Tatort Nob Hill: Hinter den Fassaden lässt Hammett seine Detektive ermitteln. Foto: Bildstelle

Eine Tour durch San Francisco folgt den Spuren von Dashiell Hammett.

Don Herron ist nicht zu übersehen. Groß und massig steht er vor San Franciscos Stadtbücherei. Er trägt Trenchcoat und Schlapphut, beides in Schwarz. Das ist stilecht. Nur die speckigen Jeans, die ausgelatschten Turnschuhe und der graue Vollbart wollen nicht recht zum coolen Outfit passen. Herron ist Taxifahrer, seine Leidenschaft aber gehört Dashiell Hammett, dem Schöpfer des modernen Kriminalromans.

Hammetts Hauptfigur ist der ausgekochte Privatdetektiv, perfekt verkörpert von Humphrey Bogart in der Filmversion des Romans "Der Malteser Falke". Herron gilt als führender Hammettologe: Er hat das Leben des Schriftstellers bis in die Details erforscht und sein Wissen in Essays und Büchern präsentiert. Im Mai und September lädt er jeden Sonntag zu einer Tour durch San Francisco ein, auf den Spuren des trinkfesten Marxisten, der mit den Verfilmungen des "Dünnen Mannes" in den 1930er Jahren reich wurde und 1961 völlig verarmt starb.

San Francisco ist Hammetts Stadt. Die meisten seiner Geschichten spielen hier. Dabei hat der Schriftsteller nur acht Jahre in San Francisco gelebt, von 1921 bis 1929, im Jahrzehnt des Jazz’ und der Prohibition. Eine Dekade der Widersprüche, in der sich die USA vom Agrar- zum modernen Industriestaat wandelten. "Die großen Konzerne übernahmen die Macht", sagt Don Herron, "man war tugendhaft und verbot Alkohol, aber Schnaps war trotzdem an jeder Ecke zu bekommen. Dieses neue Amerika mit all seinen Widersprüchen hat Hammett sehr realistisch geschildert."

Herrons Tour führt von der Stadtbücherei durchs Verwaltungszentrum. Vorbei an Bürohochhäusern und kleinen Restaurants. Es ist früher Nachmittag. Der neblig verhangene Himmel reißt auf, die Sonne scheint. Ein paar Blöcke weiter sind die Häuser älter und nicht so hoch, die Fassaden brüchig. Tenderloin heißt dieses Viertel, das Filetstück. Hier hat Hammett fünf seiner acht Jahre in San Francisco gelebt, in der Eddy Street 620.

Das Haus steht noch. Es ist vierstöckig und gelb gestrichen, mit schmiedeeisernen Stahlbalkonen und Feuerleitern an der Vorderseite. Über dem Treppenhaus thront ein steinerner Löwenkopf. Hammett lebte im dritten Stock, in einem möblierten Apartment: "Wohnzimmer, Schlafzimmer mit Klappbett, Dampfheizung, für 45 Dollar im Monat." Die Vermieterin war eine Schwarzbrennerin, so jedenfalls hat Hammetts erste Frau es Don Herron erzählt. "Polizisten gingen ein und aus, um sich ihren Anteil an den Geschäften zu sichern, ein paar Flaschen Schnaps oder ein paar Dollar."

In der Eddy Street 620 schuf Hammett den Continental Op, den Ich-Erzähler in über hundert Kurzgeschichten für das legendäre Groschenheft "Black Mask". Einen Privatschnüffler im Dienste einer großen Detektei mit Sitz in San Francisco, der Continental. Vorbild war Pinkerton’s, für die Hammett selbst elf Jahre als Privatdetektiv gearbeitet hatte. Den Job musste er an den Nagel hängen, weil er sich im Ersten Weltkrieg mit Tuberkulose infiziert hatte und körperlich nicht mehr in der Lage war, eine Zielperson bei Wind und Wetter zu beschatten.

Als Figur bleibt der Continental Op amorph, nur sporadisch erfahren wir etwas über ihn: Er ist Ende 30, Anfang 40, klein, dicklich und glatzköpfig – ein Anti-Held in einer düsteren Welt. Er ist ein Mann der Tat, ein zwielichtiges Stehaufmännchen Auch wenn er sich nicht immer buchstabengetreu an die Gesetze hält, so wird er doch von einem Wertesystem geleitet. Darin gleicht er dem Cowboy, den er als Hauptfigur der pulp magazines ablöst. Nur sind seine Werte diffus, sie haben nichts allgemeingültiges. Und so etwas wie der Soll-Zustand, die heile Welt, wenn das Lagerfeuer in der Prärie knistert, die Sonne feuerrot hinter schattenrissartigen Bergen am Horizont versinkt und der Cowboy sich nach getaner Arbeit mit Sattel und Decke friedlich zur Nacht bettet – für den hard-boiled detective ist das unerreichbar. Er ist dazu verdammt, sein Leben auf der Straße zu fristen, zwischen leichten Mädchen, kleinen Gaunern, korrupten Polizisten.

Ein Fall für Sam Spade

Raus aus dem Tenderloin. Steil steigt die Straße an. Der Weg führt durch enge Straßenschluchten, in die kaum Sonnenlicht fällt. Dafür peitscht der Wind hindurch. Vor einem Haus mit Erkern bleibt Don Herron stehen. Post Street 961. Im Erdgeschoss drei Läden: Coffee Shop, Münzwaschsalon, Imbissbude. Eine Tafel informiert, dass Hammett hier von 1926 bis 29 gelebt hat. Und zwar in einem winzigen Apartment im vierten Stock.

