parksanierung entstehe eine deutliche Belebung des Stuttgarter Ostens und „ein toller Stadtbaustein.“
Dem Planungsprozess vorangegangen ist ein großes bürgerschaftliches Engagement für den Erhalt der Villa und eine breite Bürgerbeteiligung, was die Weiternutzung betrifft. Am Wochenende zum Finale der Aktionswoche zur Villa Berg hatten die Architektin Sabine Birk und der Architekt Michel Casertano den Bürgerinnen und Bürgern die Varianten bereits vorstellen können. „Wir haben eine rege Resonanz auf beide Entwürfe erhalten“, sagt Sabine Birk: „Wir nehmen die kundigen Anregungen gern in unseren weiteren Planungsprozess auf.“
Und wie kommen die Versionen bei den Entscheidern an? „Eher für die Version Nord“ sei er, sagt Pätzold. Deutlicher fällt das Votum des Kulturbürgermeisters aus. „Zu elitär“ sei ihm der Neubau, sagt Mayer. Welches Projekt umgesetzt wird, entscheidet der Gemeinderat wohl im ersten Quartal 2024. Und wie geht es weiter mit den engagierten Bürgern? Konkrete Pläne, so die Bürgermeister, gebe es nicht, doch sie sollen auf jeden Fall weiter mit eingebunden werden.
Info
Villa Berg
Im Jahr 1853 konzipierte Architekt Christian Friedrich Leins (1814-1892) das Gebäude als ersten Neo-Renaissancebau in Stuttgart für den württembergischen Kronprinzen und späteren König Karl (1823-1891) und dessen Ehefrau Olga, Großfürstin von Russland (1822-1892). 1913 kauft die Stadt die Villa Berg. Die Villa brannte 1943 brennt nach einem Bombenangriff aus. In den 1950er ging die Villa Berg in den Besitz des SDR (später SWR) über, der sie vereinfacht wiederaufgebaut, einen großen Sendesaal eingebaut und für Konzerte genutzt hat.
Atelier Brückner
Das Atelier Brückner ist ein international agierendes Architekturbüro, aktiv im Bereich Ausstellungsgestaltung und der Ertüchtigung historischer Bausubstanz. Die Dauerausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg und die Wagenhallen Stuttgart tragen die Handschrift der Stuttgarter Szenografen. 120 Mitarbeitende gestalten Projekte weltweit, darunter die Tutanchamun-Ausstellung im Grand Egyptian Museum in Gizeh.