Dort oben entstand "Rote Ernte", Hammetts Debütroman, erschienen vor achtzig Jahren, am 1. Februar 1929. Das Buch spielt nicht in San Francisco, sondern irgendwo im Mittleren Westen, in einem fiktiven Ort namens Peaceville. Ein reicher Fabrikbesitzer hat ein paar Gauner engagiert, um die Gewerkschaft in die Knie zu zwingen. Nun wird er sie nicht mehr los. Er engagiert den Continental Op. Der hetzt alle gegeneinander auf. Siebzehn Tote später ist Peaceville gesäubert – und der Fabrikant seine Vormachtstellung los. Für "Rote Ernte" nahm Hammett eine Anleihe bei seinem eigenen Leben: In seiner Zeit bei Pinkerton war er wiederholt als Streikbrecher eingesetzt worden. "Kurios" findet Don Herron, "die meisten von uns hängen in ihrer Jugend linken Idealen nach, doch bei ihm war es umgekehrt."

Weiter geht die Tour den Nob Hill hinauf, in ein wohlhabendes Viertel mit aufwändig restaurierten viktorianischen Häusern. Der Nob Hill, im Volksmund: Snob Hill trennt Innenstadt und Tenderloin vom Finanzdistrikt und dem Hafenviertel Fisherman’s Wharf, der Touristenattraktion San Franciscos. Hier oben spielt "Tod im Nebel", das zweite Kapitel aus dem Malteser Falken.

Eines Morgens kommt eine Frau ins Büro von Sam Spade und Miles Archer. Sie nennt sich Miss Wonderly, in Wirklichkeit heißt sie Bridget O’Shaugnessy, und erzählt den Privatdetektiven, dass ihre Schwester von einem Ganoven namens Floyd Thursby von der Ostküste nach San Francisco verschleppt worden sei. Keiner der Detektive kauft ihr die Geschichte ab, aber für 200 Dollar übernimmt Archer den Job. Für den Abend hat sie ein Treffen mit Thursby verabredet. Er will ihm von dort folgen, ihm die Schwester entreißen und sie Miss Wonderly übergeben.

Don Herron deutet auf ein altes grünes Gebäude unten im Finanzdistrikt. Zwischen den verspiegelten Wolkenkratzern wirkt es winzig. Es ist vielleicht 30 Stockwerke hoch und läuft nach oben spitz zu. Dort hatten Spade und Archer ihr Büro. Das jedenfalls hat er bei der Auswertung der Ortsangaben herausgefunden. Herron biegt in eine dunkle Sackgasse ab. Steil ragen fensterlose Hauswände zu beiden Seiten in die Höhe. Sie sind rissig und unverputzt. Hierhin hat Bridget O’Shaugnessy Archer gelockt, um ihn zu erschießen. "Er ahnt nichts, denn er ist ein Trottel", Herron schnaubt verächtlich, "Sam Spade wäre das natürlich nicht passiert. Er hätte sich nie so einfach von ihr erschießen lassen."

Der Mord an Miles Archer ist der Auftakt für eine wirre Geschichte, bei der ein paar Gauner hinter einer schwarz lackierten Figur her sind. Sie stellt einen Falken dar, unter dem Lack vermuten sie pures Gold. Sam Spade beginnt ein Verhältnis mit Bridget O’Shaugnessy, was ihn am Ende nicht daran hindert, sie ans Messer zu liefern.

Die letzte Station auf Don Herrons Tour ist John’s Grill auf der Ellis Street, mitten im Zentrum. Drinnen ist es eng. Die Tische stehen nah beieinander, alle sind gedeckt. Porzellanteller, Silberbesteck, Gläser für Wein und Wasser, Servietten und Tischdecken aus Leinen – ein besseres Restaurant. An den holzverkleideten Wänden Bilder von Berühmtheiten, die hier gespeist haben: Hillary Clinton, Alfred Hitchcock, Sophia Loren und Humphrey Bogart als Sam Spade. Herron bestellt "Sam Spade’s Lamb Chops", Lamm mit Bratkartoffeln und Tomatenscheiben – wie der Privatdetektiv im Malteser Falken sie gerne aß.

Der Raum im ersten Stock von John’s ist eine Art Museum. An den Wänden Bilder aus dem Malteser Falken. Bogart, Mary Astor als Bridget O’Shaugnessy, Peter Lorre als Joel Cairo. Daneben Myrna Loy und William Powell als Nora und Nick Charles in der Verfilmung des "Dünnen Mannes". In einem Schaukasten frühe Auflagen seiner Bücher und Ausgaben von "Black Mask", dem Magazin, bei dem seine Karriere begann. Ein idealer Ort zum Gucken und Stöbern. Und der Endpunkt von Don Herrons Tour durch San Francisco auf den Spuren von Dashiell Hammett.

Info Führung: Don Herrons Tour findet jeden Sonntag im Mai und September und kostet pro Person zehn Dollar. Treffpunkt ist um 12 Uhr mittags vor der Stadtbücherei im Civic Center, 100 Larkin Street (http://www.donherron.co).

